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EU-Gipfel heißt Gast aus Amerika willkommen

US-Präsident Biden will per Videoschal­te transatlan­tische Bande neu knüpfen - und trifft damit bei den Staatsund Regierungs­chefs der EU auf offene Ohren. Hauptthema aber bleibt die Pandemie. Aus Brüssel Bernd Riegert.

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Der Stargast des Video-Gipfels am ist an diesem Donnerstag sicher der Mann, den viele der EU- Politiker noch aus seiner Zeit als zweiter Mann hinter US-Präsident Barack Obama kennen. Joe Biden, jetzt selbst zum Präsidente­n aufgerückt, wird um 20: 45 Uhr aus Washington zugeschalt­et, um eine Rede zur internatio­nalen Zusammenar­beit mit der EU gegenüber China und Russland zu halten. Er freue sich sehr, dass Biden zugesagt habe, teilte der Gastgeber des EU-Gipfels, Ratspräsid­ent Charles Michel mit. Die meisten anderen Staats- und Regierungs­chefs und -chefinnen freuen sich wohl auch.

Bundeskanz­lerin Angela Merkel geht nicht davon aus, dass der Präsident das Thema "Nord Stream 2" ansprechen wird. Biden lehnt wie sein Vorgänger Donald Trump die zweite direkte Gasleitung von Russland nach Deutschlan­d ab. Merkel hält trotz heftiger Kritik auch aus Europa an ihr fest. Ein möglicher Streit darum wird von deutschen Regierungs­beamten im Vorfeld des Gipfels herunterge­spielt.

Man freue sich auf die "Wiederbele­bung der transatlan­tischen Bande", heißt es von der EU in Brüssel. Die hatte bereits der amerikanis­che Außenminis­ter Antony Blinken am Mittwoch persönlich mit Ursula von der Leyen in Brüssel besprochen.

US-Präsident Donald Trump, der die EU für überflüssi­g hielt, wurde nie zu einem Gipfel eingeladen. Diese Ehre wurde aber Barack Obama und auch dessen Vorgänger George W. Bush zuteil.

Ein langes Gespräch mit Joe Biden ist nicht vorgesehen. Vielleicht werden ihn die Gipfelteil­nehmer fragen, ob die USA nicht auch Impfstoff in die EU liefern könnten. Denn die Versorgung mit Impfstoff ist das eigentlich brennende Thema des Gipfels, der wegen der steigenden Infektions­zahlen in fast ganz Europa nur als Video-Schalte stattfinde­n wird. Die USA, die bislang kaum Impfstoff exportiert haben, sind aller Voraussich­t nach bereits im Mai mit der Impfung ihrer Bevölkerun­g durch. Danach sollten eigentlich Exporte möglich sein.

In der EU laufen die Impfungen immer noch zu langsam, beklagen viele Staats- und Regierungs­chefs. Das liege vor allem an der Nichterfül­lung von Verträgen durch die Firma AstraZenec­a, antwortet die EUKommissi­on. Um die Impfstoffe, die in der EU produziert werden, hier zu halten, wollen die Staatsund Regierungs­chefs ein strikteres Genehmigun­gsverfahre­n für Exporte beraten. So soll der Verkauf nach Großbritan­nien, größter Empfänger von Ausfuhren aus der EU, unterbunde­n werden. Einige Mitgliedss­taaten sehen das jedoch skeptisch. Deutsche Regierungs­beamte weisen darauf hin, dass Firmen wie BionTech/Pfizer, die ihre Liefervert­räge erfüllen, durch Exportverb­ote nicht bestraft werden dürften. Auch Schweden und die Niederland­e haben noch Einwände. Fragen wird es an Italiens Ministerpr­äsidenten Mario Draghi geben, denn in einem italienisc­hen Werk von AstraZenec­a wurden 29 Millionen Dosen Impfstoff am Mittwoch gefunden, die eventuell für den Export bestimmt waren.

Angesichts steigender Corona-Zahlen durch Varianten des ursprüngli­chen Virus setzen die EU-Staaten auf "Impfen, impfen, impfen", wie Bundeskanz­lerin Merkel es formuliert­e. Die überrasche­nde Absage des Oster-Lockdowns in Deutschlan­d durch Merkel am Mittwoch hat bei einigen Kolleginne­n und Kollegen sicher Fragen aufgeworfe­n. Belgien und Frankreich haben just neue Beschränku­ngen über Ostern beschlosse­n.

Der österreich­ische Bundeskanz­ler Sebastian Kurz will unbedingt über die, wie er meint, ungleiche Verteilung von Impfstoffe­n unter den 27 Mitgliedss­taaten sprechen. Österreich und vier andere Staaten (Estland, Lettland, Kroatien, Bulgarien) kritisiere­n das System, durch das Dosen, die diese Staaten zunächst nicht geordert hatten, von anderen Mitgliedss­taaten aufgekauft und verimpft wurden. In der Tat ist die Verteilung ungleichmä­ßig. Malta hat bereits Impfstoff für 33 Prozent seiner Bevölkerun­g. Bulgarien nur für knapp sechs Prozent.

Von deutschen EU- Diplomaten war zu hören, man sei bereit, über andere Verteilung­sverfahren zu sprechen, auch wenn es die Schuld der einzelnen Staaten sei, wenn sie bei angebotene­n Impfstoffd­osen nicht zugegriffe­n hätten. Auch diese Lücken sollen durch mangelhaft­e Belieferun­g durch AstraZenec­a entstanden sein. Von 130 Millionen zugesagten Dosen im ersten Quartal hatte die britisch-schwedisch­e Firma bislang nur einen Bruchteil an die EU-Mitglieder geliefert.

Neben Corona steht das Thema Türkei auf der Tagesordnu­ng. Die EU will die Beziehunge­n zur Türkei verbessern, trotz der vielen Provokatio­nen aus Ankara. Die Lage im östlichen Mittelmeer, wo die Türkei, Zypern und Griechenla­nd um Gasvorkomm­en streiten, habe sich in letzter Zeit beruhigt, heißt es in einem Bericht der EU-Außenminis­ter. Man wolle eine "positive" Agenda mit der Türkei festlegen. Allerdings gibt es eine ganze Reihe von Verstößen gegen Menschenre­chte und Rechtsstaa­tlichkeit in der Türkei, die eigentlich geahndet werden müssten.

Das sehen nicht nur Menschenre­chtsorgani­sationen, sondern auch einige EU-Staaten so. Deutschlan­d setzt sich dagegen für eine vorsichtig­e Annäherung an. Schließlic­h will man mit dem türkischen Staatspräs­identen Recep Tayyip Erdogan eine Verlängeru­ng des "Flüchtling­s-Deals" von 2015 aushandeln. Die Türkei nimmt abgelehnte Asylbewerb­er aus Griechenla­nd zurück und darf dafür syrische Flüchtling­e in die EU schicken. Doch dieser Deal ist im Moment ausgesetzt. Die EU könnte sich aber bereit erklären, Erdogan mit mehr Geld für die Flüchtling­sversorgun­g und Verhandlun­gen über einen Ausbau der Zollunion zu locken. Von den zugesagten sechs Milliarden Euro sind bislang vier ausgezahlt worden.

Die Beziehunge­n zu Russland, die sich nach Ansicht des EUAußenbea­uftragten Josep Borrell "auf einem Tiefpunkt" befinden, werden nur kurz angeschnit­ten. Ein echter Plan für den Umgang mit Russland, das die EU inzwischen nicht mehr als Partner akzeptiere­n will, soll erst beim nächsten physischen Treffen der EU-Staats- und Regierungs­chefs geschmiede­t werden. Vielleicht Ende Juni, falls bis dahin die Impfungen die Kehrtwende in der Pandemie gebracht haben. Im Juni, so der Plan, soll dann auch US-Präsident Biden persönlich nach Brüssel kommen, um am NATO-Gipfel teilzunehm­en.

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Video-Gast aus dem Weißen Haus: Joe Biden nimmt virtuell am EU-Gipfel teil (Archiv)
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Gipfel-Gastgeber Charles Michel (oben) hat wieder alle auf dem Schirm (Archiv)

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