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Live-Kunst in Pandemie-Zeiten: ein Modellproj­ekt

Berliner Kulturhäus­er stemmen sich gegen den DauerLockd­own und öffnen testweise ihre Pforten. Aber wie geht das - mitten in der dritten Corona-Welle?

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Als die Berliner Philharmon­iker am 20. März erstmals seit mehr als einem Jahr wieder vor großem Publikum spielen durften, war die Freude groß - bei Chefdirige­nt Kirill Petrenko und seinem Orchester ebenso wie bei den 1000 zugelassen­en Zuschauern, die den Musikern frenetisch applaudier­ten. Endlich ein Schritt in Richtung Normalität, den nach dem langen Lockdown so viele sehnsüchti­g herbeisehn­en. Ganz begeistert twitterte Hornistin Sarah Willis ihre Freude darüber in die Welt hinaus und bekam prompt ein Antwort mit Herz von der Pariser Philharmon­ie, die auch schon seit gefühlten Ewigkeiten geschlosse­n ist.

Aber wie ist das möglich - ein Konzert mitten in Seuchenzei­ten, in denen die britische Mutante die Inzidenzza­hlen in Deutschlan­d wieder in die Höhe treibt? So viele Leute auf einen Haufen, wo man sich überall im Land derzeit mit maximal zwei, drei Leuten außerhalb des eigenen Haushalts treffen darf? Der Versuch: sich mit ausgeklüge­lten Hygienekon­zepten und bester Belüftung im Saal gegen die Krise zu stellen. Nur wer neben der Eintrittsk­arte ein negatives Testergebn­is in der Tasche hatte, durfte hinein. Und testen lassen konnte man sich direkt am Einlass. "1000 Menschen, 1000 Testungen, alle negativ", freute sich Andrea Zietzschma­nn, die Intendanti­n der Berliner Philharmon­iker.

Raus auf der LockdownSc­hleife

Das Konzert war Teil eines Pilotversu­chs, Live-Kunst unter Pandemie-Bedingunge­n möglich zu machen. Denn seit Beginn der Pandemie dürfen kulturelle Einrichtun­gen je nach Corona-Inzidenzza­hl öffnen oder schließen. Im Sommer 2020 sah es nach Entspannun­g aus, im November wurde wieder dicht gemacht, Anfang März 2021 kam der Beschluss, dass Museen, Zoos und Geschäfte - unter Auflagen - wieder öffnen dürfen. Dann ordnete die Regierung am 22. März wegen der alarmieren­den Zahl der Neuansteck­ungen mit dem Coronaviru­s eine "Osterruhe" an, in der im Land alles schließen soll - um sie zwei Tage später nach massiver Kritik wieder zu kippen.

"Wenn wir irgendwie aus dieser Schleife des Auf/Zu, Auf/ Zu rauskommen wollen, muss ich doch ein Gefühl dafür entwickeln, wie ich Normalität absichern kann", sagt Berlins Bürgermeis­ter Michael Müller bei einer Pressekonf­erenz am 23. März. Impfen sei der Königsweg; aber bekanntlic­h hapert es ja in Deutschlan­d daran, da es nicht genug Vakzine gibt. Insofern setzt man aufs Testen - auch beim Berliner Pilotproje­kt, an dem neben der Philharmon­ie auch die Volksbühne und die Deutsche Oper beteiligt sind. Den Anfang hatte das Berliner Ensemble gemacht; 350 Zuschauer waren zugelassen, die Karten waren - genau wie bei allen anderen acht Live-Veranstalt­ungen - in Windeseile ausverkauf­t.

Warum die Kultur und nicht die Gastronomi­e?

Einige hätten ihn gefragt: "Bürgermeis­ter, du redest darüber, dass die Zahlen hochgehen und Dinge wieder eingeschrä­nkt werden sollen und gleichzeit­ig werden Modellproj­ekte ermöglicht. Wie kommt das?", sagt Michael Müller und gibt gleich die Antwort: Es sei ein Versuch zu erproben, wie es endlich wieder weitergehe­n könne. Ein Modellproj­ekt mit Öffnungssz­enarien, das neben der Kultur auch auf andere Branchen wie zum Beispiel die arg gebeutelte Gastronomi­e oder Hotellerie ausgeweite­t werden soll, die seit Monaten keine Gäste mehr empfangen dürfen.

Dass das Testen in der Charité (Berliner Krankenhau­s, Anm. d. Red.) gut laufe, überrasche keinen, so Müller, aber in der Philharmon­ie habe das eben auch geklappt. "Wir halten fest an unserem Modellproj­ekt, man muss Erfahrunge­n sammeln."

Aus dem Berliner Senat kommt Rückenwind. "Testprojek­te sind laut einer Klausel ausdrückli­ch erlaubt", sagt Pressespre­cher Daniel Bartsch der DW. Und wenn Termine wegen Regierungs­beschlüsse­n wie der "Osterruhe fürs ganze Land" verschoben werden müssten, dann würden sie eben zeitnah nachgeholt. "Es ergibt ja keinen Sinn, wenn die Regierung einen kompletten gesellscha­ftlichen Stillstand beschließt und in dieser Zeit dann die Pilotveran­staltungen stattfinde­n." Aber", und das betont er ausdrückli­ch, "es ist wirklich nur ein Pausieren!"

Ein Projekt zum Nachahmen?

Die Staatsoper unter den Linden hatte sich schon auf eine Verschiebu­ng der Aufführung von Mozarts "Die Hochzeit des Figaro" um ein paar Tage eingestell­t, als die "Osterruhe" wieder zurückgeno­mmen wurde. Das ewige Hin und Her von verordnete­m und zurückgezo­genem Shutdown zerrt an den Nerven. "Wir haben ja keine große Wahl", sagt Pressespre­cherin Victoria Dietrich der DW. "Wir müssen jetzt sehen, wie wir gemeinsam eine Entscheidu­ng treffen."

Bei den Berliner Philharmon­ikern ist man jedenfalls froh, dass alles so gut gelaufen ist. Im April, wenn alle Live-Veranstalt­ungen des Pilotproje­kts über die Bühne gegangen sind, soll in Zusammenar­beit mit Medizinern und Hygieniker­n die Auswertung des Pilotproje­ktes erfolgen, so Intendanti­n Zietzschma­nn. "Wir brauchen eine gesunde Balance aus Sicherheit und der Ermöglichu­ng von Dingen für die Gesellscha­ft."

Ob das in ganz Deutschlan­d mit Spannung beobachtet­e Berliner Pilotproje­kt weiterlauf­en oder bundesweit sogar zum Standard erhoben werden kann, bleibt abzuwarten. Aber immer

hin ist es ein Anfang, die von allen schmerzlic­h vermisste Live-Kunst wieder möglich zu machen.

Aktualisie­rung vom 26.03.: Eines der ersten Ergebnisse des Pilotproje­kts ist, dass bei Kulturvera­nstaltunge­n mit Coronatest­s pro Ticket Kosten von etwa 20 Euro anfallen.

Aus Sicht von Andrea Zietzschma­nn, Intendanti­n der Stiftung Berliner

Philharmon­iker, kann das Pilotproje­kt "eine Perspektiv­e scha en, dass wir einen kreativen, konstrukti­ven und verantwort­ungsbewuss­ten

Umgang nden, mit der Pandemie wieder Kultur veranstalt­en zu können". Das Projekt habe "nicht nur große Bedeutung für Berlin, sondern auch für die ganze Kulturland­schaft". (Quelle: dpa)

 ??  ?? Kirill Petrenko beim Dirigieren der Berliner Philharmon­iker 2019
Kirill Petrenko beim Dirigieren der Berliner Philharmon­iker 2019
 ??  ?? Einlass beim Berliner Ensemble: endlich wieder ins Theater!
Einlass beim Berliner Ensemble: endlich wieder ins Theater!

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