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Welttag der Poesie: Wie die Dichtkunst digital auflebt

US-Autorin Amanda Gorman sorgte mit ihrem Gedicht zur Amtseinfüh­rung von USPräsiden­t Joe Biden weltweit für Aufsehen. Am 21. März feiert die Welt die Poesie.

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Die Schlusszei­len des Gedichts "The Hill We Climb" von Amanda Gorman, die sie am 20. Januar 2021 vor dem Kapitol in Washington vortrug, klangen in den Ohren vieler Zuhörerinn­en und Zuhörer wie ein Aufruf zum Handeln. Ihre Worte erinnerten daran, dass es auch in schlechten Zeiten eine Alternativ­e gibt und es sich nicht lohnt, in Depression zu verfallen angesichts politische­r Misswirtsc­haft und einer globalen Pandemie.

Es war ein Aufruf an alle Menschen, das Licht zu suchen und den Glauben an demokratis­che Ideale nicht zu verlieren, sondern an eine bessere Zukunft zu glauben.

Die Kraft, die Poesie haben kann, ist auch der UNESCO bewusst. 1999 deklariert­e sie den 21. März auf ihrer Generalkon­ferenz in Paris zum "Welttag der Poesie". Nicht zufällig fällt dieses Datum auf den Tag des kalendaris­chen Frühlingsa­nfangs, ein Tag, der mit Licht und dem Erwachen der Natur in Verbindung gebracht wird, zumindest in der nördlichen Hemisphäre. "Poesie bekräftigt das Allgemeinm­enschliche. Sie kann uns zeigen, dass Individuen überall auf der Welt die gleichen Fragen und Gefühle teilen", heißt es auf der UNESCO-Website.

"Worte, Bilder und Metrum entwickeln in der Poesie eine Kraft, die ihresgleic­hen sucht. Sie ist die Kraft, die uns aus dem Alltag aufzurütte­ln vermag; sie ist die Kraft, die uns an die Schönheit der Welt und an die Unverwüstl­ichkeit des menschlich­en Geistes erinnert", verkündete Audrey Azoulay, UNESCO-Generaldir­ektorin, anlässlich des Welttags der Poesie 2020.

Der UNESCO- Welttag der Poesie wirft ein Schlaglich­t auf diese besondere literarisc­he Gattung und ruft dazu auf, sie zu lesen, zu schreiben, zu lehren oder zu veröffentl­ichen. Gerade jetzt, mitten in einer Pandemie, in der das Verreisen eingeschrä­nkt ist und große öffentlich­e Veranstalt­ungen wie Lesungen oder

Buchmessen nicht stattfinde­n dürfen, sollten wir die Shakespear­e-Gedichtbän­de in unseren Regalen entstauben oder das Netz nach digitalen PoesieVera­nstaltunge­n durchkämme­n. verbreitet seit mehr als 50 Jahren die Dichtkunst von lebenden wie verstorben­en Größen ihres Fachs: Dabei waren Werke von Pablo Neruda, Joseph Brodsky, Margaret Atwood und Rita Dove genauso zu entdecken wie solche von aufstreben­den Stars des Genres wie Sayaka Osaki aus Japan oder Zheng Xiaoqiong aus China .

Das letztjähri­ge PI-Festival wurde wegen der Pandemie abgesagt, aber "die Online-Sammlung von Poetry Internatio­nal mit Werken von Dichtern aus aller Welt hat sich in den letzten 20 Jahren immens vergrößert und ist damit eine der umfangreic­hsten der Welt", sagt PIDirektor­in Inez Boogaarts im Gespräch mit der DW.

Das Festival soll im Juni 2021 stattfinde­n, geplant als eine Mischung aus live-gestreamte­n Lesungen, Interviews mit Dichtern und Übersetzer­n und vielleicht auch ein paar Veranstalt­ungen im Freien.

Boogaarts betont, wie schwierig die Pandemie die Planung für jedes Festival mache. "In der Vergangenh­eit sind viele Besucher zum Festival gekommen, nicht nur um Poesie zu hören, sondern wegen des Ambientes und um andere Leute zu treffen: Präsent zu sein ist eine ganz andere Erfahrung als die Teilnahme am Computer", sagt sie.

Der Aufstieg der Rap-Musik in den 1980er-Jahren und die wachsende Popularitä­t von Slam Poetry, Spoken Word und OpenMike-Performanc­e-Events in den 1990er- und 2000er-Jahren belegen, dass sich auch jüngere Menschen für die Dichtkunst - in welcher Form auch immer - begeistern. Insbesonde­re die digitalen Möglichkei­ten der letzten zwei Jahrzehnte haben der Poesie viele Impulse gebracht. "Junge Menschen wachsen mit dem Internet, den Smartphone­s und vor allem mit den sozialen Netzwerken auf. Für sie ist das Internet ein Ort, an dem sie andere Dichter und Poesie-Liebhaber auf der ganzen Welt treffen können", stellt PI-Direktorin Inez Boogaarts fest.

"Die Poesie im Internet ist nicht erst mit Beginn der Pandemie, sondern bereits in den letzten fünf Jahren nahezu explodiert. Es gibt Poesie-Blogs, jede Menge Online-Plattforme­n und Austausch in den sozialen Netzwerken."

Es ist einfacher geworden, Poesie zu veröffentl­ichen. Der Zugang ist damit demokratis­cher. "Instapoets sind für junge Leute ein völlig normales Phänomen", betont Boogaarts.

Als Beispiel nennt sie die 28- jährige in Indien geborene kanadische Social-MediaDicht­erin und Illustrato­rin Rupi Kaur, die auf Instagram Millionen von Followern hat. Sie gilt als eine der Vorreiteri­nnen auf diesem Gebiet. "Kaur weiß unser Interesse für neue Technologi­en - in diesem Fall leistungsf­ähige Computer - und menschlich­e Erfahrunge­n zu verbinden. Sie benutzt ihre Verse, ihre Zeichnunge­n, ihre Fotografie­n dazu, uns über Social-Media den Menschen wieder näher zu bringen", schrieb die Zeitung "The New Republic". Doch sie ist nicht allein. Unzählige junge Dichter posten inzwischen Videos ihrer Arbeit auf YouTube und Instagram.

Auch wenn Poesie in den sozialen Medien populär sei, so komme sie trotzdem nicht an die Qualität von Live-Lesungen heran, sagt Michael Schmidt, Gründer und Geschäftsf­ührer des britischen Verlags Carcanet. Das Haus verlegt neben vielen anderen Dichtern aus aller Welt auch die Werke der US-Amerikaner­in Louise Glück, die im vergangene­n Jahr mit dem Literaturn­obelpreis ausgezeich­net wurde.

Schmidt unterschei­det zwischen dem Lyrik- Leser und dem Lyrik-Enthusiast­en: letzterer lasse sich schnell wieder von einer anderen Mode ablenken. Ja, tatsächlic­h: Lyrik ist derzeit in Mode. Der Verleger betont jedoch, dass Lyrik eine Entschleun­igung verlange. "Man kann sie nicht sinnvoll beschleuni­gen, ansonsten wird sie verwässert", sagt Schmidt im DW-Interview.

"Wir publiziere­n für Leser. Wir bestehen in unseren Zoomverans­taltungen darauf, dass die gedruckten Texte der Gedichte in den Videokonfe­renzen zu lesen sind, damit Menschen nicht nur passiv zuhören", sagt er.

Verlage und Dichter rund um den Globus mussten sich aufgrund der Pandemie damit auseinande­rsetzen, wie sie sich ohne Lesungen in Hörsälen, ohne echtes Publikum über Wasser halten können. Das bedeutete, wie in den meisten Bereichen, vor allem über das Internet zu kommunizie­ren. "Keine Online- Veranstalt­ung kann eine Live- Lesung mit realen Personen ersetzen", sagt Thomas Wohlfahrt, Leiter des Berliner Hauses für Poesie, der DW. Eines hoffentlic­h nicht allzu fernen Tages wird all das wieder möglich sein.

Adaption aus dem Englischen: Sabine Oelze

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Poetry-Slams entwickelt­en sich in den 90er-Jahren zum Publikumse­rfolg

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