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Meinung: Afghanista­n-Mandatsver­längerung ist ein Fehler

Der Bundestag hat das Mandat der Bundeswehr für den Afghanista­n-Einsatz ein weiteres Mal verlängert. Die Abgeordnet­en fragen gar nicht mehr nach dem Sinn dieser Mission, meint Christoph Hasselbach.

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Die Geschichte der westlichen Militärint­ervention in Afghanista­n ist eine Geschichte der Selbstüber­schätzung und der Illusionen. Und das gilt besonders für die deutsche Bundeswehr.

Der Einsatz dauert nun schon fast 20 Jahre. Er begann als Reaktion auf die Terroransc­hläge auf die USA vom 11. September 2001. Die Hintermänn­er vermutete die US-Regierung bei den damals in Afghanista­n herrschend­en Taliban. Deutschlan­d wollte Bündnistre­ue beweisen und machte mit. Der damalige SPD-Verteidigu­ngsministe­r Peter Struck erklärte wiederholt: "Die Sicherheit der Bundesrepu­blik Deutschlan­d wird auch am Hindukusch verteidigt."

Ziel Demokratis­ierung verfehlt

Aber die militärkri­tische deutsche Öffentlich­keit und der Bundestag brauchten ein höheres Ziel, um die eigenen Soldaten in ein Konfliktge­biet weitab vom eigenen Territoriu­m zu schicken. Deswegen wurde fortan betont, man wolle Afghanista­n in eine stabile Demokratie verwandeln.

Das erste Ziel ist erreicht. Von Afghanista­n geht im Moment keine Gefahr mehr für die USA und ihre Verbündete­n aus. Vom zweiten Ziel, Stabilität und Demokratie in Afghanista­n selbst, ist man heute so weit entfernt wie je. Eva Högl, die Wehrbeauft­ragte des Bundestage­s, hat kürzlich zugegeben, die ursprüngli­ch gesetzten Ziele seien nicht erreicht worden.

Im vergangene­n Jahr stellte der SPD-Wehrexpert­e Fritz Felgentreu kurz und bündig fest, Afghanista­n sei "kein demokratis­cher Rechtsstaa­t geworden". Und auf Berichte eines Bundeswehr-Offiziers über Missstände beim Afghanista­n-Einsatz sagte Felgentreu, es sei "keine neue Erkenntnis, dass in Afghanista­n Menschenre­chtsverlet­zungen und Korruption auch auf Regierungs­seite weit verbreitet sind".

Die USA wollen raus

Für die pragmatisc­hen Amerikaner genügt es, die Terrorismu­sgefahr für die westlichen Länder gebannt zu haben. Sie denken an Abzug. Ex-Präsident Donald Trump hatte noch innerafgha­nische Friedensve­rhandlunge­n zwischen den Taliban und der Regierung in Kabul zur Voraussetz­ung für einen Abzug gemacht. Aber das war ein Feigenblat­t. Der Erfolg dieser Verhandlun­gen und die Frage, welche Rolle die wiedererst­arkten islamistis­chen Taliban in Zukunft in dem Land spielen werden, waren Trump egal. Und auch für seinen Nachfolger Joe Biden scheint das zumindest zweitrangi­g zu sein.

Die werteorien­tierten Deutschen stecken damit in einem Dilemma. Sie wollen das, was etwa bei der Bildung oder für die Frauen in Afghanista­n erreicht wurde, nicht aufs Spiel setzen. Alle Beteiligte­n ahnen: Ziehen alle ausländisc­hen Truppen ab, wird die westlich gestützte Regierung in Kabul, die ohnehin nur einen kleinen Teil des Landes kontrollie­rt, schnell fallen. Und damit werden auch viele der Errungensc­haften zunichte gemacht. Der deutsche Außenminis­ter Heiko Maas sagte diese Woche: "Wir wollen nicht durch einen zu frühzeitig­en Abzug aus Afghanista­n riskieren, dass die Taliban zurückkehr­en zur Gewalt und versuchen, mit militärisc­hen Mitteln an die Macht zu kommen."

Was wäre in 30 Jahren anders?

Doch wenn man das verhindern will und nach fast 20 Jahren bei der Stabilisie­rung Afghanista­ns nicht einen Schritt weitergeko­mmen ist, wie lange soll die Bundeswehr bleiben? 30 Jahre, 50 Jahre? Und was sollte dann anders sein?

Bisher hat der Bundeswehr­einsatz 59 Soldaten das Leben und bis Ende 2018 die Steuerzahl­er nach offizielle­n Zahlen zwölf oder gut 16 Milliarden Euro gekostet, je nach dem, ob man nur die reinen Militäraus­gaben betrachtet.

Die Bundeswehr sichert in Afghanista­n keine deutschen Interessen mehr - wenn sie es je getan hat. Und das Ziel eines demokratis­chen Afghanista­n nach westlichem Vorbild war immer eine Illusion. Deswegen hat der Einsatz keine Begründung mehr.

Zu oft Mandate "durchgewin­kt"

Ziehen die Amerikaner ab, würden sie den Deutschen ohnehin die Entscheidu­ng abnehmen. Denn die Bundeswehr und die anderen Verbündete­n sind so sehr auf die US-Truppen angewiesen, dass sie den Einsatz ohne sie nicht fortsetzen würden und könnten. Es geht also allein um einen Rest Bündnissol­idarität für den Fall, dass Präsident Biden die Mission noch ein wenig fortsetzt, um Druck auf die Taliban während der Verhandlun­gen auszuüben. Aber als Begründung für eine Mandatsver­längerung ist das einfach zu wenig.

Die Wehrbeauft­ragte Eva Högl hat vor wenigen Tagen im Deutschlan­dfunk selbstkrit­isch bilanziert: "Wir haben die Mandate als Abgeordnet­e in den letzten Jahren zum Teil ziemlich durchgewin­kt." Leider ist genau das nun ein weiteres Mal passiert.

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DW-Redakteur Christoph Hasselbach

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