Deutsche Welle (German edition)
Corona-Modellstadt Tübingen – eine Idee für Deutschland?
Weil Deutschland ohne Teststrategie gelockert hat, schießen die Infektionszahlen in die Höhe. Tübingen will zeigen, dass mit Tests Öffnungen möglich sind.
Das Licht am Ende des langen, dunklen Tunnels wird im Tübinger Zimmertheater ziemlich genau am Dienstagabend um 18 Uhr angeknipst. Da betreten, nach vier Monaten Pause, die ersten Zuschauer wieder das Foyer. Mit einem Strahlen im Gesicht zeigen sie ihre zwei Eintrittskarten vor: das Ticket der Veranstaltung und den negativen Corona-Test.
24 Stunden vorher war die Entscheidung gefallen, dass die 90.000-Einwohner-Stadt drei Wochen lang zum CoronaModell wird. Der Name des Projekts: "Öffnen mit Sicherheit", genauer: mit Zehntausenden Tests. Für Dieter und Peer Ripberger, die Intendanten des Zimmertheaters, heißt das, dass sie als erste Bühne in ganz Deutschland, noch vor Berlin, wieder vor Publikum spielen dürfen.
"Seit Tagen sind wir hier voller Euphorie, es ist ein schönes Gefühl nach vier Monaten Kurzarbeit. In den Schlangen vor den Testzentren wurde uns gesagt: 'Toll, dass Ihr wieder dürft'", berichten sie, "wir sind uns aber gleichzeitig der Verantwortung bewusst, die wir als Teil dieses Modellprojekts tragen".
Das bedeutet: Theater und Kinos sind in Tübingen zunächst einmal bis zum 4. April wieder geöffnet. Sie dürfen aber nur Zuschauer mit einem sogenannten Tagesticket hereinlassen, das einen negativen Corona-Test vom selben Tag dokumentiert. Abstandsregeln müssen weiter eingehalten werden, Pflicht bleibt auch das Tragen einer Maske.
Laut der Corona-Beschlüsse dürfen Theater- und Konzerthäuser deutschlandweit eigentlich erst wieder am 22. März öffnen, doch angesichts der steigenden Infektionszahlen ist auch dieser Termin fraglich. Dieter Ripberger musste deswegen nicht lange überlegen, sein Team brachte die Bühnen auf Vordermann und organisierte in Windeseile 20 Vorstellungen in den nächsten Tagen.
"Alle haben gefordert, die Theater müssten schnell wieder aufmachen. Wenn wir jetzt dürfen und es nicht machen, dann fallen wir der ganzen
Branche in den Rücken", sagt er, "und auch wir Mitarbeiter testen uns statt zweimal die Woche jeden Tag, weil für die Zukunft der Theater hier bei uns einfach nichts passieren darf."
Dass das Zimmertheater überhaupt öffnen kann, haben Dieter und Peer Ripberger vor allem einer engagierten Medizinerin zu verdanken, die einen Katzensprung entfernt ihre Praxis hat. Noch vor einem Jahr kannten Lisa Federle noch nicht mal alle Einheimischen, heute ist sie als Gesicht des Tübinger Weges, der konsequent auf Selbsttests setzt, über die Stadtgrenzen in ganz Deutschland bekannt und wird schon mal von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn zur Bundespressekonferenz eingeladen.
Auch im Ausland ist Federle mittlerweile eine große Nummer, der britische Sender BBC war zu Besuch, das "Wall Street Journal" hat sie porträtiert und eine japanische Zeitung ein doppelseitiges Interview mit ihr veröffentlicht. Sogar ein Angebot, in einem Film zu Corona mitzumachen, liegt auf Federles Tisch.
"Echt verrückt", sagt die Pandemiebeauftragte des Landkreises Tübingen mit einem Lachen. Viel wichtiger ist ihr aber, dass das Tübinger Modellprojekt funktioniert: "Wenn wir testen, testen, testen und die Kurve trotz entdeckter Infektionen und den Öffnungen nur langsam ansteigt, ist das genau der richtige Weg, mit dieser Krise umzugehen."
Lisa Federle hat frühzeitig erkannt, dass das Virus, solange der Impfstoff noch nicht da ist, nur mit umfangreichen Tests bekämpft werden kann. Tübingen setzte als eine der ersten Städte Deutschlands schon im April 2020 auf Tests in Alten- und Pflegeheimen, schon viel früher