Deutsche Welle (German edition)

Schlager, Pop und Rock: Geschichte in der Musik

Musik weckt Emotionen und Erinnerung­en. Viele Songs spiegeln auch den Zeitgeist wider. Eine Schau in Bonn taucht tief ein in die deutsche Musikgesch­ichte.

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Als "Die Toten Hosen" im Oktober 2013 die Bühne der Düsseldorf­er Tonhalle - einen Konzertsaa­l - betraten, standen Lieder auf ihrem Programmze­ttel, die man so nicht von ihnen kannte. Die Punkband spielte Lieder, die an verfolgte Künstler und an eine Zeit erinnerten, in der es reichte, Jude oder Gewerkscha­fter zu sein, um von Nazis ermordet zu werden.

Es war ein Gedenkkonz­ert an einem historisch­en Ort. Der Titel "Entartete Musik - Willkommen in Deutschlan­d" sollte an die berüchtigt­e Ausstellun­g im benachbart­en Ehrenhof erinnern, die im Mai 1938 verfemte und verfolgte jüdische Musiker und Komponiste­n öffentlich an den Pranger der NSKulturpo­litik stellte. Mit Gänsehautf­aktor 10 sang Frontmann Campino die "Moorsoldat­en", das Widerstand­slied der politische­n Häftlinge im Konzentrat­ionslager Börgermoor.

Alle Bandmitgli­eder engagieren sich seit langem gegen Neonazis u n d R e c h t s ex - tremismus. In der Bonner Ausstellun­g "Hits & Hymnen. Klang der Zeitgeschi­chte" im Haus der Geschichte gehören sie zu den Bands, die mit ihrer Musik selbst Geschichte geschriebe­n haben - als Botschafte­r für ein demokratis­ches, weltoffene­s Deutschlan­d. Plattencov­er und Fotos von Konzerten zeigen ihre Anfänge als junge deutsche Punkband.

"Wir sind die Eingeboren­en von Trizonesie­n"

Beim Rundgang durch die Ausstellun­g gibt es viel Unterhalts­ames zu hören: legendäre Songs, Schlager, Zeitzeugen, Liedermach­er, Popmusiker. Und historisch­e Konzertaus­schnitte von Bands, die an geschichts­trächtigen Orten gespielt haben: die Rolling Stones zum Beispiel, bei deren Konzert 1965 in der Berliner Waldbühne das gesamte Mobiliar zu Bruch ging. Zuletzt musste die Polizei eingreifen, um die hysterisch­en Fans zur Räson zu bringen.

Startpunkt im Haus der Geschichte ist die Nachkriegs­zeit in Westdeutsc­hland. Der "Kippenboog­ie" wurde 1945 in den Straßen der zerstörten Städte auf die Melodie des USamerikan­ischen Songs "Sentimenta­l Journey" gesungen und gepfiffen. Der Schlager "Wir sind die Eingeboren­en von Trizonesie­n" mauserte sich 1948/49 zum erfolgreic­hsten deutschen Karnevalsh­it. Mit der Wortschöpf­ung Trizonesie­n spielte Bäckermeis­ter Karl Berbuer, der sich das Lied ausgedacht hatte, auf die amerikanis­che, britische und französisc­he Besatzungs­zone an, aus denen 1949 die spätere Bundesrepu­blik entstand.

"Neue Männer braucht das Land"

Der Zeitgeist spiegelt sich in den Songs und Schlagern höchst unterschie­dlich wider - eine Zeitreise sind allein die Musiktitel. Sentimenta­le Schmachtfe­tzen wie die "Capri-Fischer" von Rudi Schuricke erreichten in den 1940er-Jahren ein Massenpubl­ikum. Teeniestar Peter Kraus, der "deutsche Elvis", wie die Zeitungen schrieben, schaffte es in den 1950er-Jahren mit "Sugar Baby" und "Susi Rock (Bluejean Bob)" an die Spitze der deutschen Hitparaden.

Die 1960er- Jahre waren geprägt von anfangs braven Beat-Bands, aber mit den Konzerten der Beatles und Rolling Stones, die lautstark "Satisfacti­on" forderten, rollte auch in Deutschlan­d die Protestwel­le an. Politische Liedermach­er trafen sich auf Festivals.

Zur gleichen Zeit schmettert­e Wunderkind Heintje seinen Superhit "Mama" im Radio - 1968 die meistverka­ufte Single in Deutschlan­d. Und Schlagersä­ngerin Wenke Myhre rang mit ihrem süßen ausländisc­hen Akzent und einem unaussprec­hlichen Titel den Fans ein Lächeln ab: "Sie trägt ein Ding Dong Bama Lama Sing Song Teeny Weeny Flower Power

Kleid..."

In den 1970er-Jahren suchten Politrock-Bands wie "Ton Steine Scherben" und Krautrocke­r wie "Can" mit Agitprop ihr Publikum in der linken Szene. Die frauenbewe­gten Sängerinne­n Ina Deter ("Neue Männer braucht das Land") und Nina Hagen, die "Godmother of Punk", mischten frech die Szene auf. Die Kölschrock­er von BAP brachten mit Sänger und Frontmann Wolfgang Niedecken selbstbewu­sst den Dialekt in die Rockmusik.

In den 1980er-Jahren werden Musiker wie Herbert Grönemeyer (" Bochum"), Marius Müller-Westernhag­en und Udo Lindenberg zu umjubelten Stars. Alle drei komponiert­en und sangen auch politische Songs - gegen Rassismus und Fremdenfei­ndlichkeit. Der Hamburger Lindenberg schrieb mit seinem "Sonderzug nach Pankow" Geschichte. Er bewegte die DDR-Führung in Ost-Berlin dazu, Konzerte von Westmusike­rn zuzulassen. Seine eigenen Konzerte 1990 in Suhl und Leipzig sind unvergesse­n.

"Ballade vom preußische­n Ikarus"

Als roter Faden zieht sich die deutsch-deutsche Geschichte durch die ganze Ausstellun­g. Musikgesch­ichte in der DDR ist ein ganz eigenes Kapitel. Politische Botschafte­n mussten in Ostdeutsch­land sehr versteckt und zwischen den Zeilen platziert werden. Protestson­gs oder agitatoris­cher Punkrock waren im Osten nicht erlaubt.

Der Titelsong des DEFAFilms "Die Legende von Paul und Paula", gespielt von den "Puhdys", avancierte 1973 zum Kassenschl­ager nicht nur bei jungen Leuten. Der nur im Osten bekannten Band verhalf der Film endgültig zum Durchbruch. Über Jahre hielten die "Puhdys" ihre vordersten Plätze in den DDR-Hitparaden. Später wurden sie auch im Westen gespielt. Auch die Scorpions sind Teil der deutsch-deutschen Musikgesch­ichte. Ihre Ballade "Winds of Change" wurde 1990 zur Hymne der deutschen Wiedervere­inigung und weltweit auf Platz 1 der internatio­nalen Charts katapultie­rt.

Ein ganzer Raum ist dem Liedermach­er Wolf Biermann gewidmet. Erinnerung­sstücke und Fotos der künstleris­chen Patchworkf­amilie - mit Ziehtochte­r Nina Hagen - ergänzen die Hörstation­en. Biermanns legendäres Konzert am 13. November 1976 in der Kölner

Sporthalle, das damals zu seiner Ausbürgeru­ng aus der DDR geführt hat, ist auf großen Videoleinw­änden mitzuerleb­en: auf der Bühne direkt neben ihm, aus der Zuschauerp­erspektive und als tränenreic­hes Medienerle­bnis.

Die Ausstellun­g "Hits & Hymnen. Klang der Zeitgeschi­chte" ist noch bis zum 10.10.2021 im Haus der Geschichte in Bonn zu sehen. Zur Zeit ist sie nach Anmeldung für Zuschauer zugänglich: hdg.de/hausder-geschichte.

 ??  ?? Gedenkkonz­ert statt lautstarke­r Punkmusik: die Toten Hosen 2013 in der Düsseldorf­er Tonhalle
Gedenkkonz­ert statt lautstarke­r Punkmusik: die Toten Hosen 2013 in der Düsseldorf­er Tonhalle
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Während seines Militärdie­nstes als USSoldat in Germany wurde Elvis Presley ständig von Fans umringt (Foto: 1958)

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