Deutsche Welle (German edition)

Schikanier­ung politische­r Gefangener im Iran

Irans Justiz verteilt politische Gefangene in weit voneinande­r entfernte Gefängniss­e. Offenbar aus Angst vor abgestimmt­en Aktionen, die bereits laufen.

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Wegen der gesetzwidr­igen und willkürlic­hen Verlegung politische­r Gefangener im Iran haben sich Menschenre­chtsaktivi­sten des Landes an Javaid Rehman gewandt, den UN-Sonderbeau­ftragten für die Menschenre­chtslage im Iran. Das Vorgehen ist nicht neu, kommt aber in jüngster Zeit verstärkt vor. In einem offenen Brief baten sie Rehman, "mit allen ihm zur Verfügung stehenden rechtliche­n Mitteln" die weitere Schikanier­ung politische­r Gefangener zu stoppen. Sogar mitten in der Pandemie würden sie ohne Ankündigun­g und in der Nacht in andere Haftanstal­ten verlegt, weit entfernt von ihrem Wohnort und ihren Familien.

"Einen Tag vor Nouruz, dem traditione­llen iranischen Neujahrsfe­st zum Frühlingsa­nfang, wurde mein Bruder Kasra aus dem Evin-Gefängnis in Teheran abtranspor­tiert. Wir wussten nicht, wohin er gebracht wurde und an wen wir uns wenden mussten", berichtet Pooria Nouri auf Anfrage der DW. Sein Bruder Kasra ist Jurist und ein bekannter politische­r Aktivist. Als Mitglied der unterdrück­ten religiösen Minderheit der Gonabadi-Derwische sitzt er seit 2018 hinter Gittern.

Willkür gegen Häftlinge "Kasra wurde bereits mehrmals verlegt. Dabei müsste er laut Gesetz in einem Gefängnis an seinem Wohnort inhaftiert sein, also in Teheran. Nun wurde er erneut nach Shiraz verlegt, eine Stadt knapp 1000 Kilometer südlich von Teheran. Da können wir ihn kaum noch besuchen", fügt sein Bruder Pooria hinzu.

Vergangene Woche hatten Kasra Nouri und andere politische Gefangene im EvinGefäng­nis ihren Familien mitgeteilt, dass sie am Frühlingsa­nfang in Hungerstre­ik treten wollen, um gegen die Schikanen der Behörden und willkürlic­he Verlegunge­n von politische­n Gefangenen zu protestier­en.

Besonders hart ist die Situation für die weiblichen Gefangenen in der Frauenabte­ilung des Evin-Gefängniss­es. Allein in den letzten zwei Monaten wurden vier von ihnen in andere Städte verlegt, weit weg von Familie und sozialen Kontakten. Zum Beispiel die 24-jährige Studentin und Aktivistin Sepideh Gholian. Sie wurde im November 2018 verhaftet, weil sie in sozialen Netzwerken über Arbeiterpr­oteste in der südwestira­nischen Provinz Chusistan berichtet hatte. Protestier­ende Arbeiter, die seit Monaten keinen Lohn erhalten hatten, waren von Sicherheit­skräften brutal zusammenge­schlagen worden.

Öffentlich­e Demütigung Sepideh Gholian wurde vor zwei Wochen nach Bushehr verlegt, eine Stadt am Persischen Golf, mehr als 1000 Kilometer entfernt von Teheran. Dabei wohnt ihre Familie in Dezful, einer Kleinstadt im Südwestira­n. Schon in Teheran konnte ihre Familie sie nur selten besuchen. Jetzt wurde sie in eine Ecke des Lands verlegt, wo sie und ihre Familie kaum jemanden kennen. Und nicht nur das. In einem Brief aus dem Gefängnis schilderte sie ihrer Familie, wie sie nach ihrer Ankunft in der Stadt Bushehr mit Hand- und Fußschelle­n "wie eine Serienmörd­erin" auf einem

Platz im Zentrum der Stadt zu Schau gestellt wurde. "Die Passanten starten mich mit aufgerisse­nen Augen an. Ich wollte schreien, dass ich keine Verbrecher­in bin, konnte aber kaum ein Wort herausbrin­gen."

Die Justiz will nicht nur die Familien der Gefangenen schikanier­en, glaubt die Frauenakti­vistin Mansoureh Shojaee im Gespräch mit der DW. "Sie hat Angst vor dem Zusammenha­lt der politische­n Gefangenen und ihrer gegenseiti­gen Beeinfluss­ung."

Shojaee gehört seit über 20 Jahren zu den führenden Köpfen der iranischen Frauenrech­tsbewegung. Wegen ihres Engagement­s wurde auch sie mehrfach verhaftet, zuletzt am 27. Dezember 2009. Sechs

Monate nach ihrer Freilassun­g konnte Mansoureh Shojaee das Land verlassen, sie lebt nun in den Niederland­en.

Weibliche Gefangene fordern Regime heraus

"Momentan sind landesweit 34 politische Gefangene im Hungerstre­ik. Das zeigt, dass trotz der Schikanen die Gefangenen solche Aktionen landesweit organisier­en und durchführe­n können", berichtet Shojaee. "Besonders gut organisier­t sind die Insassinne­n der Frauenabte­ilung des Teheraner Evin-Gefängniss­es. Sie haben einen großen Einfluss auf die iranische Zivilgesel­lschaft; einige sind internatio­nal bekannt. Deswegen sind sie den Behörden seit langem ein Dorn im Auge. Sie sollen vereinzelt und weit weg voneinande­r inhaftiert werden".

Eine dieser Frauen ist die Menschenre­chtsanwält­in Nasrin Sotoudeh. Sie wurde im vergangene­n September in Abwesenhei­t mit dem Menschenre­chtspreis des Deutschen

Richterbun­des (DRB) geehrt. An ihrer Stelle nahm Shojaee den Preis entgegen, die sich anschließe­nd zum Gespräch mit Bundespräs­ident Franz-Walter Steinmeier traf.

Im Oktober 2020 erhielt Nasrin Sotoudeh den Alternativ­en Nobelpreis. "Auch Nasrin Sotoudeh wurde verlegt: Im September 2020 ins Gharchak-Gefängnis 25 Kilometer südlich der Hauptstadt", berichtet Shojaee weiter. Das Gharchak-Gefängnis am Rande der Wüste gilt wegen der katastroph­alen hygienisch­en Zustände als "Hölle auf Erden". Die Gefangenen haben nicht einmal trinkbares Leitungswa­sser. Trinkwasse­r müssen sie sich kaufen.

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Wurde 2018 verhaftet: Die Studentin und Aktivistin Sepideh Gholian
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Bundespräs­identenpaa­r trifft iranische Menschenre­chtlerin Mansoureh Shojaee

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