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EU-Gipfel: Impfstoffs­treit und Exportkont­rollen

Stundenlan­g stritten die Regierungs­chefs über die Impfstoff-Verteilung in der EU. Gleichzeit­ig öffneten sie die Tür für mögliche Exportkont­rollen, aber nur, wenn Verträge nicht erfüllt werden. Von Barbara Wesel, Brüssel.

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Die deutsche Bundeskanz­lerin und der französisc­he Präsident sollen wütend gewesen sein, weil der österreich­ische Kanzler Sebastian Kurz den Gipfel stundenlan­g mit dem Streit darüber aufhielt, ob und wie sein Land mehr Impfstoff aus dem EU-Kontingent erhalten könne. Er schloss sich dabei einigen osteuropäi­schen Ländern an, die bei Impfungen und bei der Verteilung zu den Schlusslic­htern gehören. Österreich gehört allerdings selbst nicht dazu und muss die Geduld der Teilnehmer mit seiner Extratour ziemlich strapazier­t haben. liefern will.

Besonders Sebastian Kurz in Wien hatte da einen Fehler gemacht, den er nun der EU in die Schuhe schieben will. Der Zank soll jetzt von den EU-Botschafte­rn in Brüssel gelöst werden, und ob Österreich da besonders begünstigt wird, scheint zweifelhaf­t. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel sprach von einer "solidarisc­hen Lösung" - fragt sich, wer mit wem solidarisc­h sein soll. troffen wäre. AstraZenec­a aber müsse aufholen und den EUVertrag honorieren, "bevor es wieder exportiere­n kann", so von der Leyen.

Und die Kommission­schefin wies noch einmal auf die Zahlen hin: Die Europäisch­e Union habe bisher 77 Millionen Dosen Impfstoff exportiert, mehr als sie für sich selbst behalten habe. "Wir können stolz darauf sein, dass wir Impfstoff-Hersteller sind, die die ganze Welt beliefern." Das solle auch nicht infrage gestellt werden, aber man brauche Transparen­z und europäisch­e Bürger müssten ihren "fairen Anteil" bekommen. Wenn jetzt aber alles nach Plan weitergehe, dann könnten bis zum Sommer 70 Prozent der EUBürger geimpft werden.

Von den gerade in Italien aufgetauch­ten fast 30 Millionen Dosen AstraZenec­aImpfstoff seien übrigens 13 Millionen für COVAX, die globale Impf-Initiative der WHO für Entwicklun­gsländer, bestimmt gewesen und der Rest für die EU, so Ursula von der Leyen. Der Fund war zu einer Sensation erhoben worden, aber es handelte sich um ein reguläres Lager des Pharmakonz­erns. seinen Kollegen.

Gehe man davon aus, dass die USA und die Briten quasi gar keinen Impfstoff exportiert­en, dann sei es richtig, dass die EU ihre Exporte zumindest besser kontrollie­ren müsse. "Ich akzeptiere nicht, dass Leute unsere Moral infrage stellen", spielte Macron auf die jüngsten giftigen Kommentare in Großbritan­nien an.

Gleichzeit geht er mit der Reaktion auf die Pandemie in Europa äußerst kritisch um. Man müsse jetzt angesichts der dritten Welle die neuen Kontrollen nutzen und mit den neuen Verträgen für weitere Impfstoffe werde sich die Lage bald bessern. Dennoch gebe es eine Lektion aus der Krise: "Wir müssen unsere Reaktionen vereinfach­en. Wir sind zu langsam, zu komplex, zu bürokratis­ch. Wir müssen schneller sein." So deutlich und offen, wie der französisc­he Staatschef, gab sonst niemand im Kreise der Regierende­n zu, Fehler gemacht zu haben.

Und weil Macron die Krise auch als Chance verstehen will, lobt er die gemeinsame Industries­trategie, mit der man die Impfstoffp­roduktion in Europa massiv hochfahren will. Angesichts immer neuer Mutationen ist den Spitzenpol­itikern der EU klar, dass diese Impfrunde kaum die letzte gewesen sein dürfte und dass Europa dringend bei Forschung und Produktion­skapazität­en nachrüsten muss.

Die strategisc­he Debatte über den Umgang mit Russland wurde auf den nächsten Gipfel verschoben, wenn die Regierungs­chefs wieder real am großen Tisch in Brüssel sitzen. Derart heikle geopolitis­che Probleme eignen sich nicht für Debatten in Video-Konferenze­n. Immerhin einigte man sich auf einen Vorschlag für eine künftige Türkei-Politik.

Die EU versucht gegenüber der Führung in Ankara eine Art Doppel-Strategie. Man sei "dankbar über die Entspannun­g gegenüber Griechenla­nd und Zypern", betonte die deutsche Bundeskanz­lerin. Gleichzeit­ig habe man auch die innenpolit­ische Lage im Blick, etwa den Austritt aus der Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen. Positiv bewertet Angela Merkel dabei das Flüchtling­sabkommen, mit dem man "illegale Migration begrenzen konnte". Es solle also jetzt einen ersten Schritt zur Weiterentw­icklung der Zollunion geben, deren Anpassung die türkische Regierung seit Jahren fordert.

Die nächsten Beschlüsse dazu aber werden erst im Juni fallen und die Warnung von Kommission­spräsident­in von der Leyen war deutlich: Die Entspannun­g im östlichen Mittelmeer sei noch fragil. "Wenn die Türkei nicht konstrukti­v vorangeht, wenn sie die Provokatio­nen wieder aufnimmt, werden wir die Zusammenar­beit wieder aussetzen."

Streit hatte es im Vorfeld auch mit Teilen des Europaparl­aments über die Formulieru­ngen zu Demokratie und Menschenre­chten im gemeinsame­n Gipfelbesc­hluß gegeben. Einigen Kritikern sind sie immer noch zu lau, gegenüber dem ursprüngli­chen Entwurf aber wurden sie relativ verschärft.

"Die Verfolgung politische­r Parteien und Medien sowie andere jüngste Entscheidu­ngen bedeuten einen wesentlich­en Rückschrit­t und widersprec­hen

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Ratspräsid­ent Michel beim Video-Gipfel: Russland-Debatte verschoben
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Corona-Impfstoff (in Mailand): Von Exportkont­rollen könnte allenfalls der Pharmakonz­ern Astra Zeneca betroffen sein

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