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Klezmer-Star Giora Feidman wird 85
Musik ist für ihn die Sprache der Seele, seine Klarinette das Sprachrohr. Giora Feidman spielte in "Schindlers Liste" und für den Papst. Jetzt wird er 85.
Wenn Giora Feidman morgens aufsteht, greift er erst mal zur Klarinette. "Ich will an jedem Morgen aufs Neue herausfinden, was heute an Überraschungen in ihr steckt", schreibt er in seinen pünktlich zum Geburtstag erschienen Memoiren "Klang der Hoffnung". "Ich packe sie aus, gebe ihr einen Kuss, und dann beginne ich zu spielen. Meine Frau ist deswegen übrigens nicht eifersüchtig - sie weiß, dass der Kuss meine Dankesgeste gegenüber meinem Instrument ist: Dank dafür, was sie mir alles schon an Erlebnissen und unvergesslichen Momenten ermöglicht hat."
Ein Mann, der so tief in der Musik verwurzelt ist, denkt nicht an den Ruhestand - auch nicht mit stolzen 85 Jahren. Auf seiner Homepage kündigt er für die nächsten Monate mehr als 50 Konzerte im deutschsprachigen Raum an - vorausgesetzt, die Corona-Bestimmungen lassen dies zu. 2021 ist das Jahr, in dem in Deutschland 1700 Jahre jüdisches Leben gefeiert werden, da darf und will Giora Feidman nicht fehlen.
Denn Musik ist für ihn nicht einfach nur Musik. Sie ist eine Art der Verständigung über alle Barrieren hinweg: Religionen, Kulturen, Hautfarben oder Traditionen. "Bei der Musik geht es immer um Gefühle, sie weckt das Beste in uns", schreibt er in seinem Buch. Und genau diese Gefühle will er in seinen Konzerten auch seinem Publikum mitbringen. Er selbst spricht poetisch davon, "dass Seelen einander treffen".
Zur Zeit aber spielt Giora Feidman vor allem im Garten seines Hauses in Rinatja, einem Dorf in der Nähe von Tel Aviv. Die Corona-Pandemie hat ihn ausgebremst, viel lieber wäre er jetzt schon auf Tournee. Trotzdem kann er dem Lockdown auch etwas Positives abgewinnen: "Für mich persönlich war das Virus eine willkommene Gelegenheit", sagt er. "Ich habe Zeit, Musik aufzunehmen."
Zusammen mit seinen Memoiren hat er auch ein neues Album herausgebracht - mit dem selbsterklärenden Titel "85". Und jetzt wartet der Mann mit den drei Pässen darauf, endlich wieder auf der Bühne spielen zu können. Ach was, er spielt nicht, sein Instrument lebt: Es jubiliert, schmachtet, flüstert oder stöhnt. Die Töne tänzeln in schwindelerregenden Höhen, stürzen dann in die Tiefe und enden in plapperndem Lamento. Ob Klezmer, Tango, Jazz oder Klassik: Giora Feidman bewegt sich mühelos zwischen Stilen und Genres, und von Sydney über Berlin bis Tokio liegt ihm ein verzaubertes Publikum zu Füßen.
Die Liebe zur Musik wurde ihm in die Wiege gelegt. Feidman wird am 25. März 1936 in Buenos Aires geboren. Seine Eltern sind jüdische Einwanderer aus Bessarabien, in der heutigen Republik Moldau, die um 1905 vor Judenpogromen flohen. Einige seiner Vorfahren waren Klezmorim: Wandermusiker, die ihre Lieder durch die Lande trugen und in den jüdisch geprägten Dörfern und kleinen Städten ("Schtetl") aufspielten, insbesondere bei Hochzeitszeremonien, Festessen und zum Tanz. Ihre Musik schwankt zwischen Melancholie und Verzweiflung bis hin zu ausgelassener Lebensfreude.
Giora Feidman setzt die Familientradition in vierter Generation fort. Die Mutter singt jiddische Lieder, der Vater bringt ihm die ersten Töne auf der Klarinette bei. Musik sei vor allem Gefühl, sagt sein polnischer Lehrer und fordert ihn auf, Zeitungsnachrichten auf der Klarinette zu kommentieren. Er genießt eine klassische Ausbildung, liebt neben Klezmer auch Schubert und Mozart.
Mit 18 Jahren bekommt der hochtalentierte Giora eine Anstellung als Klarinettist am Teatro Colón, der renommiertesten Opernbühne Süda