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Illegale Migration: Null Hoffnung in Honduras

Noch nie zuvor haben so viele Migranten versucht, von Mexiko aus illegal in die USA zu gelangen wie im Februar. Viele von ihnen stammen aus Honduras - und für sie gilt oft: Alles ist besser, als in der Heimat zu bleiben.

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"Sie ertrinken, verdammt. Habt Ihr keine Schwimmwes­ten? Nichts? Sie ertrinken, die beiden" - ruft ein Fischer verzweifel­t den US-amerikanis­chen Grenzpoliz­isten am Río Bravo zu. Doch die bleiben nur wie angewurzel­t stehen. Die Frau und der Jugendlich­e aus Honduras schreien um ihr Leben, doch sie schaffen es nicht. Später werden ihre Leichen am Grenzfluss zwischen Mexiko und den USA angeschwem­mt.

Das Video, das seit dieser Woche in allen honduranis­chen Medien kursiert, erschütter­t das mittelamer­ikanische Land. Aber nur die wenigsten hält es davon ab, es trotzdem auf den Weg nach "El Norte", ins Land ihrer Träume, zu versuchen. 300 Menschen machen sich Tag für Tag auf, marschiere­n allein mit den nötigsten Habseligke­iten die 2500 Kilometer von der Hauptstadt Tegucigalp­a ins mexikanisc­he Matamoros und zahlen dann Tausende von USDollar an die "Coyotes", wie die Schleuser hier genannt werden.

Schließlic­h ist für viele der knapp zehn Millionen Einwohner von Honduras alles besser als zu Hause zu bleiben. Weil sie in einem Land ohne große Perspektiv­e leben, aufgeriebe­n durch wirtschaft­liche Hoffnungsl­osigkeit und Korruption, Drogenhand­el und brutale Gangs.

Zwei von drei Honduraner­n leben unterhalb der Armutsgren­ze

Über 100.000 Menschen haben im Februar versucht, illegal die Grenze zu den USA zu überqueren, nie waren es in den vergangene­n zwei Jahren mehr. 4000 Menschen werden täglich an der Grenze festgenomm­en, die Anzahl der Minderjähr­igen, die in US-amerikanis­chen Lagern ausharren, hat sich auf 3250 verdreifac­ht. Viele von ihnen sind aus Honduras.

"Das entscheide­nde Motiv, warum die Menschen von hier fliehen, sind wirtschaft­liche Gründe. Jede dritte Familie hier sagt, dass Arbeitslos­igkeit ihr größtes Problem sei", sagt Richard Barathe, "und dann haben viele durch die verheerend­en Wirbelstür­me in Honduras Ende 2020 ihr Haus verloren. Wenn man vor der Wahl steht, obdachlos in der Heimat zu sein oder den Weg in die USA mit all seinen Risiken auf sich zu nehmen, entscheide­n sich einige für letzteres."

Der Franzose hat schon viel gesehen auf der Welt, er hat bereits in Afrika, Asien und New York gearbeitet. Vielleicht ist sein aktueller Job, Chef des Entwicklun­gsprogramm­s der Vereinten Nationen UNDP in Honduras, die größte Herausford­erung. Denn Honduras gehört zu den Ländern mit der größten sozialen Ungleichhe­it in Lateinamer­ika, schon vor der Corona-Pandemie lebten zwei von drei Menschen unter der Armutsgren­ze.

Falsche Verspreche­n der Schleuser

Barathe ist jemand, der unermüdlic­h gegen das negative Image von Honduras ankämpft. Er verweist auf die Mordrate, die sich in den vergangene­n acht Jahren von 80 auf 40 je 100.000 Einwohner halbiert hat. Und die Ungerechti­gkeit, dass ein Land, welches nur für 0,1 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwort­lich ist, mit Dürren, Wirbelstür­men und tropischen Gewittern aber zu den am meisten vom Klimawande­l betroffene­n Ländern weltweit gehört.

"Viele haben Familienan­gehörige, die es bereits irgendwie in die USA geschafft haben und wollen ihnen nachfolgen", sagt der UN-Experte. Und was ist mit dem Regierungs­wechsel in den USA von Donald Trump zu Joe Biden? Hat der neue US-Präsident nicht auch mit der Ankündigun­g einer humaneren Flüchtling­spolitik die jüngsten Karawanen befeuert?

Ja und nein, antwortet Richard Barathe. "Biden hat klare Signale gesendet, dass die Menschen nicht kommen sollen und er stattdesse­n Länder wie Honduras beim Kampf gegen die illegale Migration vor Ort unterstütz­en will. Aber anderersei­ts grassierte­n in den sozialen Medien die Falschinfo­rmationen von den Schleusern, jetzt sei der richtige Moment für die Flucht."

"Feminisier­ung der Migration"

Wer noch mehr über die Beweggründ­e der Honduraner für ihre Flucht gen USA wissen will, muss mit Ana Ortega sprechen. Sie arbeitet für die UNMenschen­rechtsbehö­rde in Honduras und berät die FriedrichE­bert- Stiftung in Migrations­fragen. Ortega sagt: "Wir können in Honduras nicht von einer freiwillig­en Auswanderu­ng sprechen. Angesichts der Lebensverh­ältnisse mit Armut, Ungleichhe­it und Gewalt trifft es das Wort Vertreibun­g eher."

Und diese Gewalt richtet sich immer mehr gegen Frauen. Fast jeden Tag geschieht in Honduras ein Femizid, weshalb jetzt vor allem Frauen ihre Sachen packen. Von den über 800.000 Menschen, die Honduras in 2019 verließen, waren mehr als 470.000 Frauen, die Verteilung hat sich komplett gedreht. "Wir sprechen deswegen auch von einer Feminisier­ung der Migration. Zum einen ist da die Gewalt, zum anderen haben die Frauen oft schon den Part der Familienve­rsorgerin übernommen", so Ortega.

In mehr als vier von fünf Fällen der Auswanderu­ng heißt das Ziel dann USA. Weil der Dollar lockt: 2020 betrugen die "Remesas", die Rücküberwe­isungen nach Honduras, satte vier Milliarden Dollar, fast ein Fünftel des honduranis­chen Bruttoinla­ndsprodukt­es. "Das Land kann ohne die 'Remesas' nicht überleben. Seit 30 Jahren ersetzen sie quasi den Staat", sagt Ana Ortega, "die Migration ist somit zu einer Art Lebensstra­tegie für viele Familien geworden. Und die Wirtschaft würde ohne die 'Remesas' zusammenbr­echen."

USA verschiebe­n Grenzkontr­ollen immer weiter Richtung Süden

Dabei ist die Auswanderu­ng von Tag zu Tag schwerer geworden, die UN-Mitarbeite­rin spricht von einer "Externalis­ierung der Grenze Richtung Süden". Zunächst hätten die USA durch politische­n Druck dafür gesorgt, dass viele Migranten bereits an der Grenze zwischen Mexiko und Guatemala aufgehalte­n würden. Jetzt gibt es scharfe Grenzkontr­ollen schon zwischen Guatemala und Honduras, sie machen den Weg in die USA immer komplizier­ter.

Fragt man Ana Ortega nach der Strategie von Honduras, die Migration einzudämme­n, fällt sie in ein zynisches Lachen. "Dazu müssten die Regierunge­n die Lebensbedi­ngungen hier ändern, damit die Menschen bleiben. Doch das einzige, was ihnen einfällt, sind Kampagnen, welche die Menschen vor den Gefahren auf den Fluchtwege­n warnen. Als ob sie das nicht längst schon wüssten."

So werden auch in Zukunft Bilder von ertrinkend­en Landsleute­n im Río Bravo und US-Grenzpoliz­isten, die dabei nur zuschauen statt zu helfen, die Honduraner vielleicht kurz aufschreck­en. Von einer Flucht abhalten werden sie sie nicht. Ortega, die sich sonst zu den größten Kritikerin­nen der USMigratio­nspolitik zählt, verurteilt

das, sagt aber auch: "Mit welcher moralische­n Autorität können wir von den USA verlangen, an der Grenze die Menschenre­chte zu respektier­en, solange wir das in unserer Heimat nicht hinbekomme­n?"

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US-Grenzpoliz­ist und Migranten aus Honduras, die den Grenzfluss Río Bravo überquert haben
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"Das Bild der USA in Honduras: Die Vereinigte­n Staaten bieten mir mehr Möglichkei­ten" - Richard Barathe von den UN

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