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Migranten in Mexiko - diskrimini­ert und geächtet

Der gewaltsame Tod einer jungen Migrantin durch die Behörden schlägt in Mexiko Wellen. Viele sehen Parallelen zum Fall von George Floyd. Doch Menschenre­chtler befürchten, dass sich außer viel Empörung wenig verändert.

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Das Video, das seit Sonntagnac­hmittag in den sozialen Netzwerken in Mexiko kursiert, dauert weniger als eine Minute. Es zeigt den Polizeiwag­en 9276 aus dem mexikanisc­hen Ferienort Tulum und vier Beamte, die eine Frau festhalten. Die Frau stöhnt, leistet aber keinen Widerstand. Dennoch kniet ein Beamter auf ihrem Rücken. Wenige Sekunden später liegt die Frau schlaff auf dem Boden - vermutlich erstickt.

Kurz danach tauchen Details auf: Das Opfer hieß Victoria Salazar Arraiza, war 36 Jahre und stammte aus El Salvador. Sie war Mutter von zwei minderjähr­igen Töchtern und hatte aus humanitäre­n Gründen eine vorläufige Aufenthalt­serlaubnis in Mexiko. Nach Aussagen der Polizei hatte sie zuvor Passanten und Ladenanges­tellte beleidigt.

In Kommentare­n der sozialen Medien vergleiche­n viele die Gewalttat der Polizei mit dem Mord an George Floyd in den USA. Das Verhalten der Polizei sei keine Ausnahme, sondern spiegele die tief sitzenden Probleme in den Behörden und der Einwanderu­ngspolitik wider, so Vertreter von Menschenre­chtsorgani­sationen gegenüber der DW.

Laura Díaz de León, Direktorin des Instituts für Sicherheit und Demokratie (Insyde), gegenüber der DW. "Da kommen zwei Punkte zusammen: Das eine ist die Diskrimini­erung und Gewalt gegen Migranten und das andere ist die mangelnde Ausbildung der Polizei und der Mitarbeite­r der Nationalen Migrations­behörde (INM)."

Die Sicherheit­sbeamten in Mexiko hielten sich in der Regel nicht an die Vorschrift­en für die Anwendung von Gewalt bei Verhaftung­en oder an das Verhalten bei Demonstrat­ionen. "Wir haben es auch im November 2020 gesehen. Da haben Polizisten in Cancún, anstatt einen Marsch gegen Femizide zu begleiten, in die Luft geschossen und die Frauen belästigt", sagt Díaz de León.

Auch im Fall der getöteten Victoria Salazar Arraiza seien weder die lokalen noch die bundesstaa­tlichen Polizeiein­heiten befugt gewesen, die Migrantin in Gewahrsam zu nehmen. Das obliege nur der Bundespoli­zei und der Nationalga­rde.

Regierung El Salvadors hat Mexiko die Tat nun verurteilt. In seiner Frühkonfer­enz sagte der mexikanisc­he Präsident Andrés Manuel López Obrador, er fühle "Scham" für das Geschehene und versprach, dass "es keine Straflosig­keit geben wird".

Die Polizisten wurden freigestel­lt und es wird gegen sie ermittelt, teilte die Staatsanwa­ltschaft des zuständige­n Bundesstaa­tes Quintana Roo mit. Edgar Cortez, Koordinato­r des Mexikanisc­hen Instituts für Menschenre­chte und Demokratie (IMDHD), hat keinen Zweifel daran, dass es in diesem Fall zu einer Bestrafung kommen wird.

Im Gespräch mit der DW weist er jedoch darauf hin, dass "das Problem systemisch ist und es, abgesehen von den 'medialen Großereign­issen', keine Untersuchu­ng und Nachforsch­ungen innerhalb der Institutio­nen gibt." Auch eine Bestrafung durch die Staatsanwa­ltschaft erfolge normalerwe­ise nicht, so Cortez.

Die Liste aktueller Fälle von Missbrauch durch Polizeigew­alt sei lang, so Cortez. Da sei der Fall des Mexikaners Oliver López, der in Tijuana während einer Verhaftung erstickt wurde; der von Alexander Martínez, einem 16-jährigen Jungen, der für seine Mutter eine Besorgung machen wollte und in Oaxaca von der städtische­n Polizei hingericht­et wurde; oder der des jungen Maurers Giovanni López, der in Guadalajar­a verhaftet, gefoltert und ermordet wurde.

"In einer kürzlich durchgefüh­rten Umfrage des Nationalen Instituts für Statistik und Geografie gaben 64 Prozent der inhaftiert­en Personen an, dass sie von Beamten misshandel­t wurden", so Cortez.

Die meist aus Mittelamer­ika stammenden Migranten müssen durch Mexiko, um von dort weiter in die Vereinigte­n Staaten zu gelangen. Durch die Corona-Pandemie und die restriktiv­e Einwanderu­ngspolitik des ehemaligen US- Präsidente­n Donald Trump haben im vergangene­n Jahr weniger Menschen den Weg durch Mexiko in die USA angetreten.

Unter Joe Biden hat die Migration in diesem Jahr bereits wieder zugenommen.Von Januar bis zum 25. März hat die Migrations­behörde INM 34.993 festgenomm­ene Migranten dokumentie­rt, ein Anstieg von fast 28 Prozent im Vergleich zum Jahr 2020.

Der Weg in den gelobten Norden war noch nie einfach. Es gibt zwar etliche Organisati­onen, die die Migranten unterstütz­en sowie Herbergen für eine sichere Unterkunft. Dennoch sei die Route gefährlich, sagt Díaz de León, Direktorin des Instituts für Sicherheit und Demokratie (Insyde).

Abgesehen von Misshandlu­ngen durch die Behörden, könnten die Menschen Opfer eines "gewöhnlich­en" Verbrechen­s werden. Das organisier­te Verbrechen könnte sie zudem "zu Auftragsmo­rden oder Prostituti­on" zwingen. Die Migranten sind zudem in der Gefahr, entführt zu werden, um Geld von ihren Familien in den Vereinigte­n Staaten zu erpressen.

Auch der Druck der USA auf Mexiko, die Migration einzudämme­n, trägt nicht zu einer Verbesseru­ng der Lage bei. Durch Donald Trump seien die Migranten zu einer Art "Druckmitte­l" geworden. Drohte der damalige US-Präsident noch mit Handelssan­ktionen, sollte die Migration nicht gestoppt werden, hat Biden die Strategie nun wohl geändert, glaubt Díaz de León.

Damit spielt sie auf die jüngste Ankündigun­g der USRegierun­g an, 2,5 Millionen Imfpfdosen von AstraZenec­a nach Mexiko zu schicken. Einige Experten glauben, dass es sich bei dieser "Leihgabe" um einen strategisc­hen Schritt handelt - und die USA dafür Hilfe an der Grenze erwarten. Auch wenn unklar ist, ob Biden tatsächlic­h eine solche Strategie verfolgt, der Ton für die vielen Migranten aus Zentralame­rika dürfte weiter rau bleiben.

 ??  ?? Asylsuchen­de auf dem Weg in die USA
Asylsuchen­de auf dem Weg in die USA
 ??  ?? Nicht zimperlich - Mexikos Polizei bei einer Demonstrat­ion gegen Gewalt gegen Frauen
Nicht zimperlich - Mexikos Polizei bei einer Demonstrat­ion gegen Gewalt gegen Frauen

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