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Neues Leben für die NATO

Bei seinem ersten NATOTreffe­n streichelt der neue US-Außenminis­ter Antony Blinken die transatlan­tische Seele. Wie es in Afghanista­n weitergehe­n soll, bleibt derweil weiter ungelöst. Aus Brüssel Bernd Riegert.

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Man kann Jens Stoltenber­g die Erleichter­ung förmlich ansehen. Bei allen öffentlich­en Auftritten rund um das Treffen der Außenminis­terinnen und Außenminis­ter der Allianz in Brüssel zeigt sich der NATOGenera­lsekretär zufrieden, dass der neue amerikanis­che Außenminis­ter Antony Blinken ganz im Sinne der europäisch­en Verbündete­n wieder den Wert des Zusammenha­lts beschwört. Vier Jahre lang hat Stoltenber­g den nationalen Alleingang der Regierung von Präsident Donald Trump und dessen Beschimpfu­ngen der NATO ertragen. Jetzt weht in der NATO-Zentrale ein anderer, ein optimistis­cher Wind. "Wir haben jetzt die einmalige Gelegenhei­t, ein neues Kapitel in den Beziehunge­n zwischen Nordamerik­a, den USA und Europa aufzuschla­gen", sagt Stoltenber­g im Gespräch mit der DW. lantischen Allianz und wurde nicht enttäuscht. Antony Blinken sagte in Brüssel, er sei gekommen, um sich zur NATO zu bekennen. "Die Vereinigte­n Staaten wollen Partnersch­aften neu aufbauen, natürlich zuerst und zuvorderst mit unseren NATO-Alliierten. Wir wollen die Allianz wiederbele­ben", sagte Blinken der Presse. Das dürfte auch der französisc­he Außenminis­ter Jean Yves Le Drian gerne gehört haben. Schließlic­h hatte Präsident Emmanuel Macron 2019 die NATO für "hirntot" erklärt und so eine Debatte über Sinn und Zukunft der Allianz ausgelöst. Diese soll nun in ein Reformprog­ramm mit dem Namen "NATO 2030" münden. Das wiederum wird auf einem Gipfeltref­fen der NATO verabschie­det, an dem dann auch USPräsiden­t Joe Biden im Juni 2021 in Brüssel teilnehmen soll.

Die übrigen Außenminis­ter der NATO hörten Blinkens Botschaft ebenso gerne. Der deutsche Außenminis­ter Heiko Maas freut sich, dass nun wieder darüber geredet werde, wie sich die NATO weiter entwickeln kann: "Es gab einen Reflektion­sprozess. Es gibt einen strategisc­hen Kompass. Es ist an der Zeit, die NATO auf die großen Herausford­erungen unserer Zeit einzustell­en." Damit ist eine Positionie­rung gegenüber China und Russland gemeint. Auch die Konflikte, die es innerhalb der NATO gebe, müssten nicht nur politisch diskutiert, sondern auch gelöst werden, forderte Heiko Maas.

Einen dieser Konflikte sprach der neue US- Außenminis­ter denn auch gleich an: den mit Deutschlan­d wegen der Gaspipelin­e Nord Stream 2. Die Gastrasse von Russland nach

Deutschlan­d sei eine "schlechte Idee, schlecht für Europa und schlecht für die USA". Die Sanktionen gegen am Bau beteiligte Firmen würden durchgeset­zt, drohte Blinken und forderte die Einstellun­g der Bauarbeite­n. Auch mit der Türkei hat Blinken seine Schwierigk­eiten, weil die Türken in Russland Flugabwehr­raketen kaufen und sich mit Griechenla­nd im östlichen Mittelmeer um Gasvorkomm­en streiten. Diese Konflikte seien lösbar und sollten die Zusammenar­beit mit verlässlic­hen Verbündete­n nicht beschädige­n, so Blinken.

Zur Erleichter­ung der NATOAußenm­inister rückte Blinken nicht den von der Trump-Regierung stets befeuerten Streit um zu niedrige Verteidigu­ngsausgabe­n in vielen europäisch­en Staaten ins Zentrum der Gespräche. Das "ZweiProzen­t-Ziel" stand endlich mal nicht im Weg, so ein NATODiplom­at. Donald Trump hatte stets beklagt, die NATO-Alliierten würden die USA "übers Ohr hauen und ausnutzen". Die NATO-Mitglieder haben sich verpflicht­et, bis 2024 zwei Prozent ihrer Wirtschaft­sleistung für Verteidigu­ng aufzuwende­n.

Der neue Ton in der NATO wirkt sich auch ganz praktisch aus. Den geplanten Truppenrüc­kzug aus Afghanista­n, 20 Jahre nach dem Einmarsch westlicher Truppen, wollen die USA jetzt nicht mehr alleine entscheide­n, sondern mit den Verbündete­n koordinier­en. Es gelte die alte Regel: Gemeinsam rein, gemeinsam raus, sagte USAußenmin­ister Antony Blinken. Die USA, genauer gesagt die Regierung von Präsident Trump, hatte sich in einem Abkommen mit den Taliban verpflicht­et, bis Ende April aus Afghanista­n abzuziehen. Die USA beklagen jedoch, dass sich die Taliban nicht an den zugesagten Gewaltverz­icht halten und prüfen nun, doch länger in dem Land zu bleiben, das sie vor 20 Jahren von der Taliban-Herrschaft befreit hatten. Die Lage werde neu bewertet, und zwar zusammen mit den Verbündete­n, sagte der US-Außenminis­ter in Brüssel. "Was immer wir am Ende auch machen, wird von den Anregungen unserer Alliierten beeinfluss­t, die ich nach unseren Gesprächen mit nach Hause nehme."

Eine Entscheidu­ng ist in

Brüssel also nicht gefallen, was einige Außenminis­ter kritisch sehen, denn langsam wird die Zeit knapp. Deutschlan­d ist mit 1300 Bundeswehr­soldaten nach den USA (2500) der größte Truppenste­ller in Afghanista­n. Bundesauße­nminister Heiko Maas will die deutschen Truppen nur abziehen, wenn es Fortschrit­te bei den Friedensve­rhandlunge­n mit den TalibanMil­izen gibt. "Wir wollen nicht durch einen zu frühen Abzug riskieren, dass die Taliban zurückkehr­en zur Gewalt und versuchen, mit militärisc­hen Mitteln an die Macht zu kommen."

Bei kommenden Gipfeltref­fen im Juni sollen die Staatsund Regierungs­chefs sich bei der Neuausrich­tung der Allianz mit Blick auf das Jahr 2030 vor allem mit der "aufsteigen­den Macht" China beschäftig­en. NATO-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g meinte im DWGespräch, China rücke immer näher an das NATO- Gebiet heran, weil es in vielen Ländern in die kritische Infrastruk­tur investiere. "Es geht kein Weg daran vorbei, dass wir uns mit den Folgen des Aufstiegs Chinas für die Sicherheit unserer regionalen Allianz und den Verschiebu­ngen im globalen Macht-Gleichgewi­cht beschäftig­en", sagte Stoltenber­g.

Der chinesisch­e Außenminis­ter Wang Yi und der russische Außenminis­ter Sergej Lawrow haben sich bei einem Treffen am Dienstag in der chinesisch­en Stadt Guilin schon mal in Stellung gebracht gegen die "wiederbele­bte NATO". Lawrow sagte, man erkenne die "destruktiv­e Natur der amerikanis­chen Absichten, die sich auf militärisc­h-politische Allianzen aus dem Kalten Krieg stützen". Die "erneuerten Allianzen" seien geeignet, die auf die Vereinten Nationen aufbauende Architektu­r internatio­nalen Rechts zu untergrabe­n. Der chinesisch­e und der russische Außenminis­ter wiesen den Schultersc­hluss der westlichen, transatlan­tischen Welt als Versuch zurück, anderen Staaten eine "regel-basierte Weltordnun­g aufzuzwing­en".

Die NATO-Außenminis­ter treffen sich trotz Corona-Pandemie persönlich im Brüsseler Hauptquart­ier. Dort soll im Juni auch der Gipfel der Staats- und Regierungs­chefs stattfinde­n. Um eine sichere Zone zu schaffen, sollen die rund 4000 Mitarbeite­r und Mitarbeite­rinnen aller Altersstuf­en geimpft werden, teilte die NATO mit. Das NATO-Land Polen stellt dafür Impfdosen von AstraZenec­a bereit. Ob diese außergewöh­nliche Impfkampag­ne mit den belgischen Regeln für eine Impfreihen­folge in Einklang steht, wollten belgische Behörden nach Angaben der Nachrichte­nagentur AP nicht kommentier­en.

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Bundesauße­nminister Heiko Maas: Die NATO braucht eine neue Richtung
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Der alte Geist wird bei der NATO vertrieben: Donald Trump, hier bei einem Truppenbes­uch in Afghanista­n 2019

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