Deutsche Welle (German edition)
Pflege auf der Intensivstation: "Du tust alles, es ist nicht genug"
Andrea Krautkrämer pflegt Schwerstkranke mit und ohne Corona-Infektion: Sie überwacht, berührt, kämpft mit um jedes Leben. Die DW hat die Intensivpflegerin begleitet.
5.45 Uhr: Gegen vier ging der Wecker. In der Pandemie schläft sie nicht mehr so gut, sagt sie. Jetzt betritt Andrea Krautkrämer (54) das Krankenhaus Marienhof in Koblenz. Ihr Ziel im 2. Stock: die Intensivstation.
Seit über 30 Jahren arbeitet sie als Intensivpflegefachkraft, mittlerweile in Teilzeit. Angesichts der steigenden physischen und psychischen Belastungen will sie nicht mehr Vollzeit arbeiten, sagt sie, betont aber: "Ich liebe meinen Beruf!" Im Umkleideraum zieht sie die blaue Intensivkleidung an.
6.00 Uhr: Der große Tresen im Zentrum der Station liegt noch im Halbdunkel. Vom Flur aus sieht man die Patienten hinter großen Glasscheiben liegen. 11 von 12 Intensivbetten für schwere Fälle sind belegt. Es gibt drei COVID-19-Patienten. jünger, viele verließen nach fünf oder zehn Jahren den Beruf, gingen ins Studium oder eine andere Ausbildung. Pflege braucht mehr Lobby und Wertschätzung, sagt er: "Gute Pflege kostet Geld."
Intensivpflegefachkräfte wie Andrea Krautkrämer haben nach der Pflegeausbildung und praktischer Erfahrung auf der Intensivstation eine zweijährige Intensivausbildung absolviert. Im Marienhof sichern 37 Frauen und acht Männer den Intensivbetrieb an 365 Tagen und Nächten im Jahr mit jeweils fünf bis sechs Pflegefachkräften.
Vor dem ersten Patientenkontakt geht Andrea Krautkrämer zum CoronaSchnelltest. Einmal in der Woche macht sie das, auch Patienten und Angehörige werden getestet. Ein beruhigendes Gefühl, sagt die 54-Jährige. Die meisten anderen Kollegen und Kolleginnen sind geimpft, sie war zu der Zeit in Quarantäne.
7.00 Uhr: Mit der Schülerin sieht Andrea Krautkrämer nach Hans Fink (Name geändert) in Bett 6. Ihm wurde das linke Bein amputiert. "Wie geht es Ihnen heute, haben Sie Schmerzen?" - "Nein." Die Intensivpflegerin kontrolliert Wunden und Überwachungsmonitore, reduziert ein Medikament, befragt den Patienten. Sie erklärt der Schülerin, worauf bei seiner Versorgung zu achten ist. Bevor sie selbst ins Iso-Zimmer geht, bittet sie eine Kollegin, sich um Schülerin und Patienten zu kümmern.
Andrea Krautkrämer, seit drei Tagen ist er hier. Seine Mutter starb im Januar an COVID-19, ein Bett weiter. Mit dem Schließen der Schleusentür verstummt der Geräuschpegel der Station, der Luftstrom der Beatmung ist zu hören.
"Guten Morgen, Herr Faber, wie war die Nacht?", lächelnd begrüßt sie ihren Patienten. "Gut", antwortet er unter der Atemmaske über Mund und Nase. "Schön, dass Sie es so lange ausgehalten haben auf dem Bauch." Er liegt seit dem Vortag in Bauchlage, damit seine Lunge gut belüftet wird.
Sein Beatmungsgerät heißt Elisa, eine der vielen Maschinen, mit denen sich Intensivpflegekräfte auskennen müssen. Sie überwachen Herzfrequenz, Blutdruck und Sauerstoffsättigung, daneben laufen Infusionsgeräte. Bei Nierenversagen kommt ein Dialyse-Gerät dazu, in extremen Fällen eine ECMO, die das Blut außerhalb des Körpers mit Sauerstoff anreichert.
Andrea Krautkrämer nimmt Martin Faber die EKG- Elektroden vom Rücken, damit er sich umdrehen kann. Prüfend schaut sie immer wieder auf die Überwachungsmonitore. Sie fragt nach seinen Wünschen, während sie hunderte Handgriffe ausführt und Werte kontrolliert. Sanft wäscht sie ihn mit vorgewärmten EinmalWaschlappen, bezieht das Bett. In der Schutzkleidung ist das besonders schweißtreibend.
Seine Maske verrutscht kurz, es tutet laut. "Nebelhorn", kommentiert er trocken. Andrea Krautkrämer lacht. Sie kontrolliert Infusionen, gibt Medikamente, ordnet die vielen Schläuche. Den Zugang in die Arterie am Handgelenk polstert und verbindet sie, damit er nicht herausrutschen kann oder drückt.
Sie sprechen darüber, dass er seine Lebensgefährtin endlich heiraten möchte, am liebsten sofort, und über seine Katzen, die sich gerne auf seinen Bauch legten, bestimmt auch, "wenn ich aus dem Krankenhaus nach Hause komme". Der Oberarzt meldet sich aus der Schleuse: "Herr Faber, wie geht's?" - "Gut eigentlich. Hab auch gut geschlafen." - "Sehr schön. Sie machen ja auch gut mit."
8.15 Uhr: Damit er frühstücken kann, hebt Andrea Krautkrämer Martin Faber die Beatmungsmaske vom Gesicht. Er seufzt erleichtert auf: "Ohh, tut das gut!" Die Intensivpflegerin legt ihm sofort den dünnen Schlauch um, mit dem ihm jetzt eine andere Maschine Sauerstoff in die Nase bläst: "Schön durch die Nase atmen." Ihr Patient frühstückt und telefoniert, Andrea Krautkrämer räumt auf.
Nach dem Zähneputzen tupft sie mit einem Pflegemittel seine Nase aus. Immer wieder lösen die Überwachungsgeräte Alarm aus, er muss husten. Bevor die Pflegerin ihm die Atemmaske wieder aufsetzt, integriert sie ein Inhalationsmittel.
Kaum zurück in der Schleuse ruft seine Lebensgefährtin an und lässt sich berichten, wie die Intensivpflegerin seinen Zustand beurteilt. "Sie können jederzeit anrufen", sagt Andrea Krautkrämer. Angehörige sind sehr wichtig für die Patienten, betont sie: "Die fehlen." Der Marienhof hat Tablets angeschafft, um während des Coronabedingten Besuchsverbots den Kontakt zu erleichtern.