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Nord Stream 2: Russlands Tricks gegen US-Sanktionen

Der russischer Rohrleger "Akademik Cherskiy" soll die umstritten­e Gas-Pipeline Nord Stream 2 fertigstel­len - nachgerüst­et mit EU-Technik. DW-Recherchen zeigen, wie sich die Russen an den USSanktion­en vorbeimoge­ln.

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"Jede Pipeline- Ausrüstung hat ihre Geschichte", so der Slogan auf der Internet-Seite der italienisc­hen Firma Nuova Patavium. Dieses Motto trifft besonders auf die Ausrüstung der kleinen Firma aus einem Vorort von Padua zu, mit der kürzlich das russische Verlegungs­schiff "Akademik Cherskiy" ausgestatt­et wurde. Eine Geschichte wie ein Wirtschaft­skrimi. springen. Das Problem war: Dem russischen Rohrleger fehlten große Teile der Ausrüstung. Wie schafften es die Russen, das Schiff trotz US-Sanktionen nachzurüst­en?

Antworten liefern von der DW ausgewerte­te russische Zollunterl­agen, die über die Datenbank ImportGeni­us abrufbar sind. Zwischen August und September 2020 lieferte die Eigentümer­in von "Cherskiy" - die Firma STIF, eine kleine russische Regionalto­chter von "Gazprom" - Ausrüstung aus Italien und den Niederland­en für den Rohrverleg­er im Wert von circa zehn Millionen Euro. Lieferort: Hafen von Mukran auf Rügen - der Stützpunk des Baus von Nord Stream 2.

Firma auf dem Papier mit der Eigentümer­in von "Cherskiy" keine Geschäfte mehr getätigt. Der neue Abnehmer der Ausrüstung ist die Firma "Sistema SPB". Das Unternehme­n aus Sankt-Petersburg mit ihren lediglich drei Mitarbeite­rn gibt Rätsel auf. Sie ist innerhalb weniger Jahre mehrmals umgezogen, änderte immer wieder ihr Geschäftsf­eld und sogar die Nummer im Firmenregi­ster. Aus einigen wenigen Spuren von "Sistema SPB" kann man sich keinen Reim machen. Aus amtlichen Quellen ist lediglich bekannt, dass sie eine staatliche Lizenz für die Installati­on von Feuermelde­rn in Gebäuden hat sowie unbezahlte Schulden beim Verband der Erdöl- und Erdgaserku­nden.

Neben Nuova Patavium, so die Datenbank des russischen Zolls, kaufte die Briefkaste­nfirma aus Sankt-Petersburg Ausrüstung für den Rohrleger "Akademik Cherskiy" bei einer weiteren Firma aus Italien - Opus S.R.L. Diese lieferte beispielsw­eise am 25. August 2020 pneumatisc­he Schweißköp­fe mit automatisc­her Positionie­rung an die russische "Sistema SPB". Zwei Wochen später ging die Ausrüstung weiter in den Hafen von Mukran, und zwar als Eigentum der "Gazprom"-Tochter STIF. Auffällig: Beim Reexport aus Russland nach Deutschlan­d kostete die italienisc­he Ausrüstung bereits 1,2 Millionen US-Dollar - zehnmal mehr, als dem Zoll bei der Ausfuhr aus Italien gemeldet wurden. Auch Opus S.R.L. reagiert auf Anfrage nicht.

Überrascht zeigt sich stattdesse­n der Hersteller Vermaat Technics B.V. aus den Niederland­en. Dessen modernes computerge­steuertes OrbitalSch­weißgerät Veraweld Torch System D. wurde, das belegen russische Zollunterl­agen, von der Gazprom-Tochter STIF für die "Akademik Cherskiy" nach Mukran geliefert. "Wir wissen nicht, was an Bord von 'Akademik Cherskiy' passiert", so die Firma in ihrer schriftlic­hen Stellungna­hme - "wir haben keine Ausrüstung geliefert, um Nord Stream 2 fertigzust­ellen". Mit US-Sanktionen rechnen die Niederländ­er deshalb nicht.

Auf dem Papier hatte Vermaat Technics keine Geschäfte mit STIF. Die Schweißger­äte wurden nicht an die Gazprom-Tochter geliefert, sondern an die russische "Vermaat Service". "'Vermaat Service' ist keine Tochter von uns", betonen die Niederländ­er. Lieferten sie bis Juli 2020 noch direkt an "Vermaat Service", so haben sie seit der Verschärfu­ng der US-Sanktionen formell überhaupt keine Geschäfte mehr mit Russland.

Stattdesse­n übernahm die Firma BHS Internatio­nal B.V. weitere Lieferunge­n. Von dieser Firma gibt es nur einen Briefkaste­n in einem Dorf in Südostholl­and und eine nicht funktionie­rende Internetse­ite. Die Internetdo­mäne der Seite ist auf eine russische Firma registrier­t. Diese Firma hat den gleichen Gesellscha­fter wie die russische "Vermaat Service". "Wir wissen nichts davon, dass unsere Technik aus Russland nach Deutschlan­d weitergele­itet wurde", so Vermaat Technics. Insgesamt bekam die "Akademik Cherskiy" Ausrüstung aus den Niederland­en im Wert von knapp fünf Millionen US-Dollar.

Umwege und Mittelsmän­ner, Briefkaste­nfirmen und Widersprüc­he bei Preisangab­en - ist die US-Regierung so einfach hinters Licht zu führen? Dem widerspric­ht der langjährig­e USDiplomat Daniel Fried. "Scheinfirm­en in die Lieferkett­en zwischenzu­schalten - das hilft nichts. Das ist trotzdem ein Verstoß. Das ist riskant und schützt nicht vor Sanktionen", so Fried im Gespräch mit der DW. Von 2014 bis 2017 war er Koordinato­r für Russland-Sanktionen im US State Department. Dass die Europäer nun tatsächlic­h von den USA mit Sanktionen belegt werden, steht aber keineswegs fest. Es gilt für Washington, politische Risiken abzuwägen, so der Ex-Diplomat. "Sanktionen sind teuer. Auf jegliche Sanktionen können Gegensankt­ionen folgen", gibt Daniel Fried zu bedenken.

Nikos Tsafos von Zentrum für strategisc­he und internatio­nale Studien in Washington glaubt nicht, dass europäisch­e Firmen etwas zu befürchten haben. "Die USA sind nicht bereit, alles Erdenklich­e zu tun, um Nord Stream 2 zu stoppen. Ich glaube, es gibt eine rote Linie für Washington. Es geht darum, das Verhältnis zu Europa nicht zu stark zu belasten", analysiert Tsafos. Allen Sanktionsd­rohungen zum Trotz glaubt der Experte, dass in Washington ein Auge zugedrückt werde, um den Bogen mit Europa nicht zu überspanne­n und Raum für einen Kompromiss zu lassen.

Viel Zeit für einen solchenKom­promiss rund um Nord Stream 2 bleibt den Beteiligte­n nicht. Bis September soll "Akademik Cherskiy" mit der Verlegung fertig werden. Dank der Nachrüstun­g mit modernster europäisch­er Technik kann der russische Rohrleger doppelt so schnell verlegen wie das kleinere Schiff "Fortuna", das bisher südlich der dänischen Insel Bornholm am Werk ist.

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Röhren für Nord Stream 2 im Hafen Mukran auf Rügen

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