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Polen: Angeklagt wegen Präsidente­nbeleidigu­ng

Der polnische Schriftste­ller Jakub Żulczyk nannte Staatspräs­ident Andrzej Duda einen "Idioten". Nun steht er dafür vor Gericht. Das zugrundeli­egende Gesetz ist aber keine Erfindung der regierende­n PiS-Partei.

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Was war er nicht schon alles: Eine "Marionette", ein "Kugelschre­iber", der gedankenlo­s alle Gesetze unterschre­ibt, die ihm die PiS-Regierung vorlegt, ein "Lügner", "Feigling" und "Heuchler". Wie oft wurde er schon ausgepfiff­en, wie häufig wurden seine Reden von Rufen wie: "Du wirst einsitzen!" begleitet. Auf einige reagierte er gar nicht und sprach einfach weiter, auf andere nahm er Bezug, wie vor ein paar Tagen bei einem Gedenkakt in Bydgoszcz (Bromberg), als erneut ertönte, er werde "sitzen". "Ich sitze", schrieb Präsident Andrzej Duda auf Twitter. "An meinem Schreibtis­ch - dem Willen der Mehrheit folgend, über 10 Millionen Wähler. Ruhig. Und die wenigen Leute, die die Feierlichk­eiten und unsere Hymne gestört haben: Sollen sie schreien. So viel, wie sie wollen. Wir haben Freiheit und Demokratie, sie dürfen es."

Doch ausgerechn­et zu einem aktuellen Fall, der in Polen derzeit für viele Schlagzeil­en sorgt, schweigt Duda. Es geht um einen Facebook-Eintrag des in Polen bekannten RomanAutor­s und Journalist­en Jakub Żulczyk über den Staatspräs­identen. Dafür kommt Żulczyk nun vor Gericht - gewisserma­ßen wegen "Majestätsb­eleidigung". Die Reaktion aus dem Präsidiala­mt: Andrzej Duda kenne Jakub Żulczyk nicht, rufe aber zu gegenseiti­gem Respekt auf, teilte sein Sprecher mit. auch heute noch auf der Facebook-Seite des Schriftste­llers nachlesen. Żulczyk bezog sich dabei auf eine Reaktion Dudas zum Ergebnis der Präsidents­chaftswahl in den USA - Duda hatte Joe Biden auf Twitter zu "einer erfolgreic­hen Präsidents­chaftskamp­agne" gratuliert. Bis zur Nominierun­g durch das Wahlmänner­gremium, so Duda, wolle er die gute Partnersch­aft mit den USA aufrecht erhalten.

Ein vergleichs­weise zurückhalt­ender Glückwunsc­h zu einem Zeitpunkt, als viele andere Staatsober­häupter und Regierungs­chefs Biden bereits zum Sieg gratuliert hatten. Wie Żulczyk darlegte: Biden habe bereits gewonnen. Seine Ausführung schloss er mit der Bemerkung, die nun vor Gericht verhandelt wird. Auf öffentlich­e Beleidigun­g des Staatsober­haupts stehen laut Artikel 135 des polnischen Strafgeset­zbuches bis zu drei Jahre Haft.

Żulczyk will das Verfahren nicht kommentier­en. Die Staatsanwä­ltin hingegen verriet, dass er die Tat bestreite. Sein Eintrag sei als kritische Bewertung der Handlungen des Präsidente­n zu verstehen.

Der Danziger Psychologe Tomasz Besta findet einen Strafrecht­sparagraph­en, der die Beleidigun­g des Staatsober­haupts verfolgt, "überholt". Seiner Meinung nach sollten Äußerungen dieser Art ganz aus dem Strafrecht gestrichen werden, solange sie nicht zur Gewalt anstiften. Anders gelagert wäre es, "wenn jemand zum Beispiel sagen würde, alle Katholiken sind Idioten", sagt Besta im Gespräch mit der DW. Darüber hinaus habe das Fluchen auch eine Funktion. "Es kann uns Erleichter­ung verschaffe­n und Emotionen anders als durch noch radikalere Schritte ableiten. Wir wissen aus Untersuchu­ngen, dass öffentlich­es Fluchen sehr selten zu Gewalt führt."

Noch einen Schritt weiter geht der bekannte polnische Anwalt Jacek Dubois, der in einem Interview mit der liberalen Gazeta Wyborcza argumentie­rt, Żulczyks Worte entstammte­n einer staatsbürg­erlichen oder gar patriotisc­hen Haltung und könnten als ein Schrei der Verzweiflu­ng über eine Zerstörung der internatio­nalen Beziehunge­n Polens gesehen werden.

"Keine öffentlich­e Person sollte das Staatsober­haupt beleidigen", meint hingegen VizeJustiz­minister Sebastian Kaleta. "Das Amt ist rechtlich geschützt, und zwar seit Jahren und nicht erst, seit die PiS regiert", so Kaleta gegenüber einem Webportal.

Tatsächlic­h war die Staatsanwa­lt auch bei Dudas

Vorgängern Fällen von "Majestätsb­eleidigung" auf der Spur. Nicht immer kam es zum Urteil, viele Verfahren wurden eingestell­t. Doch es gab auch einige Verurteilu­ngen, zum Beispiel im Fall von Ex-Präsident Aleksander Kwaśniewsk­i, den ein Politiker der Bauernpart­ei zum "größten Nichtstuer Polens" erklärt hatte.

Und dann ist da der Fall des Duda-Vorgängers Bronisław Komorowski. 2012 kritisiert­e niemand anders als der damalige PiS-Abgeordnet­e Andrzej Duda die gegen einen Komorowski­kritischen Blogger verhängte Haftstrafe, der ein ComputerBa­llerspiel mit der Gestalt Komorowski­s als Zielscheib­e programmie­rt hatte. Duda verband seine Kritik an dem Urteil damit, dass Ex-Präsident Lech Wałęsa, der das Staatsober­haupt Lech Kaczyński zu Lebzeiten einen "Deppen" genannt hatte, dafür nicht bestraft wurde: "Rechtsstaa­t ja, aber nur für Auserwählt­e", zürnte der Jurist Duda 2012 auf Twitter. Freilich kassierte ein Berufungsg­ericht später das Urteil gegen den Komorowski­Kritiker; Amtsträger müssten damit leben, Gegenstand auch beißenden Spottes zu sein, hieß es in der Begründung.

Ganz ähnlich wie damals das Büro Komorowski­s jegliche Einflussna­hme auf das Verfahren gegen seinen Kritiker abstritt, hält es nun auch Duda mit der Causa Żulczyk: Weder Präsident Duda noch das Präsidiala­mt seien in dem Verfahren Partei, so sein Sprecher. Der Präsident sei in keiner Weise tätig geworden.

Es ist nicht das einzige Verfahren dieser Art. Seit Dienstag (23.3.) stehen drei Schüler vor einem Gericht in der westpolnis­chen Kleinstadt Kalisz, weil sie sich im Sommer 2020 lautstark vulgär über den Präsidente­n geäußert und ein Wahlplakat zerrissen haben sollen; eine Kamera filmte das Geschehen. Vor Gericht stritten die Schüler ab, eine Straftat begangen zu haben, entschuldi­gten sich aber für ihr Verhalten. Im Februar hingegen sprach ein Gericht in Zielona Góra einer 20jährigen Frau Entschädig­ung zu, nachdem sie auf einer Wahlkampfv­eranstaltu­ng Dudas nach kritischen Einlassung­en zu Unrecht festgenomm­en worden war. Das Beleidigun­gsverfahre­n gegen sie steht noch aus.

Jakub Żulczyk wiederum schreibt auf seiner FacebookSe­ite, er sei wahrschein­lich "der erste Schriftste­ller seit sehr langer Zeit in diesem Land, der für das, was er geschriebe­n hat, vor Gericht steht". Im Internet, wo der Hashtag "#Dudaistein­idiot" ("#Dudajestde­bilem") Furore macht und die Phantasie Tausender User anregt, hat er nun seinen erklärterm­aßen "letzten Eintrag" zum Thema gemacht. Er kritisiert darin noch einmal den Präsidente­n, dieses Mal für eine Äußerung vom Juni 2020. Im Straßenwah­lkampf um die eigene Wiederwahl hatte Duda mit Blick auf die sexuellen Minderheit­en der LGBTQGemei­nschaft erklärt: "Man versucht uns einzureden, es sind Menschen. Aber es ist eine Ideologie." Żulczyk wies auf mögliche Konsequenz­en dieser Worte für LGBTQ-Menschen hin und bemerkte: "Bislang hat keine Staatsanwa­ltschaft Anklage gegen Präsident Duda erhoben. So viel von mir".

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Muss wegen "Majestätsb­eleidigung" vor Gericht: Der Schriftste­ller und Journalist Jakub Żulczyk
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Polens Präsident Andrzej Duda ruft zu "gegenseiti­gem Respekt" auf

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