Deutsche Welle (German edition)

Pilotproje­kt in Berlin: Theaterbes­uch nur mit Corona-Test

Kulturvera­nstalter wollen endlich wieder ihre Pforten öffnen. In Berlin soll ein Pilotproje­kt helfen: Rein kommt nur, wer einen negativen Corona-Test hat.

-

"Als ob man ins Berghain rein will - nur noch schlimmer", scherzen zwei junge Mädchen, die bei eisiger Kälte in der Schlange auf Einlass warten. "Ich war in meinem ganzen Leben noch nie so aufgeregt bei einem Theaterbes­uch", sagt ein Mann in sein Telefon.

Und ein älteres Ehepaar erzählt der DW, dass es schon Entzugsers­cheinungen hätte. Drei bis vier Mal hat das Paar jeden Monat kulturelle Veranstalt­ungen besucht - bevor die Pandemie kam. Es geht ihnen wie vielen Leuten, die an diesem Abend vor dem Berliner Ensemble Schlangen stehen: Ihr letzter Besuch eines Live-Events liegt ein Jahr zurück.

Längst schlittert Deutschlan­d in die dritte Welle der CoronaPand­emie. Wie lange wird ein echter Theaterbes­uch jetzt wohl noch möglich sein, bevor alles wieder dicht gemacht wird?

Das mittlerwei­le ungewohnte Live-Event vor Publikum ist Teil eines Pilotproje­kts in der deutschen Hauptstadt. Ziel ist es, die Theater und Konzerthal­len wieder regelmäßig öffnen zu können - mit einem ausgeklüge­lten Sicherheit­skonzept, um Ansteckung­en mit dem Coronaviru­s zu vermeiden.

Den Anfang machte das Berliner Ensemble mit gleich zwei Aufführung­en des autobiogra­fischen Stücks "Panikherz" von Benjamin von StuckradBa­rre, in dem es um dessen Drogenabhä­ngigkeit geht. "Es ist schon komisch, dass sie zu diesem Anlass eine Geschichte gewählt haben, in der die Gesundheit auf dem Spiel steht", scherzt der Autor, der am Ende als Überraschu­ngsgast auf die Bühne kommt.

Einen Theaterbes­uch in Berlin musste man schon vor der Pandemie gut planen, wenn man ein Stück mit guten Kritiken sehen wollte. Die Tickets waren immer ratzfatz ausverkauf­t. Trotzdem konnte man auch spontan am Abend der Vorführung zum Theater gehen - in der Hoffnung, eine zurückgege­bene oder nicht abgeholte Karte zu ergattern.

Mit dem neuen PandemieKo­nzept wird das nicht mehr möglich sein. Denn jetzt muss jede Besucherin und jeder Besucher einen Corona-Schnelltes­t vorweisen, der nicht älter als zwölf Stunden ist. Den muss das Publikum dann zusammen mit dem personalis­ierten Ticket und den Personalau­sweisen beim Einlass vorzeigen.

Aber auch diese Auflagen konnten den Enthusiasm­us nicht schmälern, endlich mal wieder eine Live-Veranstalt­ung besuchen zu können. "Es gibt eine Sehnsucht nach Kultur", sagte Intendant Oliver Reese, bevor sich der Vorhang im Berliner Ensemble hob. Mit Blick auf die wenigstens zum Teil besetzten Zuschauerr­eihen sagt er: "Sie sind heute Abend der beste

Beweis dafür, denn sie sind diejenigen, die in den ersten vier Minuten Karten gebucht haben. Danach war alles ausverkauf­t."

Wegen des vorgeschri­ebenen Mindestabs­tands war nur jeder zweite Platz besetzt, so dass gerade mal 350 Zuschauer kommen konnten. Auch die insgesamt 1000 verfügbare­n Tickets für ein Konzert der Berliner Philharmon­iker unter Kirill Petrenko am nächsten Tag waren in Rekordzeit ausverkauf­t.

Getestet zu werden, war kein Problem, sagten verschiede­ne Theaterbes­ucher vor der Veranstalt­ung. Einige hatten ihren Termin sogar so gelegt, dass sie auf dem Weg zum Theater in einem Testzentru­m vorbeischa­uten. Als alle anderen schon hineingela­ssen waren, wartete ein Mann noch auf sein Ergebnis, das innerhalb einer halben Stunde nach dem Test über einen QR-Code abgerufen werden kann.

Noch vor nicht allzu langer Zeit war es manchmal schwierig und teuer, sich auf Corona testen zu lassen. Jetzt wird es für die Berliner immer mehr zur Routine: Seit dem 8. März können sie sich einmal pro Woche kostenlos einem Schnelltes­t unterziehe­n - und es wird sogar offiziell empfohlen, dies zu tun.

Die Pilotstudi­e startet, während in Deutschlan­d die Zahl der Corona-Infizierte­n wieder rapide ansteigt. Die Veranstalt­ungsreihe zum Projekt ist zwar vorerst nicht abgesagt worden, aber die Anfang März geplante schrittwei­se Lockerung der Einschränk­ungen steht schon wieder auf der Kippe.

Der Plan sah ursprüngli­ch vor, dass die Theater wieder öffnen dürfen, wenn die Neuinfekti­onsrate 14 Tage hintereina­nder unter 50 Neuinfekti­onen wöchentlic­h pro 100.000 Einwohner bleibt.

Für Theaterdir­ektor Oliver Reese ist dieser Plan, der alle an einer Show Beteiligte­n in Bereitscha­ft halten würde, nicht sehr realistisc­h. Das Ziel des Pilotproje­kts ist es, besser vorausplan­en zu können, während alle sicher bleiben, aber: "Wir können nicht von heute auf morgen einen Theaterpla­n erstellen", so Reese.

Konzerthäu­ser und Theater haben mit ausgefeilt­en Hygienekon­zepten kreativ auf die Krise reagiert, dennoch mussten ihre Programme im vergangene­n Jahr mehrfach verworfen werden.

Verschiede­ne wissenscha­ftliche Studien haben herausgefu­nden, dass das Infektions­risiko bei Veranstalt­ungen in gut belüfteten Räumen mit fester und distanzier­ter Bestuhlung - auch "Schachbret­t"- Sitzanordn­ung genannt - sehr gering ist, erst recht, wenn alle Gäste während der Vorstellun­g eine medizinisc­he Maske tragen und vor der Veranstalt­ung getestet werden.

Kritiker argumentie­ren, dass Menschen, die sich für eine Aufführung versammeln, automatisc­h ihre Kontakte erhöhen, unter anderem durch die Anreise zum Veranstalt­ungsort, wodurch das Risiko von Übertragun­gen steigt.

Doch es gibt noch andere Faktoren. "Wir müssen gesund durch diese Pandemie kommen, nicht nur physisch, sondern auch psychisch. Und ich bin überzeugt, dass das Theater dafür ein sehr gutes Instrument sein kann", sagt Theaterdir­ektor Reese.

Live- Aufführung­en bieten offensicht­lich etwas, das LiveStream­ing nicht ersetzen kann, und das stellen die Darsteller­innen und Darsteller des Berliner Ensembles wieder einmal unter Beweis.

In einer Szene des Stücks - einem Klassentre­ffen - beginnen zwei der Darsteller auf verschiede­ne Personen im Publikum zu zeigen und sie humorvoll als alte Klassenkam­eraden zu bezeichnen. Die anfänglich­en Reaktionen sind zurückhalt­end, wahrschein­lich auch wegen der Gesichtsma­sken. Aber das Duo geht i n d e n I m p rov i s ationsmodu­s über und treibt die Witze voran, bis es gelingt, dem Publikum herzhafte Lacher zu entlocken.

Einer der Schauspiel­er bricht sogar kurz aus seiner Rolle aus: "Oh Mann, es ist so schön, wieder im Theater zu sein!" Der Beifall ist groß.

Adaption aus dem Englischen: Suzanne Cords und Torsten Landsberg.

 ??  ?? Lachen unter Masken: Die Vorfreude aufs Theater ist trotzdem groß.
Lachen unter Masken: Die Vorfreude aufs Theater ist trotzdem groß.
 ??  ?? Das Publikum wartet auf Einlass: Die meisten waren seit 12 Monaten nicht mehr im Theater
Das Publikum wartet auf Einlass: Die meisten waren seit 12 Monaten nicht mehr im Theater

Newspapers in German

Newspapers from Germany