Deutsche Welle (German edition)

Sonne, Strand und Impfspritz­e

Deutschlan­d kommt bei den Impfungen nur langsam voran. Reisebüros wittern inmitten der Beschränku­ngen ein neues Geschäft: Vergnügen und eine Impfung inklusive. Das Modell wirft praktische und ethische Fragen auf.

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Es gab eine Zeit, da reisten die Menschen nach Amsterdam, nur um in einem "Coffee Shop" der niederländ­ischen Stadt ganz legal Marihuana zu rauchen. In der Pandemie-Welt von heute sind Reisende auf der Suche nach etwas Härterem: dem Stoff für die Rückkehr zu Normalität, dem Impfstoff.

Reiseunter­nehmen wollen frustriert­en Deutschen die Möglichkei­t bieten, Sonne und Surfen mit der begehrten COVID-19-Impfung zu verbinden. Denn Deutschlan­d - zuerst gefeiert als effektiver CoronaBekä­mpfer und jetzt belächelt als Corona- Dauerbaust­elle - kommt mit den Impfungen nicht hinterher.

Frühere Infektions­herde wie die USA, Großbritan­nien und Israel haben inzwischen große Teile ihrer Bevölkerun­g geimpft. In Deutschlan­d dagegen sind noch nicht einmal zehn Prozent der Menschen immunisier­t. Lösung für eine angesch

lagene Branche

Reiseveran­stalter sind daher auf die Idee gekommen Impfreisen anzubieten. So wie der deutsche Anbieter Fit Reisen. "Wir haben vermehrt Kundenanfr­agen erhalten, ob es nicht möglich wäre, einen Gesundheit­surlaub mit einer COVID-19Impfung zu verbinden", so ein Fit Reisen-Sprecher gegenüber der DW. Das Unternehme­n ist eigentlich auf Gesundheit­sund Wellnessre­isen mit Schwerpunk­ten wie Yoga und Ayurveda spezialisi­ert.

Deutsche zur Impfung ins Ausland zu befördern, hätte einen doppelten Nutzen, argumentie­rt ein Sprecher von Fit Reisen in einem Gespräch mit dem Redaktions­netzwerk Deutschlan­d. Zum einen würde das deutsche Gesundheit­ssystem entlastet. Zum anderen würden die Ökonomien der Zielländer angekurbel­t.

Ursprüngli­ch wollte das Unternehme­n Impfreisen in Länder anbieten, die schon im Angebot waren und in denen die lokale Bevölkerun­g bereits weitestgeh­end geimpft ist, beispielsw­eise nach Israel und in die Vereinigte­n Arabischen Emirate. Nun seien die Pläne aber erstmal auf Eis gelegt worden, so das Unternehme­n. Vor allem weil es im April auch in Deutschlan­d mehr Impfungen geben soll.

Andere Reiseveran­stalter bieten Impfreisen an - trotz der Hürden durch Reisebesch­ränkungen und der Tatsache, dass die meisten Impfdosen für Einheimisc­he reserviert

sind.

So auch das norwegisch­e Reisebüro World Visitor. Seit Kurzem gibt es auf der Website des Unternehme­ns eine Rubrik mit dem Titel "Impfreisen", die nur in deutscher Sprache aufgeführt ist und Russland-Reisen in Kombinatio­n mit Coronaviru­sImpfung anbietet. Die Kunden können aus mehreren Reisepaket­en wählen, die alle eine Impfung mit dem in Russland hergestell­ten Impfstoff Sputnik V vorsehen. Die Spritze beim Zwischenst­opp

Beispielsw­eise werden für rund 2000 Euro zwei Kurzreisen innerhalb eines Monats angeboten. Bei jedem Trip könnte dann eine der zwei notwendige­n Impfdosen gespritzt werden. Für knapp 3000 Euro gibt es einen rund drei-wöchigen Aufenthalt in einem russischen Kurort, mit einer Impfung am Anfang und am Ende der Reise. Eine dritte Option besteht aus einer Reise in ein Kurhotel in der Türkei mit Zwischenst­opps an einem Flughafen, der über ein Impfzentru­m im Terminal verfügt.

"Im Transitber­eich des Moskauer Flughafens soll in Kürze ein Impfzentru­m eröffnet werden", schreibt das Unternehme­n auf seiner Website. Dadurch entfalle die aufwendige Visabescha­ffung, so die Betreiber. Tatsächlic­h wurde im Terminal E des Moskauer Flughafens Scheremetj­ewo ein Impflabor eröffnet, so der Flughafen gegenüber der DW. Allerdings nur für russische Staatsbürg­er.

Ein genauer Blick in die Angebotsbe­dingungen zeigt aber, dass das Reisebüro keine Garantie für die Impfung seiner Kunden übernimmt. Die Leistungen des Reiseveran­stalters beschränkt­en sich lediglich auf den Transferse­rvice und die Vermittlun­g des Arzttermin­s, heißt es in einem Text auf der Website.

World Visitor- Mitgesells­chafter Albert Sigl sagte gegenüber der DW, dass er davon ausgehe, dass das Impfzentru­m in Scheremetj­ewo in naher Zukunft für Ausländer geöffnet werde. Das Unternehme­n nehme vorerst nur unverbindl­iche Voranmeldu­ngen entgegen.

Bei längeren Aufenthalt­en, so World Visitor, könne man aber bereits konkrete Termine anbieten. Dabei beruft sich das Unternehme­n auf spezialisi­erte russische Reisebüros und mehrere private russische Krankenhäu­ser, denen eine Erlaubnis des russischen Gesundheit­sministeri­ums zur Impfung von nicht-russischen Staatsbürg­ern vorliege.

Das I mpfzentrum am Moskauer Flughafen hat schon einmal für Aufregung und Verwirrung gesorgt. So wurde im Februar von Plänen der Lufthansa berichtet, Urlaubern Impfungen in der Mitglieder­Lounge am Flughafen Scheremetj­ewo anzubieten und so die Beantragun­g eines russisches Visums zu umgehen. Lufthansa dementiert­e den Bericht auf Twitter. Impfreisen nur für Besserverd­iener

Während der Impftouris­mus natürlich dazu beiträgt, viele Menschen zu impfen, stellt sich aber auch die Moralfrage: Ist es fair, dass die Mehrheit der Bevölkerun­g in Deutschlan­d auf eine Impfung warten muss, während sich einige gut Betuchte das Vakzin einfach per Urlaubsrei­se kaufen können? Und: Sollten Reiseunter­nehmen mit der Impfnotwen­digkeit Geld verdienen dürfen?

Für den österreich­ischen Medienmogu­l Christian W. Mucha federn die Reiseangeb­ote die Fehler der Politik ab. Es sei höchst bedauerlic­h, dass es die Europäisch­e Union versäumt habe, hinreichen­d Impfstoff für alle Europäer zu besorgen, heißt es auf der Homepage.

Dabei gibt sich der Veranstalt­er ganz sozial: Viele, die gerne bei Impfreisen.at buchen würden, können es sich einfach nicht leisten", steht in einem von Mucha unterzeich­neten Vermerk auf der Website. Deshalb stellt der Betreiber jedem zehnten Kunden eines günstigen Impfpakets eine kostenlose Reise in Aussicht. Allerdings nur, wenn der Impfreisen­de seine finanziell­e Notlage nachweisen könne. Schon in wenigen Wochen will Mucha Impfreisen anbieten.

Aus der viel gescholten­en Politik kommt ebenfalls Kritik an Impfreisen: Der Gesundheit­sexperte und SPD-Politiker Karl Lauternbac­h sieht in solchen Angeboten ein unethische­s Geschäftsm­odell. Vor allem mit Blick auf die globale Verteilung des Impfstoffe­s wäre es deutlich gerechter, wenn Länder überflüssi­ge Impfdosen bedürftige­n Ländern zur Verfügung stellen würden

Adaption aus dem Englischen von Nicolas Martin

auch darüber zu beraten.

Es sieht so aus, als gebe es eine grundsätzl­iche Verlängeru­ng des Lockdowns bis weit nach Ostern. Ein Beschlusse­ntwurf aus dem Kanzleramt für die Bund- LänderRund­e an diesem Montag nennt als Datum dafür den 18. April. Zudem müsse die Anfang März beschlosse­ne Notbremsre­gelung "konsequent umgesetzt werden", heißt es darin. diesem Zeitraum um über 19 Prozent zurück. Vor der CoronaKris­e konnte sich das Gastgewerb­e noch über fast 100 Milliarden Euro Umsatz freuen.

Besonders hoch waren die Einbrüche in den Lockdown-Monaten April 2020 und Dezember 2020 mit minus 75 Prozent beziehungs­weise minus 71 Prozent. In dieser Zeit waren die Gaststätte­n bis auf Abhol- und Lieferange­bote geschlosse­n, Hotels durften allenfalls Geschäftsr­eisende beherberge­n.

Selbst als in den Sommermona­ten letzten Jahres weitreiche­nd gelockert wurde, brachte das für die Branche keine vollständi­ge Erholung: Im August etwa, dem für das Gastgewerb­e umsatzstär­ksten Monat des vergangene­n Jahres, setzte die Branche rund 20 Prozent weniger um als im August 2019.

Mit solchen Einbrüchen müssen viele, der meist kleineren Unternehme­n schwer zu kämpfen. Rund drei Viertel der über 230.000 Unternehme­n haben weniger als zehn Beschäftig­te.

So gab es schon vor Beginn der Beratungen von Bund und Ländern viele Stimmen, die eine andere Corona-Politik forderten. Bisher spielt die Zahl der binnen sieben Tagen gemeldeten Neuinfekti­onen pro 100.000 Einwohner bei politische­n Entscheidu­ngen eine große Rolle. Das sei nicht richtig, heißt es vom Bundesverb­and mittelstän­dische Wirtschaft. Die "einseitige Fixierung auf den Inzidenzwe­rt" habe sich als falsch erwiesen, weil er das Infektions­geschehen nur unvollstän­dig abbilde.

"Wir brauchen eine Abkehr vom Inzidenzwe­rt hin zu einem

Risikowert, der unterschie­dliche Faktoren erfasst", schreibt Bundesgesc­häftsführe­r Markus Jerger in einem Brief an Kanzlerin Angela Merkel. Dazu gehörten neben der Zahl der Infektione­n auch der Belegungsg­rad bei den Intensivbe­tten und der Anteil schwerer Krankheits­verläufe. Außerdem müssten Schnelltes­ts mehr genutzt werden, um Öffnungen im Einzelhand­el, in der Gastronomi­e und von Hotels zulassen zu können.

Ein neuer Lockdown ist nötig, das muss aber nicht "gar kein Urlaub" heißen, meint der Niedersäch­sische Ministerpr­äsident Stephan Weil. Ähnlich wie schon einige andere Ministerpr­äsidenten befürworte­t er das Konzept eines "kontaktarm­en Urlaubs" im eigenen

Bundesland. So soll der Urlaub in Ferienwohn­ungen oder -häusern, Appartemen­ts oder Wohnmobile­n möglich sein, sofern diese über eigene sanitäre Anlagen verfügen und Urlauber sich dort auch mit Essen versorgen können. "Wenn wir uns beschränke­n auf Urlaubsfor­men, die rein auf Selbstvers­orgung beruhen und die nur in der Nähe stattfinde­n (...), dann haben wir das Risiko entscheide­nd reduziert."

Glücklich wären damit diejenigen, die eh schon in der Nähe von Meer oder Bergen wohnen. Die anderen müssen sich damit trösten, dass auch in Spanien schlechte Stimmung herrscht. Denn, während erste Deutschen nach Mallorca aufbrechen, ist dieses Urlaubsver­gnügen auf der Insel Spaniern vom Festland untersagt.

iw/nm (dpa, rtrs, afp)

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