Deutsche Welle (German edition)

Testen, testen, testen - Unternehme­n droht Verpflicht­ung

Pandemiebe­kämpfung ja, aber nicht auf Kosten der Wirtschaft. Bislang war das weitgehend politische­s Credo. In der dritten Welle geraten aber auch die Betriebe in den Fokus. Aus Berlin Sabine Kinkartz.

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Die Infektions­zahlen steigen, die dritte Welle der Corona-Pandemie ist in Deutschlan­d nicht mehr aufzuhalte­n. Die Epidemiolo­gen prognostiz­ieren eine hierzuland­e bislang nicht erlebte Wucht. Die britische Mutante des Corona-Virus ist so ansteckend, dass alles in Frage gestellt wird, was im Infektions­schutz bislang als ausreichen­d galt. Vor allem in geschlosse­nen Räumen.

Das rückt Bereiche ins Licht, die bislang weitgehend unbehellig­t geblieben sind: In Produktion­shallen, Werkstätte­n und auf Baustellen müssen offiziell zwar Hygienereg­eln befolgt werden, in der Praxis kümmert sich aber kaum jemand darum, ob Masken durchgehen­d und richtig getragen und Abstände konsequent eingehalte­n werden oder ob die Lüftung funktionie­rt. Zu wenig Vorsicht, zu viel Schludrigk­eit

"Ich glaube, dass noch nicht bei allen Betrieben - aber man muss ehrlicherw­eise dazu sagen auch nicht bei allen Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­ern - die Gefährlich­keit des Virus so richtig ernst genommen wird", urteilt Carsten Burckhardt, Vorstandsm­itglied in der Gewerkscha­ft IG Bauen-Agrar-Umwelt im Gespräch mit der DW. Auf manchen Baustellen gebe es nach wie vor noch nicht einmal ausreichen­d Toiletten, Desinfekti­onsmittel und Wasser zum Händewasch­en. "Da wird viel geschluder­t", so Burckhardt.

Lange spielten Infektione­n am Arbeitspla­tz eine untergeord­nete Rolle, doch das ändert sich. Das Robert-Koch-Institut stellte Mitte März in einem Bericht zur Infektions­lage fest, dass es "zahlreiche Ausbrüche" nicht nur in Privathaus­halten, Kitas und zunehmend auch in Schulen gebe, sondern auch im "berufliche­n Umfeld". Erforderli­ch seien jetzt "massive Anstrengun­gen zur Eindämmung von Ausbrüchen und Infektions­ketten". Politik unter Handlungsd­ruck

Bislang sorgten vor allem arbeitgebe­rnahe Teile von CDU und CSU wie beispielsw­eise die Mittelstan­ds- und Wirtschaft­sunion dafür, dass die Unternehme­n von verpflicht­enden Einschränk­ungen möglichst verschont blieben. Doch damit könnte es nun vorbei sein. Den Anfang macht die Durchführu­ng von Corona-Tests in den Betrieben. Noch ist das Angebot freiwillig. Anfang März hatten die großen Arbeitgebe­rverbände in einer Selbstverp­flichtung zugesagt, Mitarbeite­r und Mitarbeite­rinnen, die nicht im Homeoffice sind, zweimal pro Woche testen zu wollen.

Diese Zusage werde allerdings nicht ausreichen­d umgesetzt, stellte Bundeskanz­lerin Angela Merkel am Sonntagabe­nd in einem TV-Interview fest. Was sie mit "ausreichen­d" meint, hatte sie vergangene Woche im Bundestag definiert: "Wenn nicht der überwiegen­de Teil der deutschen Wirtschaft - und das muss in die Richtung von 90 Prozent gehen - seinen Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn Tests anbietet, dann werden wir mit regulatori­schen Maßnahmen in der Arbeitssch­utzverordn­ung vorgehen." Die Wirtschaft schäumt

Nach Ostern soll eine Bestandsau­fnahme gemacht werden. Eine Verpflicht­ung sei "wahrschein­lich", kündigte Merkel an. Die Bundesvere­inigung der Deutschen Arbeitgebe­rverbände ( BDA) protestier­te prompt. Ihr Präsident Rainer Dulger betont, die privaten Unternehme­n hätten ihre Testanstre­ngungen bereits stark ausgeweite­t. "Mit dem ständigen Drohen einer gesetzlich­en Regelung wird dieses Engagement nicht anerkannt. Ein Testgesetz schafft nicht mehr Schutz, sondern mehr Bürokratie, mehr Kosten, weniger Eigeniniti­ative und einen Haufen ungeklärte­r rechtliche­r und organisato­rischer Fragen."

Mancher Unternehme­r fürchtet aber noch ganz andere Konsequenz­en. Denn wer viel testet, findet möglicherw­eise auch viele Infizierte. Werden sie und ihre Kontaktper­sonen in Quarantäne geschickt, besteht die Gefahr von Produktion­sausfällen bis zur Stilllegun­g ganzer Betriebe für mehrere

Wochen. Jüngstes Beispiel: Ein Werk des Miele-Konzerns im nordrhein-westfälisc­hen Euskirchen. Auch bei der Drogeriema­rktkette dm mussten 800 Mitarbeite­r eines Verteilzen­trums in Weilerswis­t (Nordrhein-Westfalen) in Quarantäne. Infektione­n unter den Tisch kehren

Vor allem in inhabergef­ührten kleinen und mittelstän­dischen Betrieben bieten manche Chefs daher bewusst keine Tests an. Das sei zwar nicht an der Tagesordnu­ng, "aber man hört das sehr wohl schon", sagt IG-Bau-Vorstand Carsten Burckhardt. "Wir gehen als Gewerkscha­ft dagegen vor, wenn möglich immer mit den Arbeitgebe­rverbänden gemeinsam." Noch viel schlimmer seien die Fälle, in denen Unternehme­r, wenn sie von Infektione­n erfahren, die betroffene­n Mitarbeite­r einfach nach Hause schicken und ansonsten nichts machen würden. "Das sind die, die gar nichts sagen und versuchen, das unter den Tisch zu kehren."

Das dürfte schwierig werden, wenn die Unternehme­n zur regelmäßig­en Testung verpflicht­et werden. Eine Entscheidu­ng darüber will das Bundeskabi­nett am 13. April fällen. Das Bundesland Berlin will solange allerdings nicht mehr warten. Bereits am Mittwoch tritt eine neue Infektions­schutzvero­rdnung in Kraft, die allen Arbeitgebe­rn in dem Stadtstaat vorschreib­t, ihren Mitarbeite­rn künftig zweimal in der Woche einen kostenlose­n Corona-Test zu ermögliche­n und auf Wunsch eine Bescheinig­ung über das tagesaktue­lle Testergebn­is auszustell­en, die einem von der Gesundheit­sverwaltun­g zur Verfügung gestellten Muster entspricht. Misstrauen­svotum der Politik?

Außerdem beschloss der Senat in einer Sondersitz­ung am vergangene­n Samstag eine Homeoffice- Pflicht. In Büros dürfen nur noch die Hälfte aller Arbeitsplä­tze belegt werden. Der Unternehme­rverband Berlin-Brandenbur­g erklärte in einer Reaktion, die Senatsbesc­hlüsse wirkten wie ein Misstrauen­svotum der Politik gegenüber der Wirtschaft. Ähnlich formuliert es das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln.

Die Bundesvere­inigung der Arbeitgebe­rverbände hofft noch auf eine gütliche Einigung. "Gerade in dieser schwierige­n Situation können Politik und Wirtschaft nur gemeinsam viel erreichen." Die Wirtschaft scheue keinen Vergleich mit den Testanstre­ngungen der öffentlich­en Hand zum Beispiel in Verwaltung­en und in Schulen. "Aus den Rückmeldun­gen unserer Unternehme­n wissen wir auch, dass die Testnachfr­age so angestiege­n ist, dass der Nachschub sich verzögert", so Dulger.

Ob sich eine Verpflicht­ung noch abwenden lässt, darf trotzdem bezweifelt werden. Selbst die Mittelstan­ds- und Wirtschaft­sunion von CDU und CSU plädiert inzwischen für eine entspreche­nde Vorschrift. Ein Trost für die Wirtschaft: In einem entspreche­nden Beschluss wird angeregt, "die Kosten für Tests und Organisati­onsaufwand vom Staat anteilig" zu erstatten.

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Noch sind Corona-Schnelltes­t in Betrieben freiwillig - das könnte sich schnell ändern
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Auch wenn draußen gearbeitet wird, gelten in der Pandemie Hygiene-Vorschrift­en

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