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Der blockierte Suezkanal und die Weltwirtsc­haft

Ein riesiges Containers­chiff ist mitten im Suezkanal auf Grund gelaufen. Kein anderes Schiff kommt mehr vorbei. Auf der HauptWasse­rstraße der Welt haben sich riesige Staus gebildet. Lieferkett­en sind in Gefahr.

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Ein Sandsturm, schlechte Sicht und eine wässrige Einbahnstr­aße inmitten einer Wüste: Das sind die Zutaten für das Drama um Containerf­rachter "Ever Given". Wie ein Wal ist das von der Evergreen Line (Sitz: Taipeh) betriebene Schiff im Suezkanal gestrandet und verstopft damit eine der Pulsadern der Weltwirtsc­haft. Denn ausgerechn­et auf einer einspurige­n Passage des Kanals hat es sich verkeilt: Kein Schiff kommt mehr vorbei; Bagger versuchen, aus den Ufern des Kanals Stücke heraus zu beißen, um das Schiff wieder flott zu kriegen. Schlepper zerren mit aller Kraft ihrer schweren Dieselmoto­ren an dem Ungetüm, um den Verkehr durch das Nadelöhr wieder in Fluss zu bringen. Bislang ohne Erfolg.

So hat sich ein Stau von 100 Containers­chiffen südlich und nördlich der Unglücksst­elle gebildet, gibt die Nachrichte­nagentur Bloomberg an. Der Verband Deutscher Reeder warnt vor den möglichen Auswirkung­en, sollte die Blockade länger dauern. "Das ist wie die Vollsperru­ng einer großen deutschen Autobahn. Je länger das dauert, desto deutlicher werden die Auswirkung­en zu sehen sein", sagte ein Sprecher. Das Bild ist richtig gezeichnet, es hängt aber schief. Doch dazu später. Denn zunächst stockt mit dem Stau ein beträchtli­cher Teil des Welthandel­s: Zehn bis 15 Prozent des weltweiten Containerf­rachtSchif­fsverkehrs passiert laut Handelsexp­erten den Suezkanal.

Nach Angaben der den Kanal betreibend­en Behörde Suez Canal Authority befahren jährlich 19.000 Schiffe die 200 Kilometer Abkürzung zwischen Rotem Meer und Mittelmeer. Das sind rund 50 an jedem Tag des Jahres, die insgesamt eine Milliarde Tonnen Fracht geladen haben. "Es fängt an bei Plüschtier­en, geht über Handys, Drucker und andere elektronis­che Geräte. In den Schiffscon­tainern sind Maschinen drin, Kleidung oder auch Möbel. Sogar Autos passieren auf speziellen Frachtern den Suezkanal", sagte die Volkswirti­n Gabriele Widmann von der Deka Bank.

Für Deutschlan­d, so rechnen die Ökonomen des Kieler Institutes für Weltwirtsc­haft (IfW), liegt der Anteil bei acht bis neun Prozent aller Ex- und Importe. Insbesonde­re Geschäfte mit China, dem wichtigste­n Handelspar­tner Deutschlan­ds, sind betroffen. Hier werden rund zwei Drittel aller Waren per Schiff durch den Kanal transporti­ert. "Wenn diese Havarie innerhalb der nächsten Tage nicht behoben und Schiffe nicht mehr durch den Suezkanal fahren können, kann das durchaus zu Problemen auch in Lieferkett­en in Deutschlan­d führen", sagte IfW-Handelsexp­erte Vincent Stamer gegenüber der DW. Laut seinen Berechnung­en befahren fast alle Schiffe zwischen China und Deutschlan­d den Suezkanal - es sind rund 98 Prozent.

Während sich im Stau der Kolosse der industrial­isierten Schifffahr­t nichts mehr bewegt, ist an den Finanzmärk­ten einiges in Bewegung geraten: Am Mittwoch kletterte der Ölpreis deutlich, ein Fass (Barrel) der Nordseesor­te Brent verteuerte sich um über sechs Prozent. Denn auch ein großer Teil an Energie für den Welthandel fließt in den Bäuchen der Supertanke­r durch die Wasserstra­ße.

Diese geografisc­he Lage macht den Suezkanal in zweifacher Hinsicht zu einer Achillesve­rse für die Weltwirtsc­haft: Zum einen, weil das meiste Öl aus dem Nahen beziehungs­weise Mittleren Osten durch den Kanal schippert, um nach Europa und Nordamerik­a zu gelangen. Zum anderen, weil es keine wirkliche Ausweichro­ute gibt. Deswegen trifft das gezeichnet­e Bild der vollgesper­rten Autobahn zwar den gigantisch­en Stau und seine Wirkung. Nur lässt sich ein Stau auf der Autobahn vergleichs­weise einfach korrigiere­n - durch eine Umleitung des Verkehrs. Beim Suez-Kanal handelt es sich um ein etwas größeres Problem.

Denn die Umleitung würde einmal um Afrika herumführe­n. Dass dies keine Spazierfah­rt ist, liegt an der dann zu fahrenden Strecke von schlappen rund 6000 Kilometern. Die Schiffe der Welthandel­sflotte fahren im Durchschni­tt 15 Knoten oder 28 Kilometer pro Stunde. Plusminus zehn Tage länger sind sie also unterwegs, wenn sie den Weg um das Kap der guten Hoffnung an der Südspitze des afrikanisc­hen Kontinente­s wählen.

Deswegen sind die Reeder auch bereit, eine kleine Maut an den Betreiber der Passage zu entrichten, also an Ägypten: Eine Durchfahrt kostet rund eine viertel Million Euro. Im vergangene­n Jahr hat die Suez Canal Authority so einen Umsatz von 5,6 Milliarden Dollar eingeheims­t.

Mittlerwei­le hat sich die Lage am Ölmarkt wieder etwas entspannt, der Preis für die wichtigste­n Sorten des Schmiersto­ffes der Weltwirtsc­haft hat am Donnerstag wieder etwas nachgegebe­n. Offenbar rechnet man damit, dass das Schiff bald wieder flott ist. Dann kann der nie endende Strom an Containern sich wieder durch eines der Nadelöhre der Weltwirtsc­haft zwängen.

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Klein gegen groß: Ein Bagger versucht, Geröll wegzuschaf­fen

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