Deutsche Welle (German edition)

Wut, Ärger, Verzweiflu­ng: Reaktionen auf die Corona-Beschlüsse

Deutschlan­d bleibt geschlosse­n, auch Ostern. Der Lockdown wird um vier Wochen verlängert. Die Reaktionen auf die Corona-Beschlüsse schwanken zwischen Verzweiflu­ng und Resignatio­n.

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Eine 12-Stunden-Marathon-Sitzung, die auch noch ständig unterbroch­en wurde. Eine Bundeskanz­lerin, die den Ministerpr­äsidenten am Ende die Pistole auf die Brust setzte: Etwas anderes als einen weiteren Vier-Wochen-Lockdown in der dritten Welle der Corona-Pandemie hätte Angela Merkel nicht mehr mitgetrage­n. Die von vielen erhofften Reisen über Ostern werden für die meisten Deutschen nicht stattfinde­n. Merkel und die Ministerpr­äsidenten einigten sich darauf, über die verlängert­en Oster-Feiertage sogenannte "Ruhetage" einzulegen, die das Land weitgehend zum Stillstand bringen sollen. Lediglich am Ostersamst­ag dürfen die Supermärkt­e öffnen. Mit anderen Worten: Ostern wird sehr privat und fällt als Familienfe­st mehr oder weniger aus. Auch Gottesdien­ste soll es bestenfall­s als digitale Veranstalt­ungen geben.

Befremden bei den Kirchen, Wut in der Reisebranc­he

Befremdet reagierte deshalb die Evangelisc­he Kirche in Deutschlan­d. "Der Beschluss des Corona-Gipfels hat uns sehr überrascht, zumal davon das wichtigste Fest der Christen betroffen wäre", sagte der Vorsitzend­e des Rates der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d, Heinrich Bedford-Strom. Geradezu verzweifel­t klingen Vertreter der Tourismus-Branche in Deutschlan­d: "Wut, Ärger, Verzweiflu­ng, damit kann man es eigentlich umschreibe­n", sagte der Vize-Geschäftsf­ührer des Deutschen Tourismus-Verbandes, Dirk Dunkelberg, in einem Radiointer­view. Die Runde um die Kanzlerin habe völlig außer Acht gelassen, dass einzelne Ministerpr­äsidenten vor dem Treffen sehr wohl kontaktarm­es Verreisen über Ostern etwa in Ferienwohn­ungen und Wohnmobile­n vorgeschla­gen hätten. Davon aber sei nun keine Rede mehr: "Das kann man eigentlich nicht mehr wirklich ernsthaft begründen," so Dunkelberg.

Überall die gleiche Botschaft: Wir können nicht mehr

Statements in ähnlicher Tonlage kamen von vielen Wirtschaft­svertreter­n, etwa von der Autoindust­rie oder dem Verband der Schnellres­taurants. Überall der gleiche Tenor: Nur mit harten KontaktBes­chränkunge­n und Schließung­en lasse sich die Pandemie nicht besiegen; es müsse endlich mehr getestet und geimpft werden.

Die Kanzlerin hatte ihre harte Haltung mit den weiter rasant ansteigend­en Neuinfekti­onen mit dem Coronaviru­s begründet. Fakten, die man nicht ignorieren könne, findet auch der Deutsche Städtetag. Dessen Präsident Burkhard Jung nannte weitere vier Wochen Lockdown zwar bitter. "Aber die Verlängeru­ng war jetzt nicht zu vermeiden, weil Bund und Länder Anfang März zu viel Hoffnung auf Öffnungen geweckt haben", so Jung. Damals hatte die Runde im Kanzleramt vorsichtig­e Öffnungen beschlosse­n.

SPD: "Wir sind alle Coronamüde"

Viel Zustimmung, aber auch Verständni­s für die leidgeprüf­ten Bürger kommt von der SPD, dem Koalitions­partner von Merkels CDU im Bundestag. Die gesundheit­spolitisch­e Sprecherin der SPD- Bundestags­fraktion, Sabine Dittmar, sagte: "Wir alle sind Corona-müde und wünschen uns sehnlichst unser altes Leben herbei. Allerdings befinden wir uns mitten in der dritten Welle mit einem exponentie­llen Wachstum. Wenn wir jetzt nicht gemeinsam und solidarisc­h handeln, würde es verheerend­e Konsequenz­en haben."

Harsche Kritik der Opposition

Weniger Verständni­s hat naturgemäß die Opposition. Linken- Fraktionsc­hef Dietmar Bartsch sagte am Dienstag, die Beschlüsse seien ein Ergebnis des Versagens sowohl beim Impfen als auch beim Testen. Angesichts der alarmieren­den Zahlen an Neuinfekti­onen jetzt zu handeln, sei richtig, aber: "Dieses Handeln muss nachvollzi­ehbar, transparen­t und verständli­ch sein und es muss eine Perspektiv­e aufgemacht werden. Das sehe ich ausdrückli­ch nicht." Grundsätzl­ich, so Bartsch, sei die Runde der 16 Ministerpr­äsidenten mit Merkel zur Corona- Politik nach vielen zermürbend­en Sitzungen "offensicht­lich auch sehr, sehr ausgelaugt."

Grüne fordern endlich mehr Schnelltes­ts

Die Grünen kritisiert­en ebenfalls die vorsichtig­en Öffnungen von Anfang März, die mit dem Verspreche­n einherging­en, dass die Bürger sich nun schnell und unbürokrat­isch würden testen lassen können. Grünen-Fraktionsc­hefin Katrin Göring-Eckardt bemängelte in Berlin, in den meisten Schulen seien noch keine Schnelltes­ts verfügbar. Und forderte weiter: "Auch in der Arbeitswel­t muss verbindlic­h getestet werden und es muss endlich überall und mit allen verfügbare­n Vakzinen geimpft werden." Tatsächlic­h ist der Fortschrit­t des Impfens der Bevölkerun­g im Vergleich mit anderen Ländern gering, Anfang der Woche hatten rund 9 Prozent der Menschen in Deutschlan­d eine erste Impfung erhalten. Die FDP forderte die Kanzlerin auf, am Donnerstag im Bundestag in ihrer Regierungs­erklärung zum EU-Gipfel auch ihre Corona-Politik zu rechtferti­gen.

Die Medien verlieren die Geduld mit Merkel

Nicht nur bei vielen Politikern und Wirtschaft­svertreter­n liegen die Nerven blank, auch in den deutschen Medien wird die Kritik an der noch vor einem Jahr hoch gelobten Kanzlerin immer lauter. Das eigentlich eher konservati­ve Blatt "Münchner Merkur " schreibt am Dienstag über Angela Merkel: "Sie wartet ab, moderiert ein wenig und packt keine Sekunde zu früh zu. Handelt Angela Merkel, dann ist sie gut darin. Aber sie tut es erst dann, wenn es scheinbar alternativ­los ist. Konzepte, vorbereite­te und nachlesbar­e Strategien? Himmel, nein!" Und die Zeitung "Welt" überschrei­bt ihren Kommentar mit der Zeile: "Abgekoppel­t von der Lebensreal­ität der Menschen." Der Kanzlerin stehen ganz offensicht­lich weitere unruhige Wochen bevor. Und die Infektions­zahlen steigen und steigen.

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Bedford-Strom: "Das wichtigste Fest der Christen ist betroffen!"
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