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AstraZeneca: Was hat es mit den Thrombosen auf sich?
Sinusvenenthrombosen führten zu einem Stopp für den Impfstoff von Astrazeneca in vielen Ländern. Doch was sind das eigentlich für Thrombosen? Und war die Notbremsung übereilt?
Aus Sicherheitsgründen wird bis auf weiteres die Impfung mit dem Stoff von AstraZeneca in Deutschland ausgesetzt. Diese Entscheidung stand diesen Montag für Gesundheitsminister Jens Spahn fest: Warum? Sieben Fälle einer seltenen Thrombose waren in kurzem zeitlichem Abstand zu den Impfungen dem Paul-Ehrlich-Institut gemeldet worden. Drei davon endeten für die Betroffenen tödlich. Das ist bisher über die Zusammenhänge bekannt:
Stau im Gehirn: Was genau wurde beobachtet?
Bei 1,6 Millionen verabreichten Impfdosen von Astrazeneca sind bisher sieben Fälle von sogenannten Sinusvenenthrombosen aufgetreten. Gleichzeitig wurde bei den betroffenen Personen auch ein Mangel an Blutplättchen festgestellt, was die Blutgerinnung beeinflussen kann.
Bei der Sinusvenenthrombose verstopft ein Blutgerinnsel die Venen des Gehirns, über die normalerweise das sauerstoffarme Blut zum Herzen abfließen soll. Kann das Blut jedoch nicht mehr richtig abfließen, steigt der Druck im Gehirn und es kann dort zu weiteren Blutungen kommen. Im schlimmsten Fall führt eine Sinusvenenthrombose zu tödlichen Schlaganfällen.
Allerdings gilt diese Art von Thrombose bisher als eher selten, schaut man sich ihre Inzidenz an: Es wird davon ausgegangen, dass von einer Millionen Menschen über das Jahr verteilt zwei bis fünf Personen eine Sinusvenenthrombose erleiden. Neuere Studien weisen jedoch auf eine höhere Anzahl an Betroffenen hin. Von bis zu 15,7 Fällen pro einer Millionen Menschen und Jahr ist in einer australischen Studie die Rede, sagt Paul Hunter, Medizinprofessor an der University of East Anglia. "Das würde bedeuten, die aktuelle Inzidenz wird um das vier- bis achtfache unterschätzt."
Ist Thrombose immer gleich Thrombose?
Seit der Bekanntgabe der Impfpause durch Gesundheitsminister Jens Spahn wird viel diskutiert. Besonders in den sozialen Medien tobte ein Shitstorm: Warum wird bei 1100 Thrombosefällen unter 1 Millionen Frauen die Pille weiterhin verschrieben und bei sieben Thrombosefällen auf sogar 1,6 Millionen Impfdosen gleich die ganze Impfstrategie über den Haufen geworfen?
SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach kritisierte in einem Interview mit dem Deutschlandfunk diesen Vergleich. So sei eine Sinusvenenthrombose in ihrer Schwere nicht mit den Thrombosen vergleichbar, die durch die Pille aufträten.
Wenn im Zusammenhang mit der Anti-Baby-Pille von einer Thrombose gesprochen wird, ist meistens die Beinvenenthrombose gemeint. Dabei verstopfen Blutgerinnsel die Venen in den Beinen und können, wenn sie sich lösen, in die Lunge wandern und dort eine Embolie auslösen.
Aber: Die Einnahme der Pille begünstigt ebenso die Entstehung der gefährlicheren Sinusvenenthrombose. "Frauen sind häufiger als Männer betroffen und wahrscheinlich spielen Hormone eine Rolle. In der späten Schwangerschaft, im Wochenbett und bei Frauen, die die Antibabypille einnehmen, sehen wir die Sinusvenenthrombosen am häufigsten", sagt Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie gegenüber der Deutschen Welle. Unabhängig vom Geschlecht seien generell jüngere Menschen häufiger betroffen, als ältere.
Vollbremsung: Ist die Impfpause gerechtfertigt?
Spahns Entscheidung, die Impfstoff-Vergabe zu pausieren, kommt natürlich nicht von ungefähr. Er beruft sich auf eine Empfehlung des Paul-EhrlichInstituts (PEI), das in Deutschland Impfstoffe und Arzneimittel auf ihre Sicherheit prüft. Denn das "empfiehlt nach intensiven Beratungen zu den in Deutschland und Europa aufgetretenen schwerwiegenden thrombotischen Ereignissen die vorübergehende Aussetzung der Impfungen mit dem COVID-19Impfstoff AstraZeneca", heißt es dort in einer Pressemitteilung.
Lauterbach sagte im Deutschlandfunk Interview, dass er einen Zusammenhang zwischen der Impfung und den Thrombosefällen für ziemlich wahrscheinlich halte. Trotzdem sei das nach seiner Meinung kein Grund gewesen, die Impfungen auszusetzen: "Ich hätte es aufgrund der gleichen Datenlage nicht so entschieden”, führte er weiter aus.
Auch Prof. Berlit, der an der Universität Duisburg-Essen lehrt, tut sich schwer: "Im Moment spricht rein statistisch gesehen ja mehr gegen einen Zusammenhang, als für einen Zusammenhang." Somit läge die aktuelle Fallzahl immer noch im Bereich der bisher bekannten Inzidenz für Sinusvenenthrombosen ohne Impfungen.
Bei dem Vergleich gibt es aber noch ein Problem: Üblicherweise schauen sich Statistiker die Sinusvenenthrombosen über ein ganzes Jahr an. Die Fälle in Verbindung mit Impfungen, sind aber alle erst seit Februar diesen Jahres aufgetreten. Doch auch dafür hat Berlit eine mögliche Erklärung: "Man weiß, dass auch Sinusvenenthrombosen gehäuft in Zusammenhang mit Infektionen auftreten können. Deshalb kann es in den Umbruch-Jahreszeiten wie Frühling und Herbst Infektionen mit der höheren Frequenz von Infektionen auch häufiger zu Sinusvenenthrombosen kommen", erläutert er.
Forschende beobachten schon länger, dass es zum Beispiel auch bei COVID-19 Infektionen öfter zu einer Thrombose kommt. Das liegt vermutlich daran, dass unser Immunsystem bei COVID-19 einen bestimmten Abwehrmechanismus hochregelt, der die Blutgerinnung beeinflusst und so zu mehr Thrombosen führen kann.
Flickenteppich Impfstrategie: Welche Entscheidung ist die richtige?
Vermutungen darüber, dass auf ähnliche Weise wie COVID-19 auch Wirkstoffe im Impfstoff eine Thrombose auslösen könnten, hält Berlit indes für spekulativ: "Das ist alles hypothetisch. Bisher gibt es dazu keine Hinweise. Diese Häufung wurde ja in dieser Form bisher nur Deutschland beobachtet auf und nicht etwa beispielsweise in England."
Die Briten zeigen sich von den aktuellen Entwicklungen weitestgehend unbeeindruckt - die Impfungen laufen dort weiter. Bei elf Millionen verabreichten Dosen sind lediglich drei Personen mit einer Sinusvenenthrombose gemeldet worden.
"Natürlich muss dieser mögliche Zusammenhang genauer untersucht werden. Trotzdem müssen wir auch den realen Schaden in Betracht ziehen, der durch eine Verzögerung der Impfungen im Angesicht steigender Infektionszahlen in Europa droht", sagt Prof. Hunter von der University of East Anglia.
Die europäische Arzneimittelbehörde EMA untersucht die gemeldeten Fälle derzeit genauer. Auch sie sieht jedoch noch keinen Grund für eine Pause für AstraZeneca. "Während unsere Untersuchungen laufen, bleiben wir bei der Einschätzung, dass die Vorteile der AstraZeneca Impfung für die Eindämmung von COVID-19 und der damit einhergehenden Risiken gegenüber den Nebenwirkungen überwiegen", heißt es in einer Pressemitteilung.
Innerhalb der nächsten zwei Wochen werden die Ergebnisse erwartet. "Ob es richtig ist, für diese Zeit komplett mit der Vergabe des Impfstoffs aufzuhören, ist mehr eine politische Diskussion", findet Berlit. "Ich glaube, dass das Risiko ernster neurologischer Komplikationen und vor allem von Langzeitfolgen durch eine COVID-19 Infektion statistisch gesehen höher ist als mögliche Nebenwirkungen der Impfung. Da sprechen eigentlich alle Daten für."
Was sollten geimpfte Personen beachten?
Wer bereits eine Impfung mit dem AstraZeneca-Impfstoff erhalten kann, sollte laut Berlit auf folgende Symptome achten: "Personen, die innerhalb der ersten 2-3 Wochen nach der Impfung anhaltende und sehr starke Kopfschmerzen haben, müssen zur weiteren Abklärung." Ebenso können punktförmige Einblutungen in der Haut zusammen mit den Kopfschmerzen ein Hinweis auf eine Sinusvenenthrombose sein.
Bei zwei Stunden Kopfschmerzen an einem Tag müsse sich erstmal niemand Sorgen machen. Vor allem nicht, bei der aktuellen, wechselhaften Wetterlage.