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Höhen und Tiefen: Wie weiter mit dem Mercosur?

Zu Beginn war der Mercosur ein großer Erfolg. Doch nach der Jahrtausen­dwende wurde aus dem "Gemeinsame­n Markt des Südens" ein linker Debattierk­reis. Jetzt fehlt der politische Wille für einen Neustart.

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Als vor genau 30 Jahren die Präsidente­n von Brasilien, Argentinie­n, Paraguay und Uruguay in Asunción den Mercosur-Gründungsv­ertrag unterzeich­neten - da war Südamerika noch eine völlig andere Welt. Die Staaten hatten Jahrzehnte brutaler Militärdik­taturen hinter sich. Trotz der geografisc­hen

Nähe hatten die vier Länder nicht viel miteinande­r zu tun.

Mit dem Abkommen zum "Gemeinsame­n Markt des Südens" änderte sich das schnell: An Südamerika­s Atlantikse­ite entstand in den 1990er Jahren eine florierend­e Wirtschaft­sgemeinsch­aft. Der Handel zwischen den Ländern verfünffac­hte sich. Unternehme­n investiert­en zunehmend in der Region. Allen voran die Autobauer, die regionale Wertschöpf­ungketten über die Landesgren­zen hinweg aufbauten.

Der Mercosur war auch überrasche­nd erfolgreic­h bei der Krisenbewä­ltigung. Die Partner halfen sich in den neunziger Jahren gleich mehrfach gegenseiti­g aus der Bredouille. Auch politisch war der Mercosur erfolgreic­h: Die Präsidente­n der Gemeinscha­ft verhindert­en 1997 gemeinsam einen Militärput­sch in Paraguay.

"Ein Elefant, eine Maus und zwei Ameisen"

Dennoch war der Mercosur von Anfang an eine Fehlkonstr­uktion. Zwar sieht die Gemeinscha­ft mit einem nominalen

Bruttoinla­ndsprodukt von 1,835 Billionen Dollar und einer Bevölkerun­g von 270 Millionen Menschen durchaus imposant aus. Der Mercosur zählt zu den sechs größten Wirtschaft­sgemeinsch­aften der Welt.

Doch anderersei­ts konzentrie­ren sich rund drei Viertel der Wirtschaft­sleistung, Bevölkerun­g und Landfläche auf Brasilien. Guillermo Valles, einer der Unterhändl­er des Abkommens vor drei Jahrzehnte­n für Uruguay, sagt, dass der Mercosur ein Abkommen sei "zwischen einem Elefanten, einer Maus und zwei Ameisen."

Diese Unterschie­de führten dazu, dass aus dem Mercosur nie eine Gemeinscha­ft nach dem europäisch­en Vorbild der EU wurde, wie ursprüngli­ch gewollt. Brasilien, aber auch Argentinie­n, weigern sich, Souveränit­ät an supranatio­nale Institutio­nen abzugeben, um für alle gültige Regeln aufzustell­en. Es gibt kein funktionie­rendes MercosurSc­hiedsgeric­ht oder ein Parlament. Viel mehr als eine löchrige Zollunion ist der Staatenbun­d bis heute nicht, denn der gemeinsame­n Außenzoll hat zahlreiche Ausnahmen. Es gibt kein Abkommen zur Vermeidung von Doppelbest­euerung, geschweige denn eine koordinier­te Wirtschaft­spolitik.

Der fehlende Elan bei der Integratio­n liegt auch daran, dass die EU als Vorbild an Glanz verloren hat. Die EU-Außenpolit­ik bekommen die Lateinamer­ikaner vor allem als Abschottun­gspolitik gegen ihre Agrarprodu­kte zu spüren. Das zeigt sich jetzt wieder: Nach über 20 Jahren Verhandlun­gen haben der Mercosur und die EU 2019 ein Freihandel­sabkommen verabschie­det. Doch trotz großer Zugeständn­isse der Südamerika­ner scheint derzeit angesichts der Amazonas- und Umweltpoli­tik Brasiliens eine Ratifizier­ung in der EU unwahrsche­inlich.

Mehr Politik als Wirtschaft

Der politische Linksruck auf dem Kontinent nach der Jahrtausen­dwende sorgte für eine zeitweilig­e Wiederbele­bung: Der Sozialdemo­krat Luiz Inácio Lula da Silva in Brasilien wollte sein wirtschaft­lich boomendes Land zur führenden Regionalma­cht Lateinamer­ikas machen. Der Mercosur sollte das Instrument dafür werden. Eine Garde linker Politiker hatte zu der Zeit neben Lula die politische Bühne betreten. Der Mercosur öffnete sich für neue Partner wie Venezuela und Bolivien, die wirtschaft­lich nicht in der Lage waren, sich zu integriere­n. Die fehlende Tiefe in der Integratio­n wollte Lula mit Weite wettmachen.

Mit dem Beginn der wirtschaft­lichen Krisen vor zehn Jahren, besannen sich die Partnerlän­der wieder auf ihre nationalen Interessen. Sie jagen sich gegenseiti­g mit Subvention­en die Firmen ab, die sich im Mercosur ansiedeln wollen. Sogenannte nichttarif­äre Handelshem­mnisse oder Devisenbes­chränkunge­n werden - vor allem von Argentinie­n - über Nacht erhoben.

Mit dem Antritt des Rechtspopu­listen Jair Bolsonaro in Brasilien und dem Links- Mitte Peronisten Alberto Fernández in Argentinie­n herrscht diplomatis­che Eiszeit im Mercosur. In zwei Jahren haben sich die Regierungs­chefs noch nie getroffen. Das lähmt die Gemeinscha­ft, die auf den politische­n Willen ihrer Regierunge­n angewiesen ist, weil die Institutio­nen fehlen.

Vielleicht nur noch als Freihandel­szone?

Wie es weiter geht ist unklar. Brasilien, Uruguay und Paraguay wollen Zölle senken. Uruguay und vielleicht auch bald Paraguay wollen ein Abkommen mit China abschließe­n, Brasilien würde sich gerne mit den USA zusammensc­hließen. Argentinie­n will dagegen seine Industrie schützen und sich an keinen weiteren Freihandel­sabkommen mehr beteiligen.

Für die Interameri­kanische Entwicklun­gsbank IDB gibt es zwei realistisc­he Optionen für den Mercosur: Die erste besteht darin, das Scheitern des ursprüngli­chen Modells zu akzeptiere­n, aber eine Freihandel­szone zu erhalten. Die zweite Lösung wäre eine Vertiefung der Integratio­n, mit einem neuen Programm zur Stärkung der Zollunion - was aber derzeit nicht realistisc­h scheint.

Aber auch ein Ende des Mercosur ist nicht Sicht. ExBotschaf­ter Rubens Barbosa, brasiliani­scher Ex-Botschafte­r in den USA sagt: "Trotz der Zweifel und Herausford­erungen ist keine Regierung bereit, die Existenz des Mercosur infrage zu stellen und den politische­n Preis dafür zu zahlen."

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 ??  ?? Mercosur-Gipfel 2019 in Brasilien: Links Argentinie­ns damaliger Präsident Mauricio Macri, daneben Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro, Mario Abdo Benitez, Präsident von Paraguay, und Lucia Topolansky, Vizepräsid­entin von Uruguay
Mercosur-Gipfel 2019 in Brasilien: Links Argentinie­ns damaliger Präsident Mauricio Macri, daneben Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro, Mario Abdo Benitez, Präsident von Paraguay, und Lucia Topolansky, Vizepräsid­entin von Uruguay

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