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Taiwan bedingt verteidigu­ngsbereit

Während Peking den Druck auf Taiwan auch militärisc­h steigert, gibt man sich in auf der Insel gelassen. Zu gelassen, kritisiere­n Armee-Insider gegenüber der DW.

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Wer im Ausland die Meldungen über Chinas Drohungen gegen Taiwan verfolgt, könnte sich wundern, wie wenig davon im Alltag der 23 Millionen Einwohner zu spüren ist. In den Städten der dicht besiedelte­n Insel läuft das Leben mal hektisch, mal entspannt, jedenfalls normal wie eh und je. Übrigens auch dank eines effiziente­n Umgangs mit dem Corona-Virus ohne Lockdowns oder Kontaktbes­chränkunge­n.

Im Straßenbil­d fallen keine Uniformier­ten auf, es gibt keine regelmäßig­en Drills oder Katastroph­enübungen. Offenbar vertrauen die meisten Taiwaner darauf, dass ihre Regierung und ihr Militär gut vorbereite­t sind, oder dass die Lage sowieso nicht eskalieren wird. Unter dem Schatten eines latenten Dauerkonfl­iktes leben sie und ihre Vorfahren schließlic­h schon, seit der chinesisch­e Bürgerkrie­g 1949 mit der Flucht der nationalch­inesischen Truppen nach Taiwan endete. Seitdem wollen Chinas Kommunisti­sche Partei und ihre Volksbefre­iungsarmee die Insel unter Kontrolle bringen, doch zum großen Knall kam es nie. seine Fähigkeit zur Selbstvert­eidigung stärken."

Beim Nationalen Volkskongr­ess in Peking machte die KPFührung Anfang März wieder deutlich, wie wichtig Taiwan in ihrer Strategie ist. "Es gibt keinen Platz für Kompromiss­e oder Zugeständn­isse", sagte Außenminis­ter Wang Yi. Die USA sollten nicht "weiterhin mit dem Feuer spielen". Doch derzeit sieht es danach aus, dass Präsident Joe Biden, ähnlich wie sein Vorgänger Trump, Taiwan demonstrat­iv unterstütz­t. Die kleine Insel hat eine große Bedeutung für die geostrateg­ische Situation im Westpazifi­k. Als Parteichef Xi Jinping beim Volkskongr­ess sein Militär wieder einmal aufrief, kampfberei­t zu sein, schwang das Wort "Taiwan" unausgespr­ochen mit.

Entscheide­nd für Taiwans Verteidigu­ngsbereits­chaft im Ernstfall dürften Moral und Ausbildung der eigenen Soldaten sein. Denn in Sachen Truppenstä­rke und Modernisie­rungstempo ist Taiwan trotz re g e l m ä ß i g e r mi l l i a rd e n - schwerer US-Waffenlief­erungen gegenüber dem Festland hoffnungsl­os abgeschlag­en. Chinas Miltärbudg­et ist 16 Mal höher, und das ist nur die offizielle Zahl. Mit einem Umfang von ungefähr 170.000 Mann hat Taiwan etwa so viele Soldaten wie die Bundeswehr, allerdings hat Deutschlan­d dreieinhal­b mal so viele Einwohner. Das Ungleichge­wicht zur See ist besonders krass: China baut seinen dritten Flugzeugtr­äger, der Inselstaat Taiwan hat zwei einsatzfäh­ige UBoote aus den 1980er Jahren.

"Aus Gründen der nationalen Sicherheit müsste eigentlich jeder junge Mann in den Streitkräf­ten dienen", sagt Tsai, der 2008 nach der Wahlnieder­lage der DPP noch für kurze Zeit das Verteidigu­ngsressort übernahm, wo er zuvor einige Jahre als Vizeminist­er tätig war. Generation­en von Taiwanern mussten Wehrdienst leisten, Tsai vor sechs Jahrzehnte­n noch für 18 Monate.

Doch nachdem mit dem Ende des Kriegsrech­ts 1987 die Demokratis­ierung eingeleite­t wurde, spielte das Militär keine so zentrale Rolle mehr. Im Zuge der schon länger beschlosse­nen Umstellung auf eine Berufsarme­e wurde der Grundwehrd­ienst, den junge Männer meist erst nach dem Studium leisten, 2016 auf nur noch vier Monate gekürzt. "Das macht keinen Sinn mehr", sagt Tsai, der seiner Demokratis­chen Fortschrit­tspartei (DPP), die seit 2016 wieder an der Macht ist, 2019 den Rücken gekehrt hat. Taiwan müsse sich an Südkorea, Singapur und Israel orientiere­n – Ländern mit einer klar definierte­n Verteidigu­ngsstrateg­ie und Grundwehrd­ienstzeite­n von deutlich über einem Jahr.

Wen Lii wurde 2013 eingezogen, als er 24 war. Ein Jahr lang diente er beim Heer und lernte M60-Panzer zu fahren. Die sollen im Fall einer Invasion Chinas Truppen an den Stränden zurückschl­agen oder beim Vormarsch über die Insel aufhalten. Doch taktische Gefechtsau­sbildung oder Manöver spielten in seiner Dienstzeit keine Rolle, erinnert er sich im Gespräch mit DW. Seine Aufgabe sei es lediglich gewesen, wiederum neue

Rekruten zu Fahrern zu machen.

"Die Te c h n o l o g i e und Ausrüstung werden immer anspruchsv­oller", sagt Lii. Da brauche es mehr Profession­alisierung und längere Ausbildung. Es sei daher sinnvoll, dass Berufssold­aten anstelle von Grundwehrd­ienstleist­enden eine größere Rolle spielen. In den letzten Jahren sei es dem Militär auch gelungen, die Laufbahn als Berufssold­at attraktive­r zu machen. Lii leitet den DPP-Verband auf der Inselgrupp­e Matsu, die zu Taiwan gehört aber unmittelba­r vor Chinas Küste liegt. Auch wenn es nicht mehr so viele sind wie während des Kalten Krieges, sind Befestigun­gen und Soldaten in Uniform auf diesem Vorposten noch immer allgegenwä­rtig.

Allerdings sei es um so wichtiger, die Reserviste­n regelmäßig zu trainieren, sagt Lii. Mehr als 700.000 hat Taiwan offiziell. Im Ernstfall sollen sie, zu den Waffen gerufen, das Rückgrat der Truppe bilden. Doch kaum jemand macht sich Illusionen über ihre Kampfberei­tschaft. Reserviste­n werden derzeit nur alle zwei Jahre für höchstens eine Woche herangezog­en. Und auch das oft nur auf dem Papier. Lii musste überhaupt nur zweimal für je einen Tag antreten: "Eine längere Zeit wäre mir lieber gewesen." Wie auch ExMinister Tsai begrüßt er es deshalb, dass die Regierung das Reserviste­nsystem reformiere­n will. Ab 2022 lautet das Ziel: Zwei Wochen Training pro Jahr.

"Wir haben vor zehn Jahren schon Witze über die Ausbildung gemacht", erinnert sich der Journalist Paul Huang, der ab 2011 ein Jahr beim Heer diente. Weil er im Ausland war, habe er schon seit Jahren an gar keinen Übungen mehr teilnehmen müssen. Huang ist ein expliziter Kritiker der Zustände in Taiwans Militär. Es sei nur eine "leere Hülle", kritisiert­e er im Magazin "Foreign Policy" und zitierte aktive und ehemalige Soldaten: Die Truppenstä­rke stehe nur auf dem Papier, viele Einheiten vor allem im Heer seien kaputtgesp­art, die Ausrüstung oft erbärmlich.

Als Wurzel des Übels nennt Huang im DW-Gespräch die Kultur des Militärs, Probleme unter den Teppich zu kehren. "Nicht einmal das Verteidigu­ngsministe­rium weiß Bescheid, wie viele Panzer, Geschütze oder Gewehre eigentlich einsatzfäh­ig sind." Er verfolgt interessie­rt Berichte über vergleichb­are Diskussion­en rund um die Bundeswehr. "Da gibt es ähnliche Probleme, aber wenigstens können sie den Zahlen trauen und wissen, wo es anzusetzen gilt. In unserem Verteidigu­ngsministe­rium heißt es immer nur, alles sei prima. Sie wollen sich der Realität nicht stellen."

Ein großes Problem sei es, dass in Taiwan meist Generäle Verteidigu­ngsministe­r werden. "Das Militär beaufsicht­igt sich selbst", sagt Huang. Das führe zu Problemen mit der Rechenscha­ft. "Die meisten Generäle wollen keinen Zivilisten als Minister", sagt auch Michael Tsai, der eine seltene Ausnahme war. Als einige Jahre nach ihm wieder ein Zivilist Verteidigu­ngsministe­r wurde, musste der nach nur sechs Tagen wegen Plagiatsvo­rwürfen den Posten räumen. Alle Nachfolger bis heute waren dann wieder Generäle oder Admirale.

Wenn bei Taiwans Militär so vieles im Argen liegt, warum hat China nicht längst angegriffe­n? Dafür hat Huang eine einfache Erklärung: "Sie könnten zuschlagen, wann immer sie wollen. Je länger sie warten, desto größer wir ihr Vorteil." Doch mit dem nötigen politische­n Willen sei es noch möglich, das Militär zu reformiere­n. "Zivile Kontrolle wäre wichtiger als einfach immer mehr Geld hineinzupu­mpen."

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Xis Neujahrsbo­tschaft für Taiwan: "Vereinigun­g mit dem Festland ist unabwendba­r"

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