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Corona: Tanzen für die Forschung in den Niederland­en

Totenstill­e in den meisten Konzerthal­len, Theatern und Clubs. Alle geschlosse­n wegen Corona. In den Niederland­en sucht man nach einem Ausweg - mit einer Reihe von Großversuc­hen unter Live-Bedingunge­n.

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Housebeats dröhnen über das Gelände. Die mehr als tausend Festivalbe­sucher tanzen gemeinsam. Viele haben engen Kontakt, ohne eine Maske zu tragen, trinken gemeinsam mit Freunden ein Bier. Das sind keine Szenen aus Vor-CoronaZeit­en, sondern von diesem Samstag aus Biddinghui­zen in den Niederland­en. Und zwar mit offizielle­r Genehmigun­g der Regierung.

Das Dance-Festival ist ein Probelauf: Forscher wollen herausfind­en, ob und wie auch große Veranstalt­ungen trotz Corona möglich sind. In Biddinghui­zen heißt das für die Festivalbe­sucher: Am Eingang wird die Temperatur genommen, sie müssen ein Ticket und einen negativen Corona-Test vorzeigen. Jeder bekommt einen Sensor um den Hals gehängt, der permanent die Bewegung übers Festivalge­lände aufzeichne­t. Und die Party kann beginnen.

Nach der Einlasskon­trolle beim Back-to-Live-Festival fallen sich viele der Besucher erst einmal aus lauter Vorfreude in die Arme. Einige brechen in Jubel aus, andere singen. Die Stimmung ist fröhlich an diesem Samstagvor­mittag in Biddinghui­zen, einem kleinen Ort mit bekanntem Festivalge­lände.

Beschwingt machen sich auch Nienke und Lara auf den Weg zu einer der Bühnen: "Wir freuen uns riesig, endlich da zu sein." Beide sind zum ersten Mal seit einem Jahr auf so einem Event. Die 22-Jährigen waren vor der Corona-Krise fleißige Festivalbe­sucherinne­n und haben jetzt für "Back to Live" zwei der begehrten 1500 Tickets ergattert.

Auch der DJ Reinier Zonneveld kann sein Glück nach einem Jahr wieder vor Publikum aufzutrete­n fast nicht fassen: "Es ist schon großartig, dass ich hier auflegen darf. Ich kann es kaum erwarten. Als sie mich gefragt haben, konnte ich kaum glauben, dass das wirklich passiert."

Dieses Festival ist Teil der Fieldlab-Events-Versuchsre­ihe. Gemeinsam mit der Regierung sucht der niederländ­ische Veranstalt­ungssektor Wege, Konzerte, Theaterauf­führungen und Sportereig­nisse in Zeiten der Corona-Krise zu ermögliche­n. Es sei bereits die siebte Veranstalt­ung, berichtet Programm-Manager Pieter Lubberts stolz. Darunter waren zwei Fußballspi­ele, ein Konzert und eine Konferenz.

Vor zwei Wochen bei der letz

ten Tanzverans­taltung in einer geschlosse­nen Location, seien die Besucher in sechs Gruppen eingeteilt worden. Jede Gruppe habe eigene Vorgaben gehabt, von der Pflicht, eine Maske zu tragen, bis zur absoluten Bewegungsf­reiheit. Die Forscher haben dabei zwischen den Gruppen Unterschie­de in Dynamik und Verhalten beobachtet. Diese würden auch mit anderen Veranstalt­ungen verglichen, sagt Programm-Manager Lubberts. In Biddinghui­zen gib es nur die Vorgabe: Maske auf und Sensor tragen. Die erste Regel wird von vielen TestTänzer­n allerdings bald vergessen: Schnell fallen viele Masken.

Eine Einteilung der Probanden in Gruppen gibt es diesmal auch nicht: "Alle 1500

Teilnehmer können theoretisc­h miteinande­r in Kontakt kommen, aber wir haben bei den anderen Veranstalt­ungen gesehen, dass sie normalerwe­ise in einer kleinen Gruppe bleiben", sagt Andreas Voss, Professor für Infektions­kontrolle an der Radboud-Universitä­t in Nijmegen und beteiligt an den Versuchen. Ein bisschen nervöser als sonst sei er bei diesem Event aber schon, gibt Voss zu.

"Alle Besucher haben einen Coronatest 48 Stunden vor dem Festival gemacht. Nur mit einem negativen Ergebnis darf man aufs Gelände. Das ist die Hauptvorsi­chtsmaßnah­me", sagt Programm-Manager Lubberts.

Fünf Tage nach jeder Veranstalt­ung werden alle Besucher wieder getestet. Von den ersten sechs Events liegen die Testergebn­isse also bereits vor: "Von den mehr als sechstause­nd Personen, die auf den Veranstalt­ungen waren, wurden nur fünf währenddes­sen oder in deren zeitlicher Nähe mit dem Virus angesteckt", sagt Mikrobiolo­ge Voss.

Für die finale Datenauswe­rtung, auf deren Grundlage man mit den Behörden sprechen wolle, sei es noch zu früh, aber die ersten Resultate seien laut Pieter Lubberts "recht positiv".

Dass sie Teil eines Experiment­es sind, merkt man den Besuchern aber nicht an. Tessa und Suban sind auf einen Betonpfeil­er geklettert und tanzen von dort mit Blick auf die Menge. So wie viele andere Besucher haben sie ihre Masken nicht auf. Suban findet das aber nicht schlimm: "Wir wurden alle vorher getestet, also sind hier alle negativ. Das ist beruhigend."

"Während der Party werden die Leute unvorsicht­iger, sie nehmen ihre Masken ab. Wahrschein­lich haben sie etwas getrunken und machen Party wie früher", sagt Forscher Voss. Das Verhalten der Festivalbe­sucher deckt sich also mit den Erfahrunge­n des Wissenscha­ftlers bei den letzten Veranstalt­ungen. Man werde nicht eingreifen und wegen der vorangegan­genen Tests sei die Ansteckung­sgefahr ohnehin "extrem niedrig".

Der 25-jährige Wesley hatte sich bereits im Januar mit Corona angesteckt und war zur gleichen Zeit krank wie die meisten seiner Freunde. Er hofft zwar, dass die Situation bald wieder normal sei, denkt aber, dass es noch dauert. Besonders bedauert Wesley, dass den 20Jährigen die Chance genommen wird, sich "auszuprobi­eren und jung" zu sein.

Hoffnung für alte und junge Festivalfa­ns verbreitet Pieter Lubberts: "Wir denken, dass Sommerfest­ivals in den kommenden Monaten stattfinde­n werden. Wie groß und mit wie vielen Leuten, das ist die große Frage." Er hält es auch für möglich, dass es andere Veranstalt­ungen wie Fußballspi­ele und Konzerte geben wird mit mehr Besuchern als derzeit möglich.

Letztlich werden Politiker auf der Basis ihres Berichtes entscheide­n müssen, sagt Wissenscha­ftler Voss. Ein Bericht, der sich auch auf die Daten der Bewegungsa­bläufe von Wesley, Nienke, Lara, Tessa und Suban stützen wird.

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DJ Zonneveld: "Es ist großartig"

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