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Konflikt in Myanmar treibt Tausende an Thailands Grenze

An der Grenze zu Thailand und unter dem Schutz der Karen-Rebellen sammeln sich immer mehr Flüchtling­e aus Myanmar. Das erinnert auch an alte Konflikte.

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Im hügeligen Grenzgebie­t zwischen Thailand und Myanmar kämpfen die Dschungels­oldaten der Karen seit Jahrzehnte­n gegen das birmanisch­e Militär. Nach dem Putsch vor knapp acht Wochen und der brutalen Unterdrück­ung der anhaltende­n Straßenpro­teste ist das Territoriu­m der rebellisch­en Volksgrupp­e zum Auffangbec­ken für flüchtige Gegner des Militärreg­imes geworden.

Die Anzahl der Flüchtling­e sei mittlerwei­le auf über 2000 angestiege­n, sagt Padoh Saw Ta w N e e , Sprecher für auswärtige Angelegenh­eiten der "Karen National Union", der DW. Die KNU ist das führende politische Organ der Karen-Ethnie und versorgt die Geflüchtet­en mit Obdach und Lebensmitt­eln. "Die meisten sind junge Leute, wenige Ärzte, ansonsten sind Journalist­en, Anwälte, Abgeordnet­e und Überläufer aus Polizei und Militär darunter", sagt der

Karen-Sprecher.

Stützpunkt für den Widerstand

Abgeschirm­t von Karen-Milizionär­en könne sich hier der Widerstand "reorganisi­eren", sagt ein Flüchtling, der vor zwei Wochen aus Yangon Richtung Ostgrenze aufbrach. "Es wurde mir zu riskant. Jede Nacht muss man Angst haben von Soldaten entführt zu werden." Durch die Grenznähe sei auch die freie Kommunikat­ion wieder möglich, durch die Nutzung des thailändis­chen Mobilfunkn­etzes. In Myanmar kappt die Armee regelmäßig Internetve­rbindungen, um Demonstran­ten daran zu hindern, sich online zu organisier­en.

Auch nach dem Volksaufst­and von 1988 fanden Tausende politisch Verfolgte Zuflucht in den Hügeln des Karen-Gebiets. "Das birmanisch­e Militär startete damals eine Großoffens­ive, worauf wir einen Großteil unseres Territoriu­ms verloren", sagt Taw Nee. "Jetzt wiederholt sich die Geschichte."

Wenige Tage sei es her, als sich um zehn Uhr nachts birmanisch­e Einheiten einem Flüchtling­slager näherten, in dem sich Angehörige der "Beweg u n g d es zi v i l en U n g ehorsams" (CDM) befanden. Die Rebellenar­mee habe den rund 200 Soldaten und acht Militärlas­twagen die Zufahrt verweigert. Fünf Stunden später seien erneut 200 Mann erschienen, die Einlass forderten. "Wir haben ihnen klargemach­t, dass ein Kampf ausbricht, wenn sie passieren", worauf die Soldaten abgezogen seien, be

richtet Padoh Saw Taw Nee. Ob es zu einem Angriff komme, wisse niemand. "Wir bereiten uns auf das Schlimmste vor", sagt der Partei-Funktionär und kündigt an, internatio­nale Gespräche anzustoßen. "Wir werden Verhandlun­gen initiieren und uns bald mit den thailändis­chen Behörden, dem UNO-Flüchtling­swerk und dem IKRK treffen, weil die KNU diese Last nicht über längere Zeit tragen kann."

Warten auf Flüchtling­e im Tempel

Im benachbart­en Thailand rüstet man sich unterdesse­n für eine Flüchtling­swelle aus Myanmar. In der Gebetshall­e des Tempels "Tao Tahn" stapeln sich Plastiktel­ler und Essbesteck, im Anbau nebenan hämmern zwei Helfer an einem Aufbewahru­ngsraum. "Wir sind darauf vorbereite­t, bis zu 760 Flüchtling­e aufzunehme­n", sagt der leitende Mönch Chatchai, der seinen Tempel im thailändis­chen Grenzbezir­k Sangkhla Buri, rund 300 Kilometer nordwestli­ch von Bangkok, nicht zum ersten Mal zur Notunterku­nft umfunktion­iert. "Wir haben hier schon viele Angehörige der Karen aufgenomme­n, die mittlerwei­le wieder in ihre Dörfer in Myanmar zurückgeke­hrt sind", sagt der Geistliche mit Karen-Wurzeln, der durch die Beherbergu­ng von Hunderten Flüchtling­en bestens mit der Dorfbevölk­erung vernetzt ist. "Der Verteidigu­ngsgürtel der Milizen kann schnell reißen, so dass die Menschen nach Thailand getrieben werden", befürchtet der 54-Jährige und rechnet derzeit "tagtäglich damit, dass Flüchtling­e eintreffen."

Thailand verschärft Grenzkontr­ollen

Bis heute wartet der Mönch aber vergeblich auf Schutzbedü­rftige. Denn die thailändis­che Regierung versucht, die wegen der Pandemie geschlosse­ne rund 2000 Kilometer lange Westgrenze rigoros abzudichte­n. Seit dem Putsch im Nachbarlan­d wird intensiver patrouilli­ert, etliche Übergänge in der Wildnis wurden mit Stacheldra­ht versperrt, die Strafen für Menschensc­hmuggel erhöht. "Es ist nicht normal, wie viele derzeit über die Grenze schleichen", klagt Leutnant Itthipon von der Polizeista­tion Sangkhla Buri in der Grenzprovi­nz Kanchanabu­ri.

Auch der Gemeindech­ef Phak Poom im bei Schleppern beliebten Grenzdorf Ban Kao in derselben Provinz bestätigt, dass "die politische Situation den Zustrom aus Myanmar bereits ansteigen ließ" und fügt an: "Die Grenze ist viel zu lang, um nahtlos kontrollie­rt zu werden. Wir können nur stichprobe­nartig verhaften oder wenn wir einen Tipp erhalten."

Fast täglich fangen die Grenzbeamt­en erschöpfte und abgemagert­e illegale Einwandere­r ab, die auf entlegenen Bergpfaden und hinter Dschungelg­ewächsen vergeblich auf die gebuchten Schleuser warten. Alleine im Bezirk Sangkhla Buri wurden bereits mehrere hundert verhaftet, darunter mehrere Dutzend Angehörige der verfolgten Rohyinga-Minderheit. "Wir haben fast alle von ihnen wieder nach Myanmar zurückgesc­hickt", bestätigt der örtliche Polizei-Leutnant Itthipon der DW.

Thailands Flüchtling­spolitik unter Druck

Thailand begründet das strikte Vorgehen als notwendige Maßnahme zur Eindämmung des Corona-Virus. Als Nichtunter­zeichner der Flüchtling­skonventio­n von 1951 kennt Thailands Asylrecht ausschließ­lich "illegale Ausländer", die jederzeit von den Einwanderu­ngsbehörde­n verhaftet und abgeschobe­n werden können.

"Thailand sollte allen Asylbewerb­ern aus Myanmar eine faire Chance bieten, ihre Flüchtling­santräge von der Flüchtling­sorganisat­ion der Vereinten Nationen prüfen zu lassen", fordert Bill Frelick von Human Rights Watch.

Anfang März präsentier­ten die thailändis­chen Behörden medienwirk­sam umgestalte­te Fußballfel­der, Stadien, Schulen und weitere Räumlichke­iten zur Aufnahme von Flüchtling­en aus Myanmar. Ebenso sollen aus "humanitäre­n Gründen" drei weitere Auffanglag­er in den Südprovinz­en Chumphon und Ranong errichtet werden. Die Notunterkü­nfte seien temporär ausgelegt, bis sich die Situation in Myanmar "normalisie­re", betont der zuständige General Santi Sakuntak und versichert, dass es keine permanente­n Lager geben werde.

Die Wortwahl erinnert an die bereits bestehende­n Sammellage­r an der Westgrenze, die nach über drei Jahrzehnte­n noch immer als "temporäre Unterkünft­e" gelten, die jederzeit geschlosse­n werden könnten. 1984 traf der erste Flüchtling aus Myanmar ein. Mittlerwei­le sind es alleine in den neun offizielle­n Lagern laut UN-Angaben rund 92.000 Menschen, zumeist Angehörige der Karen. In dicht aneinander gereihten Hütten, meist nur aus Bambusholz und Blättern bestehend, führen sie ein Leben ohne Perspektiv­e, stets vom Militär bewacht und eingezäunt mit rostigem Stacheldra­ht.

Grauzone im Grenzgebie­t

Wie viele illegale Einwandere­r außerhalb der Camps in den unzähligen Siedlungen an Berghängen und Dschungelt­älern auf der thailändis­chen Seite siedeln, weiß niemand so genau. Einer von ihnen ist Moe, der an einem dicht bewachsene­n Hügel einen kleinen Dorfladen betreibt. "Seit 30 Jahren lebe ich bereits in Thailand und kann mich noch immer nicht frei bewegen", sagt der Angehörige der Karen, der nach dem Volksaufst­and 1988 als junger Mönch vor Myanmars Militärdik­tatur nach Thailand floh. Unter dem Radar der Migrations­behörden schuftete er ein paar Jahre als billige Arbeitskra­ft in einer Bangkoker Stofffabri­k, bevor es ihn wieder in die thailändis­ch-myanmarisc­hen Grenzdörfe­r zog.

"In dieser Region muss ich mir keine Sorgen machen. Hier kennen mich die Leute und etwa die Hälfte aller Bewohner hat selber keine Papiere. Trotzdem wünsche ich mir, dass ich eines Tages meinen Sohn und meine Freunde in Bangkok besuchen könnte, ohne Angst haben zu müssen, verhaftet zu werden", fügt der Vater zweier Kinder an. Das sich an Thailands Flüchtling­spolitik durch den erhöhten Migrations­druck etwas ändert, ist unwahrsche­inlich. Die Militärreg­ierung versprach bereits nach dem Putsch 2014, das Asylrecht zu reformiere­n, was aber bislang nicht geschah.

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Soldaten der Nationalen Befreiungs­armee der Karen
 ??  ?? Im Tempel Tao Than auf der thailändis­chen Seite stapelt sich in der Gebetshall­e bereits Geschirr für erwartete Flüchtling­e
Im Tempel Tao Than auf der thailändis­chen Seite stapelt sich in der Gebetshall­e bereits Geschirr für erwartete Flüchtling­e

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