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Prozess um Tod von George Floyd hat begonnen
Vor zehn Monaten starb der Afroamerikaner unter dem Knie eines weißen US-Polizisten. Die Weltöffentlichkeit schaut auf den Beginn des Hauptverfahrens.
Fast ein Jahr nach der Tötung des Afroamerikaners George Floyd bei einem Polizeieinsatz in den USA hat das Hauptverfahren gegen den weißen ExPolizisten Derek Chauvin begonnen. Zunächst legten die Geschworenen ihren Eid ab. Der Richter Peter Cahill klärte sie über ihre Pflichten im Prozess auf. Er erwartet, dass das Hauptverfahren in der Stadt Minneapolis im Bundesstaat Minnesota bis zu einem Monat dauert.
Anschließend wurden die Eröffnungsplädoyers gegen Chauvin gehalten. Der Staatsanwalt Jerry Blackwell erklärte, Chauvin habe gegen den unbewaffneten Floyd "exzessive" und unverhältnismäßige Gewalt eingesetzt und damit seine Pflichten als Polizist verletzt. Floyd sei in Handschellen gewesen und habe 27 mal gefleht, ihn atmen zu lassen, doch Chauvin habe nicht von ihm abgelassen, so Blackwell.
Die Gerichtsverhandlung sei "ein Referendum" darüber, "wie weit Amerika in seinem Streben nach Gleichheit und Gerechtigkeit für alle gekommen ist", sagte der Anwalt der Floyd-Familie, Ben Crump. "Die Fakten sind einfach. Was George Floyd tötete, war eine Überdosis an exzessiver Gewalt."
Zum Auftakt des Prozesses erinnerten dessen Angehörige mit einer emotionalen Geste an Floyd. Freunde und Anwälte der Floyd-Familie knieten acht Minuten und 46 Sekunden vor dem Gerichtsgebäude in Minneapolis nieder, was exakt der Dauer entspricht, während der der angeklagte Ex-Polizist Derek Chauvin Floyd sein Knie in den Nacken gedrückt hatte.
Der 46-jährige Floyd war am 25. Mai 2020 in Minneapolis bei einer brutalen Festnahme zu Tode gekommen. Auf Videoaufnahmen ist dokumentiert, wie Polizisten den unbewaffneten Schwarzen zu Boden drückten. Chauvin presste dabei sein Knie gut acht Minuten lang in Floyds Hals, während dieser flehte, ihn atmen zu lassen. Floyd verlor der Autopsie zufolge das Bewusstsein und starb. Die Beamten hatten den Mann unter dem Verdacht festgenommen, mit einem falschen 20-DollarSchein bezahlt zu haben.
Chauvin, der nach dem Vorfall aus dem Polizeidienst entlassen wurde, muss sich wegen Mordes zweiten Grades ohne Vorsatz verantworten, worauf in Minnesota bis zu 40 Jahre Haft stehen. Nach deutschem Recht entspräche dieser Anklagepunkt eher dem Totschlag. Zudem wird ihm Mord dritten Grades vorgeworfen, worauf bis zu 25 Jahre Haft stehen, und Totschlag zweiten Grades, der mit zehn Jahren geahndet werden kann.
Der Ex-Polizist ist derzeit auf Kaution frei und muss während des Prozesses anwesend sein. Chauvin hat auf nicht schuldig plädiert. Seine Verteidiger erklären, der Einsatz gegen Floyd sei gerechtfertigt gewesen, weil dieser Widerstand geleistet habe. Zudem argumentieren sie, dass Floyds
Tod nicht auf Gewalteinwirkung zurückgehe, sondern vor allem auf dessen vorbelastete Gesundheit und Rückstände von Drogen in seinem Blut.
Der Prozess wird weltweit mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Floyds Schicksal hatte in den USA mitten in der Corona-Pandemie monatelang zu Massenprotesten gegen Polizeigewalt und Rassismus geführt. Die Proteste unter dem Motto "Black Lives Matter" ("schwarze Leben zählen") erschütterten das Land in historischem Ausmaß. Auch in anderen Teilen der Welt, darunter in Deutschland, gingen Menschen gegen Rassismus auf die Straße.
In den USA hoffen viele auf ein Urteil, das ein Zeichen gegen Rassismus und Polizeigewalt setzt. "Das ist kein schwieriger Fall", erklärte Ben Crump, ein Anwalt, der Floyds Familie vertritt, in der vergangenen Woche. "George Floyds Tod wurde von mehr Menschen bezeugt als jeder andere, weiß oder schwarz. Wir haben alle das Gleiche gesehen: Den unwiderlegbaren und nicht zu rechtfertigenden Mord an einem schwarzen Mann durch einen Polizeibeamten", schrieb Crump auf Twitter.
Das Hauptverfahren wird live übertragen. Die Geschworenen, die letztlich über Chauvins Schuld oder Unschuld befinden, sollen dabei aber nicht gezeigt werden. Ihre Identität wird aus Sicherheitsgründen bis auf Weiteres geheim gehalten. Zwei der 14 Jury-Mitglieder gelten als Ersatzkandidaten, am Schluss werden also nur zwölf das Urteil fällen. Die Auswahl der Geschworenen hatte sich zweieinhalb Wochen hingezogen, weil es dem Gericht schwergefallen war, in diesem prominenten Fall möglichst unvoreingenommene Kandidaten zu finden.
Die Stadt Minneapolis hatte sich erst kürzlich wegen des Vorgehens der Polizei mit Floyds Familie auf eine Vergleichszahlung in Höhe von 27 Millionen USDollar (etwa 22,6 Millionen Euro) geeinigt. Das strafrechtliche Verfahren ist davon jedoch nicht direkt betroffen. Neben Chauvin sind drei weitere am Einsatz gegen Floyd beteiligte Ex-Polizisten angeklagt. Sie sollen sich ab Ende August in einem separaten Prozess verantworten. Den ehemaligen Beamten wird Beihilfe zur Last gelegt. Auch ihnen drohen langjährige Haftstrafen.
jj/se/kle (dpa, afp, rtre, ape)