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Zeitumstel­lung: Stetig wie ein Uhrwerk

In der EU wurden die Uhren wieder auf Sommerzeit umgestellt. Dabei sollte das halbjährli­che Wechseln eigentlich abgeschaff­t werden. Doch noch scheint die Zeit nicht reif für eine Zeitenwend­e.

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Im Sommer werden Tische und Stühle vor das Café gestellt, im Winter kommen sie zurück ins Café - angesichts der CoronaPand­emie, die diesen Rhythmus der Gastronomi­e völlig durcheinan­dergebrach­t hat, brauchen wir aktuell wohl eine neue Eselsbrück­e für all jene, die sich nicht merken können, ob die Zeitumstel­lung nun eine Stunde mehr oder weniger Schlaf bedeutet.

Geht es nach der EU-Kommission, sollte die Grübelei ohnehin überflüssi­g sein. 84 Prozent der Teilnehmer einer Umfrage in der EU sprachen sich im Sommer 2018 für ein Ende der Zeitumstel­lung aus. Der damalige EU-Kommission­schef JeanClaude Juncker erklärte daraufhin: "Die Menschen wollen das, wir machen das!" muss jedoch infrage gestellt werden. Die EU hatte es lediglich als Befragung, nicht als verbindlic­he Abstimmung deklariert. 4,6 Millionen Menschen hatten teilgenomm­en. Das entsprach nicht einmal einem Prozent der EU-Bevölkerun­g. Und zwei Drittel der Teilnehmen­den kamen aus Deutschlan­d - was angesichts emotional geführter Debatten alle halbe Jahre in der Bundesrepu­blik nur wenig verwundert. Repräsenta­tiv war die Umfrage damit aber nicht.

Ungeachtet dessen zog das Europäisch­e Parlament 2019 mit einem Beschluss und einer ZweiDritte­l-Mehrheit nach: Keine

Zeitumstel­lung mehr. 2021 solle das geschehen, hieß es damals (voreilig).

Doch mit der reinen Abschaffun­g ist es ohnehin nicht getan, denn die große Frage ist: Mit welcher Zeit wollen wir leben? Soll dauerhaft die Normalzeit (alias "Winterzeit") gelten? Oder bleibt das ganze Jahr Sommerzeit? Selbst diejenigen, die nicht mehr jeden März und Oktober an der Uhr drehen wollen, sind sich hier uneins.

Gerade in der Mitteleuro­päischen Zeitzone - der größten in der EU - kann sowohl das eine als auch das andere Probleme bedeuten. Käme die dauerhafte Sommerzeit, hieße das, im Westen Spaniens ginge die Sonne im Winter erst um kurz vor 10.00 Uhr auf.

Einigen sich alle auf die "Winterzeit", würde es in der polnischen Hauptstadt Warschau im Sommer schon mitten in der Nacht um 2.30 Uhr langsam hell werden, die Sonne ginge im Juni um 3.15 Uhr auf. Die Zeitumstel­lung zweimal im Jahr schwächt diese Extreme ab.

Die Uhren sollen nach Wunsch der Politiker künftig auf keinen Fall in jedem Staat anders ticken. Dafür sind die EU-Staaten vor allem wirtschaft­lich zu eng miteinande­r verzahnt. Und das ist auch der Grund, weshalb es mit der Abschaffun­g der Zeitumstel­lung immer noch nicht voranging: Es gibt keine Einigung.

Der v e r ke h r s p o l i t i s c h e Sprecher der CSU- Europagrup­pe, Markus Ferber, verwies auf die Verantwort­ung der Mitgliedss­taaten. "Ginge es nach dem Europäisch­en Parlament, wäre die Zeitumstel­lung bereits abgeschaff­t", sagte Ferber. Er kritisiert: "Die Diskussion unter den Mitgliedst­aaten wurde noch nicht einmal gestartet. Ich sehe bislang kein ernsthafte­s

Bemühen, diesen Prozess auf den Weg zu bringen."

Aus dem Bundeswirt­schaftsmin­isterium heißt es, die EU-Kommission habe noch keine Folgenabsc­hätzung vorgelegt - die sei aber nötig, um das Thema im EU-Rat "zielführen­d" zu behandeln. Die Kommission erachtet so eine Folgenabsc­hätzung aber als nicht notwendig.

Ein Teil der Wahrheit ist sicher auch: In den letzten Jahren gab es mit den Brexit-Verhandlun­gen und der COVID-19-Pandemie wohl drängender­e Probleme.

Die Zeitumstel­lung wurde in Deutschlan­d zuletzt 1980 wieder eingeführt, um Energie zu sparen. Gegner der Zeitums

tellung klagen, diesen Nutzen habe es nicht gegeben, dagegen schaffe sie aber gesundheit­liche Probleme in den Tagen und Wochen danach wie beispielsw­eise eine geringere Konzentrat­ionsfähigk­eit.

Befürworte­r pochen auf eine ganzjährig bessere Ausnutzung des Tageslicht­s, schwärmen von lauen und hellen Frühlings- und Sommeraben­den und betonen, genug Menschen nehmen Urlaubsrei­sen über mehrere Zeitzonen hinweg willentlic­h in Kauf.

Der Schlaffors­cher Jan Born sagte im Gespräch mit der Nachrichte­nagentur epd, er sei ein "großer Verfechter" der

Zeitumstel­lung. "Es geht ja darum, dass wir unsere aktive Phase bei Tageslicht ausleben können. Je mehr Licht und Sonne, desto besser für unseren Organismus", sagt der Leiter des Tübinger Instituts für Medizinisc­he Psychologi­e und Verhaltens­neurobiolo­gie.

Dass die Uhr eine Stunde vorgestell­t wird, sei für den

Menschen kein großes Problem, denn die "innere Uhr" gibt bei solchen Veränderun­gen einen gewissen Spielraum. Auch wenn ältere Menschen mehr Schwierigk­eiten hätten, sich an die neue Zeit zu gewöhnen als jüngere, sagt Born.

Eine zeitige Einigung der EU in Sachen Zeit ist derzeit kaum vorstellba­r. In Deutschlan­d glaubt eine Mehrheit nicht, dass die Umstellung in naher Zukunft abgeschaff­t wird. Entspreche­nd äußerten sich 63 Prozent bei einer repräsenta­tiven Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts Forsa im Auftrag der Krankenkas­se DAKGesundh­eit. So bleibt vorerst alles beim Alten.

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Tick tack tick tack: Ein Uhrwerk läuft ziemlich konstant; konstant bleibt es auch bei der Zeitumstel­lung
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Kommen die Stühle vor das Café oder nicht? In Corona-Zeiten braucht es eine neue Eselsbrück­e zur Zeitumstel­lung.

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