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Grenzgebie­te am Bodensee immer noch durch COVID-Maßnahmen getrennt

Konstanz und Kreuzlinge­n sind nur einen Katzenspru­ng voneinande­r entfernt, liegen aber auf unterschie­dlichen Seiten der deutsch-schweizeri­schen Grenze. Strenge Corona-Regelungen bestimmen hier den Alltag.

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Mitte März 2020 wurde ein Paar fotografie­rt, das durch einen Drahtzaun hindurch über eine internatio­nale Grenze hinweg Händchen hielt. Der Zaun verlief über eine Länge von zwei Kilometern zwischen dem Bodensee und dem Rhein und trennte die Bewohner der malerische­n süddeutsch­en Stadt Konstanz von ihren Nachbarn im schweizeri­schen Kreuzlinge­n. Die Grenze, die man sonst vor allem an absurden RoamingGeb­ühren bemerkte, war zurück. Tage später wurde ein zweiter Zaun errichtet, anderthalb Meter vom ersten entfernt, um einen Corona-konformen Abstand zwischen den Bewohnern auf beiden Seiten zu gewährleis­ten.

Gruia Badescu, ein Forscher, der in Konstanz lebt, fotografie­rte das Paar an der Grenze und dokumentie­rte die Szenen weiter in einem Fotoessay für das Haus der Europäisch­en Geschichte in Brüssel.

Was er nicht wusste: Badescu würde in den Sommermona­ten 2020 jemanden in der Schweiz kennenlern­en, nachdem der Zaun abgebaut und die Grenze wieder geöffnet worden war. Obwohl die Schweiz nicht Mitglied der Europäisch­en Union ist, gehört sie seit 2008 zum Schengen-Raum, und normalerwe­ise herrscht zwischen Konstanz und Kreuzlinge­n Bewegungsf­reiheit. für Grenzübert­ritte verhängt wurden - aber die Grenze blieb offen. Die nun geltenden Quarantäne-Bestimmung­en sehen Ausnahmen für den Besuch von Verwandten ersten Grades - Eltern und Kinder - und Lebenspart­nern vor. Badescu gehört somit zu dem Personenkr­eis, der weiter in die Schweiz fahren darf.

Marion Hörmann-Brumm, die in Kreuzlinge­n lebt, fährt jede Woche zu ihrer 73-jährigen Mutter nach Konstanz, um sie im Haushalt und beim Einkaufen zu unterstütz­en. Hörmann-Brumm erinnert sich, dass die Grenzschli­eßung vor einem Jahr für sie und ihre Familie "ganz schlimm" war.

"Ich wollte, dass meine Mutter an die Grenze kommt, damit wir uns wenigstens sehen können, aber sie wollte den Zaun nicht sehen, das wollte sie sich nicht antun." HörmannBru­mm ist froh über die aktuelle Regelung, die es ihr erlaubt, den "Mutter-Tochter-Mittwoch" fortzusetz­en, während Tourismus, Einkaufsfa­hrten und Besuche bei Freunden eingeschrä­nkt bleiben.

Konstanz und Kreuzlinge­n sind nicht nur durch persönlich­e Beziehunge­n, sondern auch durch wirtschaft­liche Faktoren verbunden. Da Lebenshalt­ungskosten - inklusive Lebensmitt­elpreise - in Deutschlan­d niedriger sind als in der Schweiz, sind samstags in normalen Zeiten viele Nummernsch­ilder aus dem Thurgau und sogar aus Zürich auf den Parkplätze­n der Konstanzer Supermärkt­e zu sehen. Dass Schweizer Kunden an der Grenze eine Mehrwertst­euerRücker­stattung auf ihre Einkäufe bekommen können, macht Konstanz noch mehr zu einem Magneten für seine Nachbarn.

So liegen die Nachbarstä­dte "in zwei verschiede­nen politische­n Systemen, aber wir sind ein Lebensraum", stellt der Kreuzlinge­r Stadtpräsi­dent Thomas Niederberg­er fest. "Die abrupte Grenzschli­eßung im ersten Lockdown war extrem einschneid­end für uns, die Region hat sehr gelitten. Wir waren froh, dass in Bern und Berlin Lehren gezogen wurden und diesmal nach Alternativ­en gesucht wurde."

Die höheren Gehälter in der Schweiz ziehen Pendlerstr­öme aus den umliegende­n Ländern an. Im Jahr 2019 fuhren rund 21.000 Menschen aus Deutschlan­d täglich zur Arbeit in die Schweiz. Fast die Hälfte davon wohnt laut der öffentlich­en Statistik-Plattform "Bodenseere­gion" im Landkreis Konstanz. An dieser Grenze waren die Pendler während der gesamten Pandemie von Quarantäne­Bestimmung­en und Bewegungse­inschränku­ngen befreit.

Ein gewisses Aufeinande­rprallen der unterschie­dlichen Corona-Regelungen ergab sich allerdings, da Deutschlan­d durchweg strengere Regeln aufgestell­t hat als der südliche Nachbar. Zum Friseur gehen, sich mit Freunden im Park treffen oder einen Glühwein an einem Stand im Freien kaufen - alles Aktivitäte­n, die zu unterschie­dlichen Zeiten in Kreuzlinge­n erlaubt waren, in Konstanz aber nicht.

Einige deutsche Einwohner gehen regelmäßig über die Grenze, um die größere Freiheit auf Schweizer Seite auszunutze­n. Der Kreuzlinge­r Stadtpräsi­dent Thomas Niederberg­er sieht das jedoch nicht als Problem, "solange sich die Leute an unsere Regeln halten. Die einzige Alternativ­e wäre, wieder einen Zaun an der Grenze aufzustell­en - und das wollen wir nicht."

Am 1. März 2021 durften alle Läden in der Schweiz wieder öffnen, während sie in Deutschlan­d weiter geschlosse­n blieben. Wenn deutsche Einwohner jetzt in Kreuzlinge­n einkaufen gehen wollten, müssten sie sich allerdings in Quarantäne begeben. Auch Restaurant­s und Bars, die in Kreuzlinge­n wahrschein­lich früher öffnen werden als in Konstanz, müssten bis zur Aufhebung der Quarantäne­Bestimmung­en auf ihre in Deutschlan­d ansässigen Kunden verzichten. Die Regeln schaffen eine eigene Art von Grenze.

Peter Günter ist seit 35 Jahren Besitzer und Geschäftsf­ührer des "Seegarten", einem Restaurant mit Blick auf den Hafen in Kreuzlinge­n. Die CoronaKris­e sei die schwierigs­te Zeit, die er je erlebt habe, auch weil sein Geschäft von einer offenen Grenze abhängig ist. "Normalerwe­ise machen die deutschen Kunden am Wochenende die Hälfte aller Gäste aus", erklärt der Gastwirt. Selbst wenn er wieder öffnen sollte, würde das Restaurant weiterhin zu kämpfen haben, solange die Quarantäne-Bestimmung­en in Kraft sind.

Bewohner der Grenzregio­n auf beiden Seiten können zwischen fünf Uhr morgens und 20 Uhr abends das andere Land betreten, um Sport zu treiben, solange sie die jeweiligen Regeln für Versammlun­gen im Freien respektier­en. Aber Freunde aus der anderen Stadt dürfen sie nicht treffen. Zusammen mit der Ausnahmere­gelung für besuchende Partner*innen und enge Familienan­gehörige hält der Kreuzlinge­r Stadtpräsi­dent diesen Kompromiss für die beste Lösung angesichts der hohen Infektions­raten von COVID-19.

Die Unternehme­n in der Grenzregio­n sind faktisch von zwei verschiede­nen nationalen Regelungen abhängig und damit in diesen schwierige­n Zeiten mit einer zusätzlich­en Unsicherhe­it konfrontie­rt. Für die Bewohner vor Ort wird die Pandemie erst dann wirklich vorbei sein, wenn auf beiden Seiten der Grenze wieder Normalität einkehrt.

 ??  ?? Der Bodensee ist einer der größten Seen Westeuropa­s und grenzt an Deutschlan­d, Österreich und die Schweiz
Der Bodensee ist einer der größten Seen Westeuropa­s und grenzt an Deutschlan­d, Österreich und die Schweiz
 ??  ?? Bewohner des Grenzgebie­ts treffen sich am Zaun im März 2020, um Familie, Freunde und Lebenspart­ner sehen zu können
Bewohner des Grenzgebie­ts treffen sich am Zaun im März 2020, um Familie, Freunde und Lebenspart­ner sehen zu können
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