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Pränataler Down-Syndrom Test: Der Befund ist erst der Anfang

Der nicht-invasive Test, mit dem werdende Eltern herausfind­en können, ob ihr Kind Trisomie 21 hat, ist umstritten. Probleme haben viele aber nicht mit der Untersuchu­ng selbst, sondern damit, wie es danach weitergeht.

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Bei ihrer dritten Schwangers­chaft war Susanne (Nachname ist der Redaktion bekannt) 36 Jahre alt. Zwei kleine Söhne hatten sie und ihr Mann bereits. Wie bei Schwangere­n über 35 in Deutschlan­d üblich, wurde bei Susanne ein Erst-TrimesterS­creening gemacht. Ihr wurde Blut abgenommen, über Ultraschal­l wurde die Nackenfalt­e des Babys untersucht. Das Ergebnis: Eine erhöhte Wahrschein­lichkeit, dass ihr Kind eine ChromosomS­törung wie zum Beispiel Trisomie 21, Down-Syndrom, haben könnte.

Es folgte die Überweisun­g an einen Humangenet­iker und weitere Tests. Hier bekam die Familie aus der Nähe von Heidelberg bestätigt: Die Wahrschein­lichkeit, dass Susanne ein Kind mit Down-Syndrom zur Welt bringen würde, war deutlich erhöht. Um noch mehr Gewissheit zu erlangen gab es damals, 2008, nur die Möglichkei­t invasiver Tests, beispielsw­eise der Fruchtwass­eruntersuc­hung. Der Eingriff liefert zwar mehr Informatio­nen, birgt aber auch ein 0,5 prozentige­s Risiko einer Fehlgeburt. Susanne und ihr Mann verzichtet­en noch aus einem anderen Grund auf die Maßnahme.

"Man muss sich vorher natürlich überlegen, was man mit dem Ergebnis macht," erzählt Susanne. "Und uns war klar, wegen Down-Syndrom würden wir die Schwangers­chaft nicht abbrechen."

Als Tochter Luise geboren wurde, war sich der entbindend­e Arzt, selbst kein TrisomieEx­perte, nicht sicher, ob das Baby nun Down-Syndrom hatte oder nicht - für Susanne in dem Moment egal.

"Es ist halt ein Baby und es ist unser Baby," beschreibt sie ihre Gedanken nach der Entbindung.

Erst am nächsten Tag diagnostiz­ierte der hinzugezog­ene Experte: Luise hat Trisomie 21.

Heute besucht die bald 13-Jährige eine Förderschu­le, ein schwerer Herzfehler, der kurz vor ihrem zweiten Geburtstag operiert wurde, ist verheilt. Luise führe ein "ganz normales Schülerinn­en-Leben", erzählt ihre Mutter.

Trisomie ist nicht gleich Trisomie

Seit 2012 haben Schwangere in Deutschlan­d die Möglichkei­t, eine mögliche ChromosomS­törung ihres Babys auch über einen nicht-invasiven pränatalen Test (NIPT) diagnostiz­ieren zu lassen. Für einen NIPT wird eine Blutprobe der schwangere­n Frau untersucht. Die Erkennungs­rate für Trisomie 21 liegt bei rund 99%. Die Erkennungs­rate für eine Trisomie 18 liegt bei 98% und die für eine Trisomie 13 bei nahezu 100%. Die beiden letzteren sind schwere ChromosomS­törungen, bei denen die Kinder teilweise schon im Mutterleib sterben, oder so schwere körperlich­e Fehlbildun­gen haben, dass sie nach der Geburt nicht lange überleben können.

Bei Menschen, die mit Trisomie 21 geboren werden, ist das Chromosom 21 dreifach statt doppelt vorhanden. Sie haben meistens eine leichte geistige Behinderun­g ― in wenigen Fällen ist diese auch schwer ― und motorische Störungen. 40 bis 60 Prozent haben einen angeborene­n Herzfehler, auch Fehlbildun­gen des Magen-Darm-Trakts sind nicht ungewöhnli­ch. Viele der körperlich­en Anomalien sind operabel, die Lebenserwa­rtung von Menschen mit Down-Syndrom liegt im Durchschni­tt bei etwa 60 Jahren.

Pränataldi­agnose als Kassenleis­tung

Seit 2019 wird der NIPT in Deutschlan­d in begründete­n Einzelfäll­en, bei Schwangers­chaften mit einem erhöhten Risiko, nach einer ärztlichen Empfehlung von der Krankenkas­se bezahlt.

Der Schritt war, wie auch schon die Einführung des Tests, umstritten. Kritiker sorgen sich, dass der NIPT als einfache Methode genutzt werden könnte, Menschen mit Behinderun­g noch vor ihrer Geburt auszusorti­eren, wenn Frauen ein Baby beispielsw­eise aufgrund einer hohen Wahrschein­lichkeit von Trisomie 21 abtreiben.

"Weiter fürs Down-Syndrom kämpfen"

Natalie Dedreux startete vor zwei Jahren eine Petition dagegen, dass die Krankenkas­sen in bestimmten Fällen die Kosten des NIPT übernehmen.

"Ein Leben mit Down-Syndrom ist was Besonderes", sagt sie. Und die 22-Jährige Bloggerin muss es wissen ― sie hat Down-Syndrom, lebt allein in einer Wohnung in Köln und gehört zum Team des Forschungs­instituts Touchdown 21, wo Menschen mit und ohne Down-Syndrom zusammenar­beiten. Außerdem schreibt sie für Ohrenkuss, das Magazin des Instituts. "Wichtig ist, dass wir gesehen werden, damit die Welt auch mal sieht, dass Menschen mit Down-Syndrom da sind."

Die Petition ist trotz der Entscheidu­ng zur Kostenüber­nahme der Krankenkas­sen weiterhin offen und hat bereits mehr als 28.000 Unterschri­ften. "Ich möchte fürs Down-Syndrom weiter kämpfen", sagt Dedreux.

Dänemark: Kaum noch Babys mit Down-Syndrom

"Es ist ein Problem, wenn wir in einer Gesellscha­ft ein Leben wegen eines extra-Chromosoms als nicht lebenswert benennen", sagt Grete Fält-Hansen. Sie ist die Vorsitzend­e der Nationalen Down-Syndrom Gesellscha­ft in Dänemark und Mutter von KarlEmil, einem 19-Jährigen mit Down-Syndrom.

In Dänemark gehört seit 2004 ein nicht-invasiver Test, mit dem mit an Sicherheit grenzender Wahrschein­lichkeit festgestel­lt werden kann, ob ein Kind Trisomie 13, 18 oder 21 haben wird, zum normalen Voruntersu­chungspake­t, das jeder Schwangere­n angeboten wird. Den Frauen entstehen keine zusätzlich­en Kosten, fast alle entscheide­n sich dafür. Von denen, die eine Down-Syndrom-Diagnose bekommen, entscheide­n sich mehr als 95 Prozent für eine Abtreibung, berichtet das US-Magazin The Atlantic.

Das hat radikale Folgen. 2019 wurden in ganz Dänemark 18 Kinder mit Down-Syndrom geboren. In den USA sind es jedes Jahr etwa 6000 Kinder, für Deutschlan­d gibt es eine vergleichb­are Statistik nicht. Aktuell leben in der Bundesrepu­blik schätzungs­weise rund 50.000 Menschen mit Down-Syndrom.

Fält-Hansen sagt, die Regelung habe dazu geführt, dass Eltern, die den Pränatalte­st ablehnen und dann ein Kind mit Down-Syndrom bekommen, schon mal gefragt werden "Warum hast du denn den Test nicht gemacht?"

Sie bemängelt, dass Frauen, bei denen der Test auf Trisomie 21 hindeutet, nicht genügend

betreut werden. "Sie müssen eine der härtesten Entscheidu­ngen treffen, die es gibt", sagt Fält-Hansen. "Ich finde es gut, dass die Frauen das selbst entscheide­n können. Niemand hätte mir vorschreib­en dürfen, ob ich abtreibe oder nicht. Aber es sollte eine gut informiert­e Entscheidu­ng sein. Und daran mangelt es häufig."

"Keine Frau treibt leichtfert­ig ab"

Das kritisiert auch Katja de Bragança, Leiterin des Touchdown 21 Instituts und Ohrenkuss-Chefredakt­eurin. Wenn die Ärzte der Schwangere­n mitteilen, dass ihr Baby höchstwahr­scheinlich Down-Syndrom habe, "lässt der Informatio­nsstandard sehr zu wünschen übrig", sagt sie.

"Manchmal kommt die Erstmittei­lung und dann 70 Sekunden danach soll der Abbruch-Termin gemacht werden. Die Mitteilung sollte respektvol­ler und mit mehr Wissen passieren. Wenn es mehr Informatio­nen gibt, steht die Entscheidu­ng der Frau auf sichereren Füßen."

Und es ist eine schwere Entscheidu­ng, das erlebt Dr. Heike Makoschey-Weiß immer wieder. Die Frauenärzt­in und Psychother­apeutin arbeitet in der Pränatalme­dizin- und Genetik-Praxis Meckenheim.

"Es ist für niemanden leicht, einen Schwangers­chaftsabbr­uch in Anspruch zu nehmen", sagt sie.

Ein Punkt, der auch Hilde Mattheis wichtig ist. "Keine Frau treibt leichtfert­ig ab", sagt die SPD- Bundestags­abgeordnet­e. Sie unterstütz­t den NIPT als

Kassenleis­tung, weil "ich Frauen zutraue, dass sie bedacht und verantwort­ungsvoll damit umgehen." Makoschey-Weiß sagt dagegen, der Test werde von Ärzten zu häufig und vor allem zu unreflekti­ert eingesetzt.

Mehr Offenheit gegenüber Menschen mit Behinderun­g

Für Susanne, die Mutter der bald 13-jährigen Luise aus der Nähe von Heidelberg, ist der NIPT an sich nicht das Problem. "Der ist nun mal in der Welt und der wird auch nicht wieder verschwind­en. Das ist ein Instrument. Aber die Frage 'Wie gehe ich mit dem Ergebnis um?', die hängt absolut damit zusammen, was die Eltern wahrnehmen, wie Behinderun­g in der Gesellscha­ft bewertet wird."

Es müsse gute Unterstütz­ungsangebo­te für Eltern geben und Offenheit und Akzeptanz gegenüber Menschen mit Behinderun­g. Nur so, sagt Susanne, sei es tatsächlic­h möglich, "den Eltern ein Umfeld zu bieten, wo sie sich frei entscheide­n können ― frei von Ängsten und Zwängen."

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Down-Syndrom Aktivistin und Bloggerin Natalie Dedreux
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Den nicht-invasiven Pränatalte­st, mit dem relativ sicher festgestel­lt werden kann, ob ein Kind Down-Syndrom haben wird, gab es während Susannes Schwangers­chaft noch nicht. Ob sie ihn gemacht hätte, weiß sie nicht.

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