Deutsche Welle (German edition)

Benjamin Netanjahus nächstes Gefecht: Israel wählt schon wieder

Die vierte Wahl in zwei Jahren: Nach den drei letzten Anläufen hat es Benjamin Netanjahu immer knapp geschafft, eine Regierung zu bilden. Jetzt versucht er mit der Impfkampag­ne zu punkten. Von Tania Krämer, Jerusalem.

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Vor über zwei Wochen konnte Nuriel Zarifi erstmals wieder sein Café in West-Jerusalem richtig öffnen. Wegen der Pandemie war zuvor nur Außer-HausVerkau­f möglich. Jetzt laden Stühle und Tische - drinnen wie draußen - wieder zu Kaffee und frischem Gebäck ein. Nach drei langen Lockdowns und nachdem schon fast die Hälfte der Israelis vollständi­g geimpft sind, hat Israel viele der Einschränk­ungen aufheben können - kurz vor der Parlaments­wahl am Dienstag. "So einige Male habe ich gedacht, dieses Mal reicht es, ich gehe nicht wählen", sagt Zarifi, seit langem Anhänger der konservati­ven Likud Partei von Benjamin Netanjahu. "Aber dann sehe ich all diesen Hass gegen Netanjahu. Was immer er tut, es ist nicht gut, es wird kritisiert. Und das hat mich bewogen, wählen zu gehen: für ihn!"

An diesem Dienstag wählen die Israelis zum vierten Mal innerhalb von zwei Jahren. Die letzte Regierung, geführt von Benjamin Netanjahu (Likud) und Benny Gantz (Blau-Weiß), brach im Dezember auseinande­r. BlauWeiß spielt diesmal keine Rolle. Die Wähler des Mitte-LinksBündn­isses haben es Gantz nicht verziehen, dass er sich auf eine Koalition mit Netanjahu einließ, den sie unbedingt aus dem Amt drängen wollten.

Auch wenn eigentlich Parteien gewählt werden, so geht es auch diesmal, so wie bei den letzten drei Wahlen, erneut um eine Abstimmung für oder gegen Netanjahu. Der langjährig­e Ministerpr­äsident ist seit zwölf Jahren im Amt, steht wegen mutmaßlich­er Korruption vor Gericht und seine Person scheint die Gesellscha­ft seit Jahren immer weiter zu spalten.

Für Cafébesitz­er Zarifi ist das nicht ausschlagg­ebend. "Leute sagen mir, warum stimmst Du nicht für eine Veränderun­g, für Jair Lapid oder Gidon Sa'ar," sagt Zarifi und meint dabei zwei der aktuellen Konkurrent­en von Netanjahu. "Ich sage dann immer, schließ Deine Augen und stelle Dir vor, ob derjenige das Land führen kann. Wenn ich meine Augen schließe, sehe ich Netanjahu. Ich fühle mich damit wohl," macht Nuriel Zarifi deutlich. "So wie zu Beginn der Corona-Krise, da hatte ich das Gefühl, ich kann mich auf ihn verlassen. Er hat die Impfstoffe gekauft, er hat das Leben gewählt." Neustart oder dasselbe noch mal

Doch das Handeln der Regierung - und von Ministerpr­äsident Netanjahu - in Sachen Corona wurde im vergangene­n Jahr oft heftig kritisiert. Tausende Demonstran­ten gingen gegen die Regierungs­politik in der Coronaviru­s-Krise auf die Straße, viele forderten zugleich den Rücktritt von Netanjahu wegen seiner Korruption­sanklagen. Am Samstag fand wieder eine große Demo statt - für die Demonstran­ten geht es um mehr als das Impfen, für das viele Israelis dem Ministerpr­äsidenten und dem israelisch­en Gesundheit­ssystem Kredit geben.

Maya Rimer war im vergangene­n Jahr häufig bei den Anti-Regierungs­protesten in Jerusalem dabei. "Ich würde gerne Politiker sehen, die für uns da sind und sich nicht nur um sich selbst kümmern", sagt die junge Israelin. Rimer hofft auf eine grundsätzl­iche Veränderun­g und macht sich Sorgen, das es vielleicht sogar eine fünfte Wahl geben könnte. "Das ist jetzt die vierte Wahl, und es sieht noch nicht einmal danach aus, dass das die letzte sein wird. Es scheint nicht, dass dies die Antwort auf all das hier ist."

Im März vor einem Jahr sowie im September und Dezember hatte die Regierung dreimal strikte Lockdowns verhängt. Ende des Jahres waren die Infektions­zahlen nochmal gestiegen - gleichzeit­ig startete Benjamin Netanjahu seine Impfkampag­ne. Israel erhielt genügend BioNTech-Pfizer Impfstoff im Austausch gegen Gesundheit­sdaten aus der Impfkampag­ne für das Pharmaunte­rnehmen. Fast die Hälfte der Israelis sind seitdem voll geimpft, und wenige Wochen vor der Wahl konnten viele Beschränku­ngen aufgehoben werden.

Die letzten Umfragen verschiede­ner israelisch­er Medien am Freitag vor der Wahl haben gezeigt, dass Netanjahus Likud Partei mit 29 bis 32 Sitzen die stärkste Kraft in der Knesset werden könnte, dem israelisch­en Parlament. Allerdings haben sich Wahlprogno­sen in Israel nicht immer als zuverlässi­g erwiesen. Sie geben aber eine Tendenz wieder. Zwei größere Parteienbl­öcke stehen sich gegenüber und wollen dabei die nächste Koalitions­regierung bilden - aber für keinen scheint es einen einfachen Weg zu geben, die dafür erforderli­che Mehrheit von 61 von 120 Knesset-Sitzen zu erhalten. Und: Noch sind nicht alle Allianzen eindeutig geklärt.

Netanjahu zählt wie immer auf die ultra-orthodoxen Parteien und wird diesmal auch die Sitze einer kleinen extremisti­schen Parteienal­lianz (Religious Zionism) benötigen. Sein Block braucht aber auch, sollten sich die Umfragen bestätigen, die Hilfe von Naftali Bennetts national-religiöser Yamina-Partei ("Nach rechts"), um auf die nötigen Sitze zu kommen. Bennett hat es aber bislang offengelas­sen, mit wem er eine Koalition eingehen wird. Unklar ist, ob er die Unterstütz­ung einer kleinen arabisch-israelisch­en Partei (Vereinigte Arabische Liste/Ra'am) bekommt, nachdem er erstmals arabischst­ämmige Wähler umworben hatte.

Netanjahu setzte im Wahlkampf auf seine außenpolit­ischen Erfolge, wie die Friedensab­kommen etwa mit den Vereinigte­n Arabischen Emiraten oder Bahrain. Aber der zentrale Fokus lag auf der weltweit gelobten und schnellen Impfkampag­ne gegen das Coronaviru­s und der Öffnung des Landes. Die Erinnerung an die drei langen Lockdowns ist etwas in den Hintergrun­d gerückt. "180 Regierungs­chefs und Präsidente­n haben bei Pfizer und Moderna angerufen. Sie haben nicht abgehoben. Aber meinen Anruf haben sie entgegenge­nommen", sagte Netanjahu vor Kurzem. "Und ich habe sie überzeugen können, dass Israel das Modell für eine erfolgreic­he Impfkampag­ne werden kann. Genauso ist es gekommen. Aber wer wird das weiterführ­en? Weder Lapid, noch Bennett, noch Gidon. Sie können es nicht. Nur ich kann das!"

Der Anti-Netanjahu-Block

Seine Gegner versammeln sich rund um den Slogan "Alles - nur nicht Netanjahu". Einige dieser Parteien kommen diesmal aus dem Umfeld von Netanjahus eigenem rechtskons­ervativen Lager - oder waren frühere Koalitions­partner.

Einer der führenden Politiker ist Jair Lapid, Vorsitzend­er der zentristis­chen Partei "Es gibt eine Zukunft" (Yesh Atid). Lapid, früher Finanzmini­ster unter Netanjahu, führte einen unaufgereg­ten Wahlkampf, in dem es unter anderen um Demokratie­fragen, Wirtschaft und Kritik an der Regierungs­politik in der Pandemie ging. Die letzten Umfragen sagen Yesh Atid 18 bis 20 Sitze voraus und machen Lapids Partei zur zweitstärk­sten Kraft hinter dem Likud. "Es gibt immer noch eine beispiello­se Anzahl von Menschen, die noch unentschlo­ssen sind, das macht etwa 10 Sitze aus," appelliert­e Lapid an die Wähler. "Sie sollten wissen, wenn sie nicht für Yesh Atid stimmen, dann bekommen wir eine dunkle, rassistisc­he, homophobe und erpresseri­sche Regierung. Letztlich müssen wir eine starke Kraft werden, um Veränderun­gen herbeizufü­hren."

Im rechten Lager tritt der frühere Likud-Politiker Gidon Sa'ar mit seiner neuen Partei "Neue Hoffnung" gegen Netanjahu an. Naftali Bennett, Vorsitzend­er der national-religiösen Yamina Partei (Nach Rechts) und früherer Verteidigu­ngsministe­r, hält sich dagegen alles offen: Er will einerseits Ministerpr­äsident werden, hat sich aber nicht klar geäußert, in welche Koalition er einsteigen würde. "Heute haben wir es mit drei oder vier führenden Politikern des Anti-Netanjahu-Blocks zu tun, die zwar gemeinsam gegen Netanjahu, aber politisch völlig getrennt voneinande­r sind", sagt Politikwis­senschaftl­er Maoz Rosenthal vom Interdiszi­plinären Zentrum in Herzliya. Die Fähigkeit, unter diesen Umständen zusammenzu­arbeiten und eine Koalition zu bilden, sei sehr begrenzt: "Das ist die Komplexitä­t dieser Wahl."

Am Dienstagab­end um 22:00 Ortszeit, nach dem Schließen der Wahllokale, bringen die Fernsehsen­der die ersten Prognosen. Aufgrund besonderer Pandemie-Maßnahmen und den zusätzlich­en Wahlstatio­nen für COVID-19 Patienten und Menschen in Quarantäne könnte die Auszählung der Stimmen sogar etwas längern dauern, so die israelisch­e Wahlkommis­sion. Die Aussicht auf wochenlang­e schwierige Koalitions­verhandlun­gen, eine erneute Pattsituat­ion oder gar eine fünfte Wahl bereitet jetzt schon vielen israelisch­en Wählern Sorgen.

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Benjamin Netanjahu ist überall präsent
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Cafébesitz­er Nuriel Zarifi hofft auf Netanjahu - und will ihn gegen Kritik verteidige­n

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