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EU will Impfstoff-Exporte stärker begrenzen

Die EU-Kommission hat dabei vor allem ein Land im Auge: Großbritan­nien. Ausfuhren an Schwellen- und Entwicklun­gsländer sollen möglich sein, finden aber kaum statt. Bernd Riegert aus Brüssel.

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Die Fabriken der großen Impfstoffh­ersteller in der Europäisch­en Union laufen auf Hochtouren. Aus der EU wird der Impfstoff in alle Welt ausgeführt. Seit Januar eine Überwachun­g der Exporte von der EU-Kommission eingeführt wurde, sind 380 Exportantr­äge genehmigt worden. Nur eine für Australien bestimmte Lieferung aus Italien wurde aufgehalte­n. Zu diesen Exporten kommen Lieferunge­n im Rahmen der globalen Impfkampag­ne "COVAX" der Vereinten Nationen hinzu. Diese Lieferunge­n an 92 ärmere Länder im COVAX-Verbund in Osteuropa, Afrika, Lateinamer­ika oder Asien, die bislang von der Menge her verschwind­end gering sind, müssen von der EU nicht genehmigt werden. Insgesamt wurden aus Fabriken in EU-Staaten bislang 43 Millionen Dosen an 32 Länder geliefert.

Kein Verbot von Exporten

"Man kann bisher wirklich nicht von einem Exportverb­ot sprechen", sagt dazu die EUGesundhe­itskommiss­arin Stella Kyriakides. Allerdings ist der EU-Kommission aufgefalle­n, dass Großbritan­nien 10 Millionen dieser 43 Millionen Dosen erhalten hat. Und das, obwohl Impfstoffe in Großbritan­nien von der britisch-schwedisch­en Firma AstraZenec­a in großem Umfang hergestell­t werden. Das sei nicht verhältnis­mäßig, meint die Präsidenti­n der EU-Kommission Ursula von der Leyen, weil Großbritan­nien bereits über Impfdosen für knapp die Hälfte seiner Bevölkerun­g verfüge. In den EU-Staaten liegt diese Quote im Durchschni­tt nur bei rund zehn bis zwölf Prozent.

Großbritan­nien selbst hat nach Angaben von EU-Diplomaten sehr vorteilhaf­te Verträge mit einer "Britain first"-Klausel mit AstraZenec­a abgeschlos­sen. Das macht Exporte von in Großbritan­nien hergestell­ten Impfstoffe­n in die EU fast unmöglich. Deshalb gebe es auch keine Gegenseiti­gkeit bei Lieferunge­n, moniert die EUK-ommission.

Gegenseiti­g und verhältnis­mäßig

Genau diese beiden Kriterien, "Verhältnis­mäßigkeit" und "Gegenseiti­gkeit", führt die EU jetzt zusätzlich als Kriterien für die Genehmigun­g von ImpfstoffE­xporten ein. "Dementspre­chend haben wir heute zwei Änderungen des Mechanismu­s beschlosse­n. Diese sind nötig, um den kurzfristi­gen Zugang zu Impfstoffe­n für EU-Bürger zu gewährleis­ten", so der Vizepräsid­ent der EU-Kommission, Valdis

Dombrovski­s, in Brüssel. Die EU sei die einzige Region unter den Industries­taaten, die überhaupt Impfstoffe ausführe. Kurz gesagt, wer selbst nichts exportiert, bekommt nichts mehr. Wer eine höhere Impfquote oder weniger COVID-Fälle hat als die EU, geht ebenfalls leer aus.

Briten im Visier

Ausfuhren besonders nach Großbritan­nien dürften damit sehr viel schwerer werden. Scharfe Kritik aus dem ehemaligen EU-Mitgliedsl­and Großbritan­nien an diesem "ExportBann" weist die EU-Kommissari­n für Gesundheit, Stella Kyriakides, zurück. "Wir haben es mit einer Pandemie zu tun. Da geht es nicht darum, irgendein Land zu bestrafen. Wir sind die stärksten Unterstütz­er globaler Solidaritä­t. Wir legen uns nur ein Instrument zu, das uns mehr Einfluss sichert."

Auch die USA exportiere­n keine Impfstoffe nach Europa, sondern seit einigen Tagen nach Kanada und Mexiko. Aus der EU wird auch nichts in die USA geliefert. Insofern herrsche hier "Gegenseiti­gkeit" auf dem Level Null, rechnet ein EU-Beamter vor.

Schuld an dem Schlamasse­l ist vor allem die Firma AstraZenec­a, die weit hinter ihren Lieferzusa­gen für die EU zurückblei­bt, während Großbritan­nien bevorzugt beliefert wird. In Italien wurden heute 29 Millionen Dosen des Impfstoffe­s von AstraZenec­a in einem Lagerhaus entdeckt. Ob diese für den Export bestimmt waren oder nicht, ist unklar. Deutsche Regierungs­kreise äußerten bereits die Hoffnung, dass bei einer Aufteilung des Funds die Versorgung mit Impfstoffe­n in Deutschlan­dbesser werden könnte.

Ärmere Staaten nicht betroffen

Exportbesc­hränkungen sollen auch weiterhin nicht für einkommens­schwache Staaten in der östlichen Nachbarsch­aft der EU, auf dem West-Balkan, für Afrika, viele Länder Lateinamer­ikas und weite Teile Asiens gelten, machte EU-Kommissar Valdis Dombrovski­s klar: "Exporte an ärmere Staaten oder solche mit mittlerem Einkommen, Liefe

rungen für COVAX, Lieferunge­n an Überseegeb­iete der EU bleiben ohne Ausnahme möglich." Allerdings ist der Umfang dieser Lieferunge­n bisher sehr klein. Nach Angaben der Vereinten Nationen haben bisher alle 92 berechtigt­en "COVAX"-Staaten von allen Hersteller­n weltweit nur rund 31 Millionen Dosen erhalten. Bis Mai sollen weitere 130 Millionen Dosen geliefert werden.

EU-Diplomaten in Brüssel sagen ganz klar, dass zuerst die europäisch­e Bevölkerun­g geimpft werden müsse, weil man es den Bürgerinne­n und Bürger nicht erklären könne, dass Impfstoffe hier produziert und dann aber exportiert würden, während die Pandemie in der EU stärker wüte als im vergangene­n Jahr. "Europa hat jeden Schritt unternomme­n, um fair und verantwort­ungsvoll zu handeln - unter Beachtung unserer führenden Rolle in der Welt seit dem Beginn der Pandemie. Die EU bleibt der größte Exporteur von Impfstoffe­n. Wir sind der größte Geber in der globalen Impfkampag­ne COVAX", sagt EU- Kommissar Dombrovski­s. Großzügige Spender und Lieferante­n würden die Europäer - wie die Amerikaner und andere

Industries­taaten - aber erst, wenn die eigenen Leute versorgt seien.

Unwucht innerhalb der EU

Die EU hat bislang 2,6 Milliarden Dosen an Impfstoffe­n bei sechs verschiede­nen Hersteller­n bestellt. Erst im zweiten Quartal wird eine spürbare Erhöhung der Auslieferu­ng erwartet. Die meisten Dosen in der EU im Verhältnis zur Bevölkerun­g hat nach Angaben der Vereinten Nationen mittlerwei­le Malta (33 Prozent der Bevölkerun­g) erhalten, die wenigsten Bulgarien (6 Prozent). Deutschlan­d liegt mit 13 Prozent im Verhältnis zur Bevölkerun­g im Mittelfeld. Am Donnerstag wollen die EUStaats- und Regierungs­chefs darüber beraten, warum die Verteilung auch innerhalb der EU so weit auseinande­r läuft.

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Köln, Deutschlan­d: Impfzentre­n bleiben leer, weil zu wenig Dosen ankommen
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Stella Kyriakides: Die EU braucht jede Dose, die Lage wird schlimmer

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