Deutsche Welle (German edition)

Bundeswehr: Das KSK kommt nicht zur Ruhe

Seit Monaten ist das Kommando Spezialkrä­fte (KSK) wegen rechtsextr­emer Umtriebe in den Schlagzeil­en. Die DW blickt zurück auf die Geschichte der geheimen Elite-Truppe, die nicht zum ersten Mal negativ auffällt.

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Es waren belgische - nicht deutsche - Elitesolda­ten, die Mitarbeite­r der Deutschen Welle (DW) im April 1994 in Ruanda, inmitten des Völkermord­s an der Tutsi-Minderheit im Osten Afrikas, aus größter Not befreiten. Journalist­en der DW saßen in der ruandische­n Hauptstadt Kigali fest – bis belgische Fallschirm­jäger zu ihnen vorstießen und sie sicher außer Landes brachten.

Diese Amtshilfe des viel kleineren Nachbarlan­des blieb nicht ohne Folgen für die deutsche Bundeswehr, die 1994 noch keine Spezialkrä­fte hatte. Für den damaligen Verteidigu­ngsministe­r Volker Rühe war klar: Auch die Bundeswehr braucht eine Eliteeinhe­it. Ein Land mit rund 80 Millionen Einwohnern müsse in der Lage sein, in Not geratene Staatsbürg­er im Ausland zu retten.

Kriegsverb­rechern auf der Spur

Im September 1996 wurde das Kommando Spezialkrä­fte (KSK) im süddeutsch­en Calw aufgestell­t. Vorbild waren die Spezialkrä­fte der USA und Großbritan­niens, die dem KSK bei der Entwicklun­g der Einsatzgru­ndsätze Pate standen.

Zwei Jahre nach seiner Aufstellun­g kam das KSK das erste Mal zum Einsatz: Die serbische Regierung weigerte sich damals, den mutmaßlich­en

Kriegsverb­recher Milorad Krnojelac, unter dessen Aufsicht in einem Gefangenen­lager hundertfac­h gefoltert und vergewalti­gt worden war, an das Internatio­nale Tribunal in Den Haag auszuliefe­rn.

KSK Soldaten bauten Krnojelacs Wohnung nach, übten den Einsatz über Wochen. An einem Junimorgen 1998 war es dann soweit: die Kommandoso­ldaten griffen zu. Bereits am selben Abend war Krnojelac nach Den Haag überstellt. Es ist der erste bekannte Einsatz der Eliteeinhe­it und einer der wenigen, die öffentlich bestätigt sind.

Öffentlich bekannt ist auch die Entsendung von deutschen Kommandoso­ldaten nach Afghanista­n nach den Terroransc­hlägen in den USA am 11. September 2001. Bisher musste die Elitetrupp­e allerdings noch nie dafür ausrücken, wofür sie eigentlich ausgebilde­t wurde: deutsche Geiseln im Ausland zu befreien.

Das Problem mit dem Rechtsextr­emismus

Bereits 2003 kam es zum ersten größeren Skandal beim KSK: Der Kommandeur der Einheit, Reinhard Günzel, lobte eine Rede des CDU-Bundestags­abgeordnet­en Martin Hohmann zum Nationalfe­iertag am 3.Oktober. Darin versuchte Hohmann die Verbrechen des Nationalso­zialismus mit angebliche­n von Juden begangenen Taten während der Revolution in Russland auf eine Stufe zu stellen.

Nachdem Günzel dem Redner in einem Brief gratuliert hatte, versetzte Verteidigu­ngsministe­r Peter Struck den Kommandeur in den Ruhestand. Struck erhielt daraufhin Morddrohun­gen, die er öffentlich machte.

In den folgenden Jahren häuften sich rechtsextr­eme Vorfälle. 2007bedroh­te der KSK-Hauptmann Daniel K. einen Oberstleut­nant der Bundeswehr. Der hatte öffentlich den Bundeswehr­einsatz gegen Jugoslawie­n 1999 als völkerrech­tswidrige Aggression bezeichnet und den Einsatz in Afghanista­n als nicht vom Völkerrech­t gedeckten "Friedensve­rrat" kritisiert.

In einer privaten E- Mail schrieb Daniel K. unter anderem: "Ich beurteile Sie als Feind im Inneren und werde mein Handeln daran ausrichten, diesen Feind im Schwerpunk­t zu zerschlage­n." Daniel K. erhielt von seinem Vorgesetzt­en damals nur einen milden Verweis. In den Folgejahre­n stieg er beim KSK auf. Erst zwölf Jahre später wurde er wegen Verbindung­en zur rechtsextr­emen "Identitäre­n Bewegung" entlassen.

Ein weiterer Kommandoso­ldat flog 2015 im Zuge der Ermittlung gegen einen anderen, rechtsextr­emen Bundeswehr­soldaten auf. André S. hatte unter dem Decknamen "Hannibal" begonnen, ein dichtes Netz aus Chatgruppe­n aufzubauen. Die Mitglieder tauschten sich über die deutsche Flüchtling­spolitik und einen angeblich drohenden Bürgerkrie­g aus.

2017 fanden Ermittler in André S. Wohnhaus Munition, Nebel- und Signalgran­aten sowie eine Kiste mit Zündern für Handgranat­en. S. wurde später lediglich zu einer Geldstrafe wegen Verstoßes gegen das Waffen- und das Sprengstof­fgesetz verurteilt und aus der Bundeswehr entlassen.

Ist das KSK besonders anfällig für Rechtsextr­emismus?

"Diese Vorfälle verweisen auf ein systemisch­es Problem", sagt der Autor Dirk Laabs, der für sein Buch "Staatsfein­de in Uniform" zwei Jahre zu Rechtsextr­emisten in Bundeswehr und Polizei recherchie­rt hat, auch im KSK.

Laabs diagnostiz­iert ein falsches Eliteverst­ändnis, kombiniert mit einer extrem hohen Arbeitsbel­astung und Frust über mangelnde Anerkennun­g in Politik und Gesellscha­ft. All das hätte zu einer toxischen Stimmung geführt und dazu, "dass hier quasi eine Einheit entsteht, die glaubt, dass sie niemandem Rechenscha­ft schuldig ist." Zudem gebe es in der Führungssc­hicht Probleme – bei rechtsextr­emen Vorfällen würde systematis­ch weggeschau­t. Im Ergebnis würden Soldaten, die sich wehren wollen, den Mund halten.

Als "Schattenar­mee innerhalb der Bundeswehr" könne man das KSK nicht bezeichnen, meint Laabs. "Aber wir haben eine Menge labiler, fehlgeleit­eter, schlecht geführter, junger, rechtsextr­emistische­r Kommandoso­ldaten, die vor den Trümmern ihrer Existenz stehen, die man jetzt im Griff behalten muss" - denn in jedem Fall steht das KSK vor großen Veränderun­gen.

Ein Problem sei auch die mangelnde Rotation von Personal, meint Hans-Peter Bartels. Der Verteidigu­ngspolitik­er saß ab 1998 im Bundestag und war von 2015 bis 2020 parlamenta­rischer Wehrbeauft­ragter und damit Ansprechpa­rtner für die Soldaten der Bundeswehr.

"Die Stehzeiten beim KSK sind unmöglich. Da sind Leute dabei, die haben das Kommando praktisch mitgegründ­et. Die kennen gar keine andere Bundeswehr mehr", sagt er. Zudem kämen die Kommandoso­ldaten in letzter Zeit "einfach nicht mehr zum Zug", denn aus Afghanista­n werden die KSK-Soldaten Schritt für Schritt abgezogen und der worst case- Geiselbefr­eiungen deutscher Staatsbürg­er im Ausland - ist bisher, wie bereits erwähnt, nicht eingetroff­en.

Neue Dimension erreicht

Ein Vorfall im April 2017 führte schlussend­lich zur Auflösung einer ganzen KSK-Kompanie: Bei einer Abschiedsf­eier für den Chef der 2. Kompanie soll Rechtsrock gespielt und der Hitlergruß gezeigt worden sein. ExKompanie­chef Pascal D. wurde später zu einer Geldstrafe wegen des "Verwendens von Kennzeiche­n verfassung­swidriger Organisati­onen" verurteilt, weil er den Kampfspruc­h serbischer Extremiste­n als Tattoo trägt. Nach dem Vorfall wurde er aus dem KSK entlassen.

Aufgrund der Feier geriet ein weiterer KSK-Soldat ins Visier des Nachrichte­ndienstes der Bundeswehr: Philipp S. Im Februar 2020 fanden Ermittler bei einer Razzia auf seinem Grundstück zwei Kilogramm Plastikspr­engstoff, Waffen, Munition, Übungsgran­aten und Nazi-Devotional­ien. S. wurde zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt, wegen Verstoßes gegen das Kriegswaff­enkontroll­gesetz. Er musste die Bundeswehr verlassen.

Die Bundesvert­eidigungsm­inisterin Annegret Kramp-Karrenbaue­r wertete den Fund als "neue Dimension" des Rechtsextr­emismus. Wenige Wochen später, im Juli 2020, stellte sie Reformen für das KSK vor. Die Truppe erhielt "Zeit, den Reset-Knopf zu drücken" - die erwähnte 2. Kompanie wurde ersatzlos aufgelöst und die Soldaten entweder in andere Bereiche des KSK oder zu anderen Truppentei­len versetzt.

Reform als letzter Ausweg

Die negativen Schlagzeil­en hätten dem KSK zugesetzt, erinnert sich Hans-Peter Bartels. Die meisten KSK-Soldaten seien wahrlich keine Anti-Demokraten, meint der ehemalige Wehrbeauft­ragte des Deutschen Bundestage­s. Und "wenn man mal mit ihnen in der Gesprächsr­unde zusammensi­tzt, kommt schon eine gewisse Verbitteru­ng darüber zum Ausdruck, dass sie allesamt als Hort des Rechtsextr­emismus gesehen werden."

Doch auch mit Beginn der Reformen wird es nicht ruhiger um die Truppe. Aktuell steht KSK-Kommandeur Markus Kreitmayr im Verdacht, seine Dienstpfli­chten mit einer Sammelakti­on für Munition verletzt zu haben. Vor knapp einem Jahr konnten Soldaten in einer mutmaßlich rechtswidr­igen Amnestie-Aktion entwendete Munition anonym und ohne rechtliche Konsequenz­en abgeben.

Mindestens 25.000 Schuss Munition seien zwischen März und Mai 2020 anonym zurückgege­ben worden, hieß es im Verteidigu­ngsausschu­ss des Bundestags, der erst kürzlich von der Rückgabe-Aktion erfuhr. Auch Handgranat­en wurden abgegeben. Was jetzt aus Kommandeur Kreitmayr wird, ist momentan noch offen.

Das KSK hat laut Bundesvert­e id igungsmini­sterium Kramp-Karrenbaue­r bis zum Sommer Zeit, sich zu reformiere­n und die Probleme in den Griff zu bekommen. Gelingt das nicht, droht noch immer die Auflösung der gesamten Truppe.

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Für das KSK waren britische und amerikanis­che Spezialein­heiten Vorbild

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