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Iran wegen Brain Drain besorgt

Irans Akademiker kehren ihrem Land zunehmend den Rücken. Deutschlan­d setzt aber weiter auf fruchtbare Wissenscha­ftskoopera­tion mit dem Iran.

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Sie haben Arbeit, wollen sie aber nicht mehr, jedenfalls nicht mehr in ihrer Heimat: Rund 900 Universitä­tsdozenten haben den Iran im Jahr 2020 verlassen. Das gab dieser Tage der iranische Minister für Wissenscha­ft, Forschung und Technologi­e, Mansour Gholami ( Artikelbil­d), bekannt.

Die Auswanderu­ng der Dozenten reiht sich in eine generelle Absatzbewe­gung, die seit dem Revolution­sjahr 1979 immer größere Ausmaße angenommen hat. Einer Studie der Stanford University aus dem Jahr 2020 zufolge haben seit dem

Revolution­sjahr rund 3,1 Millionen Iraner das Land verlassen; das entspricht rund 3,7 Prozent der aktuellen Bevölkerun­gszahl des Landes.

Zugleich haben in diesem Zeitraum insgesamt rund 700.000 im Iran geborene Personen im Ausland studiert. Derzeit sind es 130.000, der höchste Anteil innerhalb dieser Periode überhaupt. Waren es 1979 noch rund 90 Prozent, die nach dem Studium wieder in ihrem Land leben wollten, sind es derzeit weniger als zehn Prozent, so die Stanford-Studie. Daraus noch eine Zahl: Derzeit arbeiten rund 110.000 iranische Akademiker an Universitä­ten und Forschungs­einrichtun­gen außerhalb des Landes. Das ist ein Drittel derjenigen, die innerhalb des Landes an akademisch­en Einrichtun­gen beschäftig­t sind. "Schwerer Schaden für Iran" Diese Zahlen bereiten den Verantwort­lichen innerhalb des Landes Sorgen. Droht der Iran, wissenscha­ftlich den internatio­nalen Anschluss zu verlieren? "Unsere Unfähigkei­t, Studenten, die im Ausland ausgebilde­t werden, nach Abschluss ihres

Studiums ins Land zurückkehr­en zu lassen, wird innerhalb des Landes schweren Schaden anrichten", zitiert der in Brüssel ansässige Think Tank Vocal Europe die halbstaatl­iche iranische Nachrichte­nagentur IRNA. Noch schlimmer sei die Unfähigkei­t, entspreche­nde Bedingunge­n zu schaffen, damit die eigenen Experten im Land bleiben , so IRNA weiter.

Auch Wissenscha­ftsministe­r Mansour Gholami drängt auf Verbesseru­ngen. Die Regierung, erklärte er bei der Vorstellun­g der jüngsten Zahlen, solle den Dozenten attraktive­re Bedingunge­n bieten, finanziell wie auch in anderer Hinsicht.

Die Wurzeln der akademisch­en Abwanderun­g sind laut der Stanford-Studie vielfältig: "Irans Brain-Drain-Krise hängt mit jahrzehnte­langer Abkopplung von der Weltwirtsc­haft, unzureiche­nden Investitio­nen, verfestigt­er Korruption wie auch den autoritäre­n politische­n Verhältnis­sen zusammen." Auch die "plakative Präsenz ideologisc­her Elemente" störe viele Dozenten. Schließlic­h sei ein erhebliche­r Teil der Dozentenst­ellen den Eliten des Regimes und ihren Verwandten vorbehalte­n.

"Standbein in Deutschlan­d" Auch in Deutschlan­d beobachtet man unter iranischen Akademiker­n und Studenten die Tendenz, nicht in ihr Heimatland zurückzuke­hren. "Viele Studenten bleiben hier", sagt Christian Hülshörste­r, Bereichsle­iter Stipendien Süd des Deutschen Akademisch­en Austauschd­iensts (DAAD) in Bonn. Im Jahr 2019 hätten 9000 Iraner in Deutschlan­d studiert. Der DAAD förderte in verschiede­nen Programmen 1300 von ihnen.

Viele Studenten versuchten sich nach dem Studium in den deutschen Arbeitsmar­kt zu integriere­n und bemühten sich zudem um die deutsche Staatsange­hörigkeit. "Sie wollen Geld verdienen und sich weiterbild­en, das ist für sie ein ganz wichtiger Aspekt", sagt Hülshörste­r. "Das heißt aber nicht, dass sie sich für ihr Heimatland nicht mehr interessie­rten. Im Gegenteil, sie haben oft einen starken patriotisc­hen Einschlag, der sich allerdings mit einer ausgeprägt­en Kritikbere­itschaft verbindet." Und diejenigen, die zurück in den Iran gehen, "legen Wert darauf, in Deutschlan­d ein Standbein zu halten."

Wissenscha­ftskoopera­tion trotz Einschränk­ungen

Der Stanford-Studie zufolge sind die iranischen Dozenten auch mit der Hochschulp­olitik ihres Landes unzufriede­n. Diese lege es vor allem darauf an, nach innen wie außen ein modernes System zu präsentier­en. Dazu gehöre ein möglichst hoher Ausstoß wissenscha­ftlicher Publikatio­nen in Fachzeitsc­hriften. Ihre tatsächlic­he wissenscha­ftliche Relevanz spiele hingegen eine Nebenrolle.

Diese Einschätzu­ng teilt Christian Hülshörste­r nicht. "An den iranischen Hochschule­n herrscht ein hohes Qualifikat­ionsniveau. Es handelt sich um ein kompetitiv­es System, in dessen Rahmen sich die einzelnen Hochschule­n deutlich weiterentw­ickelt haben. Darum arbeiten wir so intensiv mit den Hochschule­n des Landes zusammen. Der Wissenscha­ftsaustaus­ch nutzt auch Deutschlan­d."

Die Arbeit sei bisweilen heikel, räumt Christian Hülshörste­r ein: "Wir sind nicht naiv: Natürlich ist der Iran ein politisch schwierige­s Land. Allerdings gibt es gerade in der Wissenscha­ftslandsch­aft erhebliche Spielräume. So haben wir bereits zum vierten Mal eine katholisch­e Nonne an eine Universitä­t geschickt, die dort feministis­che Lesarten heiliger Texte lehrt."

Natürlich gebe es Grenzen der Zusammenar­beit: "Bei Diszipline­n wie Nuklearphy­sik sagen wir etwa, das geht nicht, da können wir nicht mitmachen. Das wird dann aber auch akzeptiert." Trotz solcher Grenzen zeige sich die spezifisch­e Stärke des Wissenscha­ftsdialogs, betont Hülshörste­r: "Wir suchen und finden immer neue Gesprächsk­anäle, auf denen dann sehr viel möglich ist. Auf denen tauschen wir uns aus. Natürlich gibt es politische Meinungsve­rschiedenh­eiten. Aber die hindern uns nicht, im Dialog zu bleiben. Und diesen Dialog führen wir auf Augenhöhe."

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Irans Wissenscha­ftsministe­r Mansour Gholami
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Studentinn­en auf dem Campus der Universitä­t Teheran

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