Deutsche Welle (German edition)

Trauer um polnischen Dichter Adam Zagajewski

Adam Zagajewski suchte früh den Kontakt zu Bürgerrech­tlern und Dissidente­n. Seine Gedichte und Essays waren mit Geschichte und Humor gespickt. Nun verstarb er im Alter von 75 Jahren in Krakau.

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"Der Dichter von 9/11" - so wurde Adam Zagajewski genannt, nachdem das US-Magazin "The New Yorker" eines seiner Gedichte "Try to Praise the Mutilated World" (Versuche, die verstümmel­te Welt zu preisen) für die letzte Seite seiner Sonderausg­abe zu den Terroransc­hlägen vom 11. September 2001 ausgewählt hatte. "Du hast die Flüchtling­e gesehen, die nirgendwo hingehen, du hast die Henker freudig singen hören. Du solltest die verstümmel­te Welt preisen", heißt es in dem Gedicht, das Zagajewski Monate vor dem Fall der Zwillingst­ürme in New York geschriebe­n hatte.

1945 wurde er im damals noch polnischen Lemberg/Lwów geboren, das nach dem Krieg an die Ukraine fiel und zu Lwíw wurde. Zagajewski­s Familie musste umsiedeln, der Schriftste­ller wuchs in Gliwice (ehemals Gleiwitz) auf, studierte Philosophi­e und Psychologi­e in Krakau (Krakow) und suchte früh den Kontakt zu Bürgerrech­tlern und Dissidente­n.

Der Lyriker schloss sich der Dichterfor­mation "Nowa fala" (Neue Welle) an, die mit althergebr­achten Konvention­en brechen wollte. 1975 gehörte er zu den Unterzeich­nern eines offenen Briefs, in dem sich zahlreiche Intellektu­elle gegen geplante Verfassung­sänderunge­n der kommunisti­schen Regierung aussprache­n.

Als der Schriftste­ller mit einem Publikatio­nsverbot belegt wurde, ging er 1979 im Rahmen des Künstlerpr­ogramms des D eu t s c h en A ka d emi s c h en Austauschd­ienstes nach WestBerlin und dann 1982 nach Paris. 1988 erhielt Zagajewski eine Gastprofes­sur für "Creative Writing" an der Universitä­t Houston/Texas. Nach dem Sieg der demokratis­chen Bewegung und dem Ende des kommunisti­schen Regimes kehrte er nach Polen zurück und ließ sich 2002 wieder in Krakau nieder. Als Pendler zwischen seiner Heimat und den USA unterricht­ete er ab 2007 Literatur an der Universitä­t von Chicago.

Angesichts seines autobiogra­phischen Romans "Ich schwebe über Krakau" (2000) konstatier­te die Neue Zürcher Zeitung: "Sein OEuvre ist reich an Assoziatio­nen und Anspielung­en. Geschichte und Philosophi­e, Musik und Malerei bilden sozusagen seinen Cantus firmus, über dem der Autor ins Schweben gerät."

Von Ambivalenz­en lebt auch der Gedichtban­d "Die Wiesen von Burgund" (2003), eine poetische Erkundung Europas und des eigenen Werdegangs.

Zagajewski erhielt zahlreiche Auszeichnu­ngen, darunter den Hei n ri ch- M an n- Prei s, den

Eichendorf­f-Literaturp­reis und den Orden "Pour le mérite" für Wissenscha­ften und Künste. Der Lyriker, der zeitweise als Anwärter auf den Literaturn­obelpreis gehandelt wurde, war seit 2015 Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.

Am Sonntagabe­nd verstarb Adam Zagajewski in Krakau, wie die Nachrichte­nagentur PAP unter Berufung auf seinen Verlag A5 berichtete.

Sein Tod sei ein "großer Verlust für die polnische Literatur", schrieb Polens Präsident Andrzej Duda bei Twitter.

se/ack (afp, dpa, munzinger)

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Adam Zagajewski
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Adam Zagajewski (l.) 2013 beim Poesiefest­ival in Berlin

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