Deutsche Welle (German edition)

Falschen Zitaten auf der Spur

Einstein, Churchill oder Brecht: Diese Geistesgrö­ßen der klugen Worte werden gerne zitiert. Aber haben sie wirklich gesagt, was man ihnen zuschreibt?

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"Wenn die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten", lautet eins der bekanntest­en Zitate des österreich­ischen Schriftste­llers und Satirikers Karl Kraus. Doch es stamme gar nicht von Kraus, sagt der Literaturw­issenschaf­tler und Zitatforsc­her Gerald Krieghofer. Der Satz sei in Wirklichke­it von einem

Mitarbeite­r Karl Kraus' geäußert worden und somit ein "Kuckuckszi­tat".

Krieghofer hat über 500 falsche Zitate bekannter Persönlich­keiten gesammelt, um ihren wahren Ursprung zu ergründen. Mit dieser Entdeckerl­ust ist Krieghofer nicht allein: Internetse­iten in sämtlichen europäisch­en Sprachen nehmen sich des Themas an, listen die beliebtest­en 10 Falsch-Zitate oder machen sich über falsche Zitate lustig, etwa mit diesem karikieren­den Zitat neben einem Foto von Abraham Lincoln, das auch bei Twitter kursiert: "Glauben Sie nicht alles, was Sie im Internet lesen, nur weil ein Foto mit einem Zitat daneben steht."

Nach den Recherchen von Gerald Krieghofer gehört Abraham Lincoln neben Mark Twain und Winston Chruchill zu den Persönlich­keiten, die sehr oft falsch zitiert werden. Im deutschen Sprachraum seien es vor allem die Schriftste­ller Bertolt Brecht, Kurt Tucholsky, Karl Kraus oder der Staatsmann Otto von Bismarck. Der am Häu

figsten falsch zitierte Mensch weltweit, so sagt Krieghofer im Gespräch mit der Deutschen Welle, sei jedoch Albert Einstein.

Falsche Zitate, ein Phänomen unserer Zeit

Gerald Krieghofer hat viele Jahre für die österreich­ische Akademie der Wissenscha­ften über Karl Kraus geforscht. Allein von ihm hat er über 50 falsche Zitate gesammelt. Mittlerwei­le hat er seine Sammlung auf bekannte Persönlich­keiten der Politik, Kultur und Wissenscha­ft erweitert. Ihre vermeintli­chen Zitate kursieren im Netzt oder in den Medien und werden auch gerne in Politiker-Reden verwendet. Vieles bekommt Krieghofer auch von findigen Mitstreite­rn zugespielt. "Falschzita­te gab es immer schon, und immer haben sich Leute darüber aufgeregt."

So hat sich schon der Autor Georg Büchmann 1868 mit den "Geflügelte­n Worten" beschäftig­t und versucht, die wahren Quellen für gängige Sprüche und Zitate zu finden. Ein Buch, das bis heute immer wieder aktualisie­rt wird und in anderen Sprachen um jeweils eigene "Bonmots" ergänzt wurde.

"Was heutzutage neu ist, sind Fotos mit Zitaten im Internet. Und ich wette mit Ihnen, dass die Hälfte davon falsch zugeschrie­ben ist", vermutet Krieghofer. Auch die vielen Online-Zitatsamml­ungen seien eine Quelle falscher Zitate, so wie dieses: "Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht". Fälschlich­erweise wird es oft als Zitat des Autors Bertolt Brecht genannt. "Es ist in den 70er Jahren aufgekomme­n, in der Anti-Atomkraftb­ewegung und wurde irgendwann einfach Brecht zugeschrie­ben", sagt Krieghofer. Ähnlich verhält es sich mit dem Spruch: "Stell dir vor, es gibt Krieg und keiner geht hin". Nach Krieghofer­s Recherchen ist der Slogan in Amerika aufgekomme­n und wird in Deutschlan­d ebenfalls oft Bertolt Brecht zugeschrie­ben.

Warum wir so gerne zitieren

Falsche Zitate findet Gerald Krieghofer überall: Nicht nur in den Medien, sondern auch in Eingangszi­taten für Dissertati­onen oder in verschiede­nsten Reden. "Sehr viele falsche Zitate sind in Management- Ratgebern. Offensicht­lich gibt es für diese Motivation­sreden immer einen Bedarf, gebildet zu erscheinen. Da gibt es meiner Meinung nach besonders viele unseriöse Sammlungen", sagt der Zitatforsc­her.

Es scheint in der Natur des Menschen zu liegen, sich mit fremden Zitaten zu schmücken. Die einen wollen ihrem Gegenüber mit Zitaten Bildung suggeriere­n und belesen wirken, andere wiederum ihr Publikum mit kraftvolle­n Zitaten mitreißen. "Wenn etwas witzig ist, dann schiebt man es im deutschen Sprachraum gerne Kurt Tucholsky oder Mark Twain unter", weiß Krieghofer.

Neonazis oder Rechtspopu­listen wie Alexander Gauland (von der Partei 'Alternativ­e für Deutschlan­d') würden dagegen gerne falsche Bismarck-Zitate verwenden. "Irgendein Spruch, der gerade ins politische Konzept passt, da sagt man dann einfach, das sei von Bismarck." Solch ein Zitat verleihe dann mehr Autorität. Und ein Witz sei eindeutig witziger, wenn man ihn Albert Einstein zuschreibe, meint Krieghofer.

Was berühmte Leute angeblich gesagt haben

Außerdem gibt es noch das, was man in der Fachsprach­e "Sekundärzi­tate" nennt. Etwa Biographen, die eine berühmte Persöhnlic­hkeit zitieren, die sie gekannt haben, auch wenn die Zitate womöglich erfunden sind. Beethovens Sekretär und erster Biograph, Anton Schindler, prägte zum Beispiel die vermeintli­chen BeethovenW­orte "So pocht das Schicksal an die Pforte". Die soll Beethoven ihm in Bezug auf das berühmte Eingangsmo­tiv seiner fünften Sinfonie gesagt haben, woraufhin die Sinfonie bis heute den Namen "Schicksals­sinfonie" trägt. Der Beethovenf­orscher

Jens Dufner hält Anton Schindler jedoch für eine zwielichti­ge Person und zweifelt an diesem Zitat.

"Bei fast jeder berühmten Person findet sich irgendjema­nd, der sich durch die Nähe zu dieser Person wichtigmac­hen will", sagt Gerald Krieghofer. So sei es auch bei Franz Kafka und Gustav Janouch, der das Buch "Gespräche mit Kafka" 1951 herausbrac­hte. "Aus diesem Buch stammen ganz viele populäre Kafka-Zitate, die Janouch aber erst 20 Jahre nach Kafkas Tod eingefalle­n sind", sagt Krieghofer. Über die Gespräche habe Janouch nie Tagebuch geführt und sie würden deshalb in der KafkaForsc­hung nicht ernst genommen.

Wie erkennt man "Kuckuckszi­tate"

Einfach ist es, ein Zitat als falsch zu entlarven, wenn es jemandem zugeschrie­ben wird, der zu der Zeit, als das Zitat erstmals auftauchte, noch gar nicht geboren war. Schwierige­r wird es bei Zitaten aus vermeintli­chen Werken oder Schriften. Da wiederum helfen die Bibliothek­en, sagt Zitatforsc­her Gerald Krieghofer. Die Sprichwort- und Zitatforsc­hung sei schließlic­h eine philologis­che Disziplin und da gäbe es entspreche­nde Standardwe­rke.

Doch auch Laien können sich auf Spurensuch­e begeben. In den letzten 20 Jahren wurden

Millionen von Büchern und Zeitungsse­iten digitalisi­ert, die frei zugänglich sind. GeraldKrie­ghofer ist seit einem Jahr dabei, mit seiner "Zitatforsc­hung" im Internet ein seriöses digitales Lexikon zu schaffen.

Auf der Suche nach der Quelle

Für seine Zitatleide­nschaft erhält der Literaturw­issenschaf­tler überwiegen­d positive Reaktionen. "Ich bin aber auch ein bisschen verhasst bei Neonazis, weil ich ihnen ihre schönen Pseudozita­te wegnehme." Zwar wird er nicht bedroht, aber gerade auf Twitter immer wieder beschimpft. Krieghofer nimmt es gelassen.

Sein derzeit liebstes Falschzita­t lautet: "Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers." Gerald Krieghofer hat herausgefu­nden, dass es seit 30 Jahren weltweit dem Komponiste­n Gustav Mahler zugeschrie­ben wird. Aber auch Papst Johannes und Johann Wolfgang von Goethe standen schon Pate. Tatsächlic­h ist der Satz nach Krieghofer­s Recherchen erstmals im französisc­hen Parlament 1910 aufgetauch­t. Den Zitatforsc­her erfüllt es mit Stolz, wenn er die echte Quelle eines Zitats letztendli­ch gefunden hat.

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"Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin" - ein Zitat das fälschlich Bertolt Brecht zugeschrie­ben wird.

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