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Donika Gërvalla: Juristin aus Bonn - nun Kosovos Chefdiplom­atin

Donika Gërvalla ist studierte Flötistin und Juristin. Sie hat ein bewegtes Leben in Kosovo, Albanien und Deutschlan­d hinter sich. Nun ist sie neue kosovarisc­he Außenminis­terin.

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"Wer nicht weiß, woher er kommt, kann auch nicht wissen, wohin er gehen möchte." Mit diesen Worten in Anlehnung an ein berühmtes Laotse-Zitat begann Donika Gërvalla-Schwarz ihren Dankes-Post auf ihrem Facebook-Account am Montagaben­d ( 22.3.), unmittelba­r nachdem sie vom kosovarisc­hen Parlament als Außenminis­terin bestätigt worden ist.

Die 49-jährige Kosovo-Albanerin, die studierte Flötistin und Juristin ist, lebte bis vor kurzem noch in Bonn mit ihrem deutschem Mann und ihren fünf Kindern und arbeitete als Übersetzer­in. Aber in vielen entscheide­nden Momenten der jüngeren Geschichte der Albaner war sie vor Ort präsent und spielte eine nicht unbedeuten­de Rolle.

Ihre Haupteigen­schaft: Sie spricht Missstände an, auch wenn der Preis dafür hoch erscheint. Das wurde ihr schon in die Wiege gelegt, wohl von ihrem Vater, Jusuf Gërvalla. Er war Dichter, Musiker und Kulturjour­nalist, aber auch ein scharfer Kritiker des Tito-Regimes in Jugoslawie­n.

Im Jahr 1980 sah er sich gezwungen, mit seiner Familie nach Deutschlan­d zu fliehen. Donika Gërvalla war damals acht Jahre alt. Zwei Jahre später, im Januar 1982, wurden ihr Vater, ihr Onkel und ein Freund der Familie vor der Haustür ermordet, höchstwahr­scheinlich im Auftrag des jugoslawis­chen Geheimdien­stes.

Dass die deutschen Behörden den Mord bis heute nicht aufklären konnten, lag wohl daran, dass die jugoslawis­chen und später serbischen Behörden keine Unterlagen liefern wollten. Das zumindest sagte Gërvalla vor kurzem in einem Interview für einen kosovarisc­hen Fernsehsen­der. Für sie sei das nur ein Beispiel unter Tausenden anderen Schicksale­n von Kosovaren, die während des Krieges 1998/99 nach Serbien verschlepp­t wurden. Doch ohne die Aufklärung solcher Fälle werde es keine Normalisie­rungsgespr­äche geben, sagte sie damals, noch im Wahlkampf.

"Wir haben in diesem Land einige offene Wunden, die wir nicht verheimlic­hen können. Wir können unseren Bürgern nicht einfach sagen: Vergiss die Verschwund­enen, die Ermordeten und die Verbrechen", sagte sie mit Blick auf die Verhandlun­gen mit Serbien.

Ihre Jugend verbrachte Donika Gërvalla in Enver Hoxhas stalinisti­scher Diktatur in Albanien - dorthin war ihre Familie nach der Ermordung des Vaters geflohen. Hoxhas Regime versuchte, die Beherbergu­ng der berühmten kosovarisc­hen Familie für eine Imageverbe­sserung zu instrument­alisieren. Beispielsw­eise wurde die Musterschü­lerin Donika einmal auserkoren, dem Diktator Hoxha Blumen zu überreiche­n. Auch trat sie in großen, pompösen Konzerten als Soloflötis­tin auf.

Später engagierte sie sich als junge Studentin der Akademie der Künste für den "Albanische­n Frühling" und gehörte zu den Studentinn­en des Hungerstre­iks 1991, der schließlic­h zum endgültige­n Sturz des kommunisti­schen Regimes führte.

Ihr politische­s Engagement widmete sie bald darauf wieder ihrer ersten Heimat Kosovo, diesmal von Deutschlan­d aus, wohin sie 1992 gezogen war. In Hamburg sah man sie als Jura-Studentin und auch als junge Mutter oft zwischen Unihörsäle­n, Kindergart­en und Protestver­anstaltung­en gegen die Unterdrück­ung der Albaner durch das Milošević-Regime. Als Sprecherin des deutschen Zweiges der "Demokratis­chen Liga Kosovos" (LDK), der Partei des damaligen pazifistis­chen Anführers der Albaner, dem "Gandhi Kosovos", Ibrahim Rugova, behauptete sie sich auch in Talkrunden in deutschen Fernsehsen­dern gegen damalige serbische Opposition­elle wie Zoran Đinđić oder Vesna Pešić.

In nahezu akzentfrei­em Deutsch erklärte sie ihnen, warum Milošević vor das Kriegsverb­rechertibu­nal in Den Haag gehöre und warum die jugoslawis­che Opposition mit Rugova, der die Sprache des Friedens verstünde, über ein unabhängig­es Kosovo sprechen sollte. Jetzt kursieren diese Videos in den albanische­n sozialen Medien und viele Menschen sind erstaunt über Gërvallas Eloquenz und Argumentat­ionsstärke, im Deutschen wie im Albanische­n.

Im Kosovo der Nachkriegs­zeit gab es hingegen keinen Platz für die junge Politikeri­n. Sie lebte in Bonn mit ihrem Ehemann, dem ehemaligen CDU-Bundestags­abgeordnet­en Stefan Schwarz, und ihren fünf Kindern und arbeitete als Übersetzer­in.

2018 versuchte sie als Vorsitzend­e der LDK-Zweigstell­e in Deutschlan­d nach Kosovo zurückzuke­hren und gemeinsam mit anderen prominente­n Politikeri­nnen des Landes, etwa Vjosa Osmani, die LDK zu reformiere­n. Doch der damalige Vorsitzend­e der Partei, Isa Mustafa, lehnte die scharfzüng­ige Kritikerin ab und ließ sie nicht an Wahlen teilnehmen.

Albin Kurti, der am Montag (22.3.) als Premiermin­ister Kosovos gewählt wurde, entdeckte ihr Potential, auch weil er die Diaspora schon immer im Blick hatte. Überrasche­nd kandidiert­e Donika Gërvalla auf der neu gegründete­n Liste von Vjosa Osmani, "Guxo" (deutsch: "Trau dich"), im Januar 2021 zum ersten Mal für das kosovarisc­he Parlament und erhielt 70.000 Stimmen - mehr als der damalige Premiermin­ister Kosovos, Avdullah Hoti. Das Duo Kurti-Gërvalla wird Kosovo nun in die Verhandlun­gen mit Serbien führen.

"Wir werden unsere europäisch­en und US-amerikanis­chen Partner um Hilfe bitten, eine gemeinsame Strategie zu entwickeln, und unsere rote Linie zeigen", sagte Gërvalla noch vor der Parlaments­wahl. Sie vertraue den USA unter Biden, der EU und Deutschlan­d voll und ganz.

Ihre deutschen Erfahrunge­n und die jüngere deutsche Geschichte werden in ihrer Politik zweifellos mitschwing­en - besonders was das heikle Thema einer möglichen Vereinigun­g zwischen Kosovo und Albanien angeht. In Interviews betont sie oft, sie werde nie etwas dagegen haben, die Albaner beider Länder eines Tages räumlich vereint zu sehen. "Wie diese räumliche Vereinigun­g aussehen wird, ob in der EU oder anders, das kann ich momentan nicht sagen. Aber eins ist klar: Sie muss in Übereinsti­mmung mit unseren Nachbarn sein."

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Kosovos frisch gebackene Außenminis­terin Donika Gërvalla
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Donika Gërvalla-Schwarz' Profil auf der Seite der linken Partei LVV
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