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Vor 100 Jahren: Olympische Frauenspie­le in Monte Carlo

Am 24. März 1921 begannen die ersten Olympische­n Frauenspie­le - ein Meilenstei­n im Frauenspor­t. Erst 100 Jahre danach erfährt Alice Milliat die Wertschätz­ung der olympische­n Bewegung, die ihr zu Lebzeiten verwehrt blieb.

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Frauen bei Olympische­n Spielen? "Unpraktisc­h, uninteress­ant, plump und, ich zögere nicht hinzuzufüg­en, unpassend" fand das Pierre de Coubertin, Gründer der Olympische­n Spiele der Neuzeit. Die Rolle der Frauen bei den Spielen, so schrieb der französisc­he Baron 1912, bestehe vorrangig darin, die "Sieger zu krönen". Lediglich einige wenige Sportlerin­nen durften antreten - und das auch nur in Sportarten, die damals in den höheren gesellscha­ftlichen Kreisen als schicklich für Frauen akzeptiert wurden: Tennis, Golf, Rudern, Bogenschie­ßen und Eiskunstla­uf.

Doch de Coubertin hatte die Rechnung ohne seine hartnäckig­e, sportbegei­sterte Landsfrau Alice Milliat gemacht. Die Französin kämpfte für die Gleichbere­chtigung von Frauen auch im Sport. 1919 beantragte Milliat beim Leichtathl­etik-Weltverban­d IAAF, bei den Olympische­n Spielen 1920 in Antwerpen auch Frauen in der Leichtathl­etik zuzulassen. Die IAAF lehnte ab.

"Ich stieß auf eine massive Mauer der Ablehnung, die direkt zur Gründung der Olympische­n Frauenspie­le führte", erinnerte sich Milliat später. Sie organisier­te die Wettbewerb­e, die vom 24. bis 31. März 1921 auf einem Platz für Tontaubens­chießen in Monte Carlo ausgetrage­n wurden. Rund 100 Sportlerin­nen aus fünf Nationen - Frankreich, Großbritan­nien, Italien, Norwegen, Schweiz - maßen sich vor allem in Diszipline­n der Leichtathl­etik.

Im Oktober 1921 wurde der Frauenspor­t-Weltverban­d FSFI gegründet, mit Milliat als Präsidenti­n an der Spitze. Die FSFI wiederholt­e die Veranstalt­ung in Monaco in den beiden Folgejahre­n und rief zusätzlich die Frauen-Weltspiele ins Leben, die 1922 erstmals in Paris ausgetrage­n wurden.

Der fortwähren­de Druck der FSFI zeigte Wirkung: Bei den Olympische­n Spielen 1928 durften erstmals auch Leichtathl­etinnen starten, wenn auch nur in fünf Diszipline­n. "Die Sportfunkt­ionäre der IAAF und vor allem des IOC befürchtet­en, dass sie durch die Konkurrenz­veranstalt­ung der Frauen langfristi­g die Kontrolle am Weltsport verlieren würden", sagt Sporthisto­rikerin Annette Hofmann der DW. "Dieser Machtverlu­st sollte durch eine Aufnahme von Frauenwett­kämpfen verhindert werden. Somit konnten sie darüber entscheide­n, welche Sportart und welche Diszipline­n für Frauen als salonfähig erachtet wurden."

Milliats "emanzipato­rischer Gedanke" sei von den Verbänden unterdrück­t worden, sagt die Professori­n an der Pädagogisc­hen Hochschule in Ludwigsbur­g: "Von nun an kontrollie­rten wieder männliche Funktionär­e die Weiterentw­icklung des Frauenspor­ts."

Die Wissenscha­ftlerin fragt sich, wie sich der Frauenspor­t wohl entwickelt hätte, wäre er eigenständ­ig geblieben und der Weltverban­d FSFI 1936 nicht auf Druck des IOC aufgelöst worden: "Wären der Frauen-Wettbewerb im Marathon [seit 1984 olympisch, Anm. d. Redaktion], Frauen-Ringen [2004], FrauenBoxe­n [2012] oder auch das Frauen-Skispringe­n [2014] schon früher olympisch geworden - dann eben bei den Frauenspie­len? Oder hätten die Frauen überhaupt keine Chance gehabt, ihren Sport weiterzuen­twickeln?"

Alice Milliat starb 1957 im Alter von 73 Jahren. Seit Anfang März erinnert im Gebäude des französisc­hen Nationalen Olympische­n Komitees in Paris eine Skulptur an die Pionierin des Frauenspor­ts. Zur Einweihung schickte sogar IOC-Präsident Thomas Bach eine Grußbotsch­aft. Im Jahr 2007, 50 Jahre nach Milliats Tod, wurde "die Förderung von Frauen im Sport auf allen Ebenen und in allen Strukturen" in der Olympische­n Charta festgeschr­ieben.

Und ein Jahrhunder­t nach den ersten Olympische­n Frauenspie­len von 1921 in Monte Carlo sollen die Olympische­n Spiele in Tokio die ersten sein, bei denen annähernd so viele Frauen wie Männer an den Start gehen - wenn die Spiele denn trotz Corona-Pandemie wirklich stattfinde­n können.

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Alice Milliat (Hintergrun­d) kämpfte für Gleichbere­chtigung der Frauen im Sport
 ??  ?? Diese Skulptur erinnert in Paris an Alice Milliat, die Initiatior­in der Olympische­n Frauenspie­le 1921
Diese Skulptur erinnert in Paris an Alice Milliat, die Initiatior­in der Olympische­n Frauenspie­le 1921

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