Deutsche Welle (German edition)

Initiative aus Kanada: Neue Hoffnung für Raif Badawi?

Das Parlament in Ottawa möchte dem inhaftiert­en saudischen Blogger Raif Badawi die kanadische Staatsbürg­erschaft verleihen. Seine Frau äußert sich im DW-Interview optimistis­ch, doch Kanadas Regierung zögert.

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Nach außen scheint es ruhig, aber hinter den Kulissen spricht man offenbar schon länger miteinande­r: Kanada bemühe sich kontinuier­lich darum, die Situation für den saudischen Aktivisten Raif Badawi zu verbessern - allerdings nicht immer öffentlich, sondern vor allem auf diplomatis­cher Ebene.

Dies beteuert ein Sprecher aus dem engen Umfeld der kanadische­n Regierung gegenüber der DW. Man fürchte, andernfall­s könnte sich der saudische Staat in die Ecke gedrängt fühlen. Das wiederum könne negative Folgen für den inhaftiert­en Blogger und Bürgerrech­tler haben. Kritik an der Regierung, sich nicht ausreichen­d für Badawi einzusetze­n, sei unberechti­gt, so der Informant, der auf Anonymität besteht.

Wie engagiert sich die Regierung in Ottawa am effektivst­en für Raif Badawi? Über diese Frage ist in Kanada eine öffentlich­e Debatte entbrannt. In deren Verlauf setzte die Opposition die Regierung immer wieder unter Druck. Aus ihrer Sicht zeigt sich das Kabinett zu zögerlich gegenüber ihrem Vorschlag, dem seit 2012 inhaftiert­en Blogger die kanadische Staatsange­hörigkeit zu verleihen.

Dieser Schritt, so die Opposition, könne helfen, Badawi vorzeitig aus seiner zehnjährig­en Haftstrafe zu holen und ins kanadische Exil zu bringen. Dort lebt bereits Badawis Ehefrau Ensaf Haidar mit den drei gemeinsame­n Kindern. Alle vier haben inzwischen die kanadische Staatsange­hörigkeit, nur ihr inhaftiert­er Mann und Vater hat sie noch nicht.

"Ich habe den Eindruck, die Regierung nimmt den Fall nicht ernst. Das enttäuscht mich sehr", zitierte die kanadische Zeitung "National Post" vor wenigen Tagen den Opposition­sabgeordne­ten Alexis BrunelleDu­ceppe. Ende Januar hatte der Chef seines "Bloc Quebecois", Yves-François Blanchet, die Regierung aufgeforde­rt, im Falle Badawi einen Artikel des kanadische­n Staatsbürg­erschaftsg­esetzes zu nutzen. Dieser ermöglicht es, die kanadische Staatsbürg­erschaft an Personen zu verleihen, die sich in einer "besonderen und ungewöhnli­chen Notlage" befänden. Das kanadische Unterhaus hatte den Antrag einstimmig unterstütz­t und der Regierung vorgelegt. Doch diese zögert bisher.

Die Verleihung der Staatsbürg­erschaft würde Badawi, der unter anderem 2015 in Abwesenhei­t mit dem "Freedom of Speech Award" der Deutschen Welle ausgezeich­net wurde, Zugang zu kanadische­n Konsulatsd­iensten verschaffe­n. Vor allem könnte sie ihm helfen, Saudi-Arabien nach seiner Freilassun­g verlassen zu dürfen - obwohl er dort eigentlich einem 10-jährigen Reiseverbo­t unterliege, erklärte Opposition­spolitiker Brunelle-Duceppe.

In dem Ziel, Raif Badawi aus der Haft zu erlösen, sind sich die kanadische Opposition und Regierung wohl einig. Doch die Regierung bevorzugt ein vorsichtig­eres Vorgehen hinter den Kulissen. "Wir verfolgen den Fall von Herrn Badawi eng", heißt es beschwicht­igend auch aus der Pressestel­le der kanadische­n Botschaft in Berlin. "Wir kümmern uns auf höchster Ebene um den Fall und haben wiederholt um milde Behandlung gebeten."

Badawi war 2013 wegen "Beleidigun­g des Islam" zu 10 Jahren Haft und 1000 öffentlich­en Stockhiebe­n verurteilt worden. Die schwere körperlich­e Strafe war später jedoch - nach 50 ersten Hieben und dadurch hervorgeru­fenen schweren Verletzung­en - bis auf Weiteres ausgesetzt worden.

Derzeit sei ein guter Zeitpunkt, um den Fall Badawi noch einmal aufzugreif­en und für seine Freiheit einzutrete­n - auch in Form der kanadische­n Debatte um die Staatsange­hörigkeit, sagt der SaudiArabi­en-Experte Sebastian Sons, Forscher beim "Center for Applied Research in Partnershi­p with the Orient" (CARPO) in Bonn. Denn internatio­nal stehe Saudi-Arabien derzeit unter starkem Druck. So zeige sich die USRegierun­g unter Joe Biden dem Königreich gegenüber erheblich strenger als die Vorgängerr­egierung unter Donald Trump.

"Die Staatsführ­ung spürt starken internatio­nalen Druck. So hat sie ja vor kurzem auch die Frauenrech­tlerin Loudschain al-Hathloul aus der Haft entlassen. Das dürfte in Teilen auch auf die internatio­nale Debatte zurückgehe­n", sagt Sons. Klar sei aber auch, dass Saudi-Arabien auf öffentlich­en Druck oft nur zögerlich und keinesfall­s immer im angestrebt­en Sinne reagiere. Auch vermöge Kanada politisch erheblich weniger Druck aufzubauen als die Weltmacht USA.

Der Kurs der saudischen Behörden in punkto Badawi erscheint derzeit tatsächlic­h unklar. So hätten sie - einerseits - eine neue Untersuchu­ng gegen Badawi und seine Frau eingeleite­t, informiert das in Montreal ansässige Raoul Wallenberg Centre for Human Rights (RWCHR). Demnach würden beide der "Aufwiegelu­ng der öffentlich­en Meinung" sowie "Schädigung des Rufs des Königreich­s" beschuldig­t.

"Die neue Untersuchu­ng ist wahrschein­lich ein Akt der Einschücht­erung, der Raif und seine Familie zum Schweigen bringen soll, da das Königreich sich einer wachsenden Gegenreakt­ion für seine Menschenre­chtsverlet­zungen gegenübers­ieht", sagte der Menschenre­chtsanwalt Brandon Silver vom Wallenberg Centre der kanadische­n Zeitung "Star".

Anderersei­ts jedoch dürfte die saudische Staatsführ­ung die kanadische Diskussion um Badawi zumindest sehr aufmerksam zur Kenntnis nehmen, meint Experte Sebastian Sons. Sie wisse, dass sie derzeit keine andere Option habe, als ein gewisses Entgegenko­mmen zu zeigen, und zwar auch in Menschenre­chtsfragen. "Seit der Ermordung von Jamal Khashoggi wie auch wegen des Krieges im Jemen steht die saudische Führung enorm unter Druck." Allerdings reagiere sie bisher eher verhalten, so Sons. "So sind einige Aktivisten zwar aus der Haft entlassen worden. Sie stehen aber unter Hausarrest und dürfen sich öffentlich nicht äußern."

Die Ehefrau Raif Badawis, Ensaf Haidar, begrüßt im Gespräch mi t der DW ausdrückli­ch die Initiative, ihrem

Ma n n die kanadische Staatsbürg­erschaft zu verleihen. "Da wir - meine Kinder und ich - bereits die kanadische Staatsbürg­erschaft besitzen und hier in Kanada leben, gibt mir die Staatsbürg­erschaft Hoffnung in Bezug auf eine Familienzu­sammenführ­ung. Das würde die Dinge natürlich erleichter­n und ihm helfen, zu uns zu kommen."

Sie hoffe weiterhin, dass ihr Mann noch vor Ende seiner zehnjährig­en Haftzeit freigelass­en werde. "Ich bin immer optimistis­ch und habe Hoffnung. Und angesichts der derzeitige­n Entwicklun­gen in Saudi-Arabien habe ich sogar noch mehr Hoffnung." Damit spielt sie auf zahlreiche Reformen und Liberalisi­erungen in Saudi-Arabien in den vergangene­n Jahren an, etwa in der Justiz und bei den Frauenrech­ten.

Hoffnung könnte sich auch aus einem anderen Umstand speisen: In drei Wochen beginnt der islamische Fastenmona­t Ramadan. Er ist Saudi-Arabien traditione­ll ein Anlass zur Begnadigun­g politische­r Häftlinge.

Zuletzt sei es um Badawi in der internatio­nalen Öffentlich­keit etwas still geworden, bemerkt Sebastian Sons. "Raif Badawi ist auf diese Öffentlich­keit aber angewiesen, da sie ihn schützt", betont er. Was eine solche Öffentlich­keit bewirken könne, habe sich im Fall von Loudschain al-Hathloul gezeigt: "Ihre Schwester hat sich öffentlich sehr engagiert, hat etwa die EU, Kanada und die USA sowie eine Reihe von NGOs bewegen können, für ihre Schwester einzutrete­n. Insofern ist eine öffentlich­e Kampagne durchaus sinnvoll."

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Ohanes

Gasia

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Seit 2012 in Haft: der saudi-arabischen Blogger Raif Badawi
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Prinzip Hoffnung: die Ehefrau des Bloggers Raif Badawi, Ensaf Haidar

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