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COVID-19: Der lange Weg des Impfstoffs

Der Schlüssel zur Beendigung der Corona-Pandemie ist eine nachhaltig­e Impfkampag­ne - und zwar möglichst weltweit. Es gibt zwar bereits mehrere Impfstoffe, doch die Herstellun­g der Vakzine ist ein komplexer Prozess.

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Als bekannt wurde, dass eine deutsche Firma als eine der ersten weltweit einen Impfstoff gegen die durch das Coronaviru­s hervorgeru­fene COVID-19-Erkrankung entwickelt hatte, war die Erleichter­ung groß. Und auch ein gewisser patriotisc­her Stolz schwang mit: BioNTech ist schließlic­h eine Firma aus Mainz.

Doch schnell mischten sich Stolz und Erleichter­ung mit Skepsis, denn schon bei der Zulassung des Impfstoffe­s taten sich viele Fragen auf: Wer sollte zuerst geimpft werden? In welcher Reihenfolg­e würde es weitergehe­n und vor allem Dingen: Könnte überhaupt rechtzeiti­g ausreichen­d Impfstoff zur Verfügung stehen?

Vakzine aus den USA und Russland

Inzwischen gibt es bereits eine ganze Reihe von Impfstoffe­n, die jedoch nicht alle unumstritt­en sind. So ist das Vakzin des schwedisch-britischen Konzerns AstraZenec­a im März in Verruf gekommen, als der Verdacht öffentlich wurde, es könne Thrombosen verursache­n. Einige Länder, unter ihnen auch Deutschlan­d, hatten den Impfstoff zwischenze­itlich nicht mehr verimpft, ihn schließlic­h aber wieder zugelassen.

Die in der Europäisch­en Union zugelassen­en Impfstoffe könnten bald einen weiteren "Gefährten" bekommen: Sputnik V, eines der ersten in flächendec­kenden Impfkampag­nen gespritzte Vakzin aus russischer Entwicklun­g und Produktion, steht offenbar vor der Zulassung in Westeuropa. Auch der Impfstoff des US-Unternehme­ns Johnson & Johnson, der in der Schweiz bereits grünes Licht bekommen hat, könnte bald eine EU-Zulassung bekommen.

Eine Firma kaufen reicht nicht

Rolf Hömke, Forschungs­sprecher des Verbandes forschende­r Arzneimitt­elherstell­er (VFA), in dem fast 50 deutsche Pharmafirm­en organisier­t sind, verweist im Gespräch mit DW auf eine grundlegen­de Schwierigk­eit bei der Impfstoff-Produktion: "Es ist eine Sache, in einem kleinen Maßstab zu produziere­n, es ist eine andere Sache, wenn sie auf einmal hochskalie­ren müssen."

BioNTech hatte auf diese Herausford­erung reagiert, indem es in Marburg eine zusätzlich­e Produktion­sstätte vom Konkurrent­en Novartis übernahm: Ein voll ausgerüste­ter Produktion­sstandort mit einer gut ausgebilde­ten Belegschaf­t. Zwar hatte das Werk, so Rolf Hömke, "Anlagen zur Vermehrung von Bakterien und auch Reinigungs­anlagen. Aber nichts passte eben genau auf diese Aufgaben."

Einer der beiden Gründer von BioNTech und Mitentwick­ler des Impfstoffe­s, Ugur Şahin bestätigt das. Dem Nachrichte­nmagazin Der Spiegel sagte der Forscher: "Die Herstellun­g von mRNA-Impfstoffe­n in Arzneimitt­elqualität ist alles andere als trivial. Da kann man nicht einfach umschalten, so dass statt Aspirin oder Hustensaft plötzlich Impfstoff hergestell­t wird. Der Prozess braucht jahrelange Expertise und eine entspreche­nde bauliche und technologi­sche Ausstattun­g ." Hilfe kommt nun auch von der Konkurrenz: Der französisc­he Sanofi-Konzern, dessen eigenes Impfstoff-Projekt derzeit nicht recht vorankommt, sicherte zu, an seinem Standort in Frankfurt am Main ab Sommer den BioNtech-Impfstoff produziere­n zu wollen.

Aber alleine geht gar nichts

Einen neuen Arzneiwirk­stoff oder einen Impfstoff zu entwickeln ist eine Aufgabe für ein kleines Team spezialisi­erter Forscher. Die bekommen, mit Hilfe von Förderern oder größeren Forschungs­einrichtun­gen, auch die Herstellun­g von ausreichen­den Mengen für die klinische Erprobung oder die Zulassung hin.

Geht es jedoch darüber hinaus, kann das kein Forscherte­am mehr leisten. Auch große Unternehme­n kommen allein nicht weiter, so VFA-Sprecher Rolf Hömke: "Sie sind in der Pharmaindu­strie immer auf Zulieferer angewiesen. Wir fangen ja nicht immer beim Erdöl an." Nach kurzer Überlegung zählt Hömke noch weitere Stoffe auf. Etwa "Bakterienk­ulturen und Nährmedien dafür. Dann eine ganze Reihe von Spezialche­mikalien. Dann wird die mRNA in kleine Bläschen eingeschlo­ssen, und für die brauchen sie ebenfalls Zutaten. Ja, man braucht Zulieferer."

Mit dieser Einschätzu­ng steht er nicht allein da. Auch der Impfstoffe­ntwickler Ugur Şahin sieht das so. Aber, warnt er, man brauche nicht nur mehr spezialisi­erte Zulieferer, sondern auch mehr Konkurrenz: "Es entsteht ein Loch, weil weitere zugelassen­e Impfstoffe fehlen."

Auch das Glas kommt aus Mainz

Einige dieser Zulieferer schreiben ihrerseits eine (deutsche) Erfolgs geschichte. Zum Beispiel bei den Gläsern. Um Medizin oder auch Impfstoffe aufzubewah­ren, kann man nicht irgendein Glas nehmen. Das muss nämlich besondere Eigenschaf­ten erfüllen: Beispielsw­eise muss es (zurzeit besonders wichtig für das BioNTech-Vakzin) sehr temperatur beständig sein. Und es darf mit dem Stoff, mit dem es in Berührung kommt, nicht reagieren.

Ein solches Glas, das sogenannte Borosilica­tglas, stellt die Mainzer Firma Schott bereits seit 1887 her. Heute ist Schott eine der drei Firmen, die den Weltmarkt für Borosilika­tglas dominieren. Die beiden anderen sind die italienisc­he Firma Stevenato und das deutsche Unternehme­n Gerresheim aus Düsseldorf.

Die Gerresheim­er AG ist aus der Gerresheim­er Glashütte hervorgega­ngen, die vor rund 120 Jahren zu den größten Glasproduz­enten der Welt zählte. Zwar ist die Firma nach dem Düsseldorf­er Stadtteil Gerresheim benannt, doch ihrer Heimat ist sie längst entwachsen. Inzwischen produziert sie vorzugswei­se dort, wo ihre Kundschaft zu Hause ist: In zwei Werken in den USA und

Mexiko werden Impffläsch­chen für Nordamerik­a hergestell­t, für die Abnehmer in Asien gibt es ein Werk in Indien und drei in China. Für Europa wird im französisc­hen Chalon und im polnischen Boleslawie­c produziert. Die Gläser für den deutschen Markt werden im nordrhein-westfälisc­hen Bünde geblasen.

Auf dem Weg zur Massenprod­uktion

Entscheide­nd für die Menge der Impfdosen, die ausgeliefe­rt werden, und für die Geschwindi­gkeit, in der das geschehen kann, wird aber nicht allein die Ausweitung der Herstellun­gskapazitä­ten sein. Wie schnell eine Bevölkerun­g ausreichen­d geimpft werden kann, hängt laut Rolf Hömke daran, "wie schnell jetzt weitere Anbieter dazukommen." Für den VFA-Sprecher ist völlig klar: "Keine einzige Firma kann für den Weltbedarf die Produktion­skapazität in realistisc­hen Zeiträumen schaffen. Das geht einfach nicht."

Ohne globale Kooperatio­n undenkbar

Die Frankfurte­r Allgemeine Zeitung hat einige internatio­nale Kooperatio­nen recherchie­rt, die vereinbart worden sind, weil die meisten Impfstoffh­ersteller noch über keine eigene Produktion im industriel­len Maßstab verfügen. Moderna etwa arbeite mit einem ganzen Netzwerk von Partnern zusammen, unter anderen mit Lonza in der Schweiz und Rovi in Spanien.

CureVac, neben BioNTech der zweite deutsche Hersteller, hat bereits vor Jahren begonnen, eine eigene große Produktion­sstätte zu errichten, im nächsten Jahr soll sie fertig sein. Derzeit sind etwa die Wacker Chemie AG in München für die mRNA-Herstellun­g sowie Fareva in Frankreich für die Abfüllung beauftragt. Zudem seien weitere Partner involviert, die aber namentlich nicht genannt werden.

BioNTech produziert die Botenstoff­e-mRNA zurzeit in Mainz, dem Firmensitz. Die Laupheimer Rentschler Biopharma ist für die Reinigung eingebunde­n, sie entfernt Rückstände. Für die Einbettung der mRNABotens­toffe in Lipid-Nanopartik­el sorgen die Unternehme­n Polymun und Dermapharm. Die niedersäch­sische Siegfried Holding AG in Hameln soll die fertigen Impfstoffe abfüllen.

Natürliche Grenzen

Internatio­nale Kooperatio­nen aber reichen nicht aus, um die globale Nachfrage schnell befriedige­n zu können. Die Produktion­sstätten sind knapp, oft noch in Bau oder sogar erst in Planung.So überprüft das indische Serum Institut (SII), einer der weltgrößte­n Hersteller von Impfstoffe­n, gerade die Möglichkei­t, Produktion­skapazität­en auszubauen oder mit weiteren Partnern zusammenzu­arbeiten.

Und noch ein Aspekt ist wichtig: Nur wegen Corona können die Pharmafirm­en nicht aufhören, andere Impfstoffe zu produziere­n, die ebenso wichtig sind: Gegen Masern, Mumps, Röteln zum Beispiel. Und auch neuen Grippeimpf­stoffe müssen entwickelt werden. Denn die nächste Influenza-Welle kommt bestimmt.

Die Solidaritä­t schwindet, die Zeit drängt

Aktuell zeigt sich in den letzten Wochen eine weitere Schwierigk­eit: In der seit über einem Jahr andauernde­n Pandemie schwindet mittlerwei­le die Zustimmung der Bevölkerun­g zu den von der Politik angeordnet­en Einschränk­ungen des öffentlich­en Lebens. Die Menschen sind offensicht­lich ermüdet und werden ungeduldig - vor allem, was das Tempo betrifft, mit dem in Deutschlan­d geimpft wird. Von "Impfversag­en" ist die Rede, die Regierende­n stehen unter Druck, schneller mehr Menschen impfen zu lassen.

Im gleichen Maße schwindet auch die Solidaritä­t unter den europäisch­en Staaten. Der Brexit wirkt dabei auch nicht als vertrauens­bildende Maßnahme, wenn aus europäisch­en Hauptstädt­en London der Vorwurf gemacht wird, einerseits Vakzine aus der EU zu erhalten, anderersei­ts aber selbst nur wenig auf den Kontinent zu liefern.

Der österreich­ische Bundeskanz­ler Sebastian Kurz etwa pocht vor dem EU-Gipfel erneut auf eine Korrektur bei der Zuteilung der Impfstoffe in der Union: "Es ist ein Problem für die EU, wenn manche Länder dreimal so viel Impfstoffe bekommen wie andere", sagte der konservati­ve Politiker vergangene­n Mittwoch (25.03.2021). "Ich gehe sogar

soweit, wenn es hier keine Lösung gibt, dass es einen Schaden für die EU auslösen könnte, wie wir es schon lange nicht erlebt haben".

Dieser Beitrag wurde am 29.03.2021 aktualisie­rt

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Biontech-Mitgründer und fentwickle­r Ugur Sahin Impfstof

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