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Kemfert: Nord Stream 2 wird nicht gebraucht
Die umstrittene Gaspipeline sei unnötig, sagt Professorin Claudia Kemfert, die auch die Bundesregierung berät. Für das Pariser Klimaziel brauche es einen "Erdgasausstieg bis spätestens 2038", so Kemfert im DW-Interview.
DW: Frau Kemfert, Ihr DIW-Gutachten kommt zu dem Schluss, dass Nord Stream 2 besser nicht fertiggestellt werden soll. Warum?
Claudia Kemfert: Unsere Studien belegen, dass, wenn die Klimaschutzziele umgesetzt werden, der Gasbedarf abnehmen wird. Die Pipeline ist energiewirtschaftlich unnötig, teuer und widerspricht den Zielen der Energiewende, des Klimaschutzes sowie der Diversifikation der Erdgasbezüge. Man hätte das Projekt nie beginnen sollen.
Beim Kohleausstieg wird Erdgas häu g als sogenannte Brückentechnologie bezeichnet. Was ist daran falsch?
Wenn wir die Klimaziele ernsthaft erreichen wollen, brauchen wir einen Erdgasausstieg bis spätestens 2038, also parallel zum Kohleausstieg. Gas ist keine Brücke ins Nichts. Statt Brückentechnologien brauchen wir Zukunftstechnologien, nämlich erneuerbare Energien.
Erdgas ist in etwa so klimachädlich wie Kohle. Warum?
Gaskraftwerke verursachen zwar weniger CO2-Emissionen als Kohlekraftwerke. Das ist aber nur die halbe Geschichte. Beim Erdgas sind es auch Förderung und Transport, die die Klimabilanz verschlechtern. Das Problem heißt hier nicht Kohlendioxid, sondern Methan. Bei der Förderung entweicht ein Teil davon einfach in die Atmosphäre. Aber auch beim Transport gibt es Methanaustritte, an den Pipeline-Ventilen und durch Lecks. Dieser Effekt ist lange unterschätzt worden, auch weil er schwer zu messen ist.
Warum wird über das Klimaproblem von Erdgas bislang so wenig gesprochen?
In der Öffentlichkeit ist es gelungen, Erdgas als "klimafreundlich" darzustellen, auch einige Umweltverbände haben in der Vergangenheit oftmals zu wenig auf die schlechte Klimabilanz insbesondere bei Förderung und Transport verwiesen. Es stimmt ja, dass die Verbrennung von fossilem Erdgas weniger Emissionen verursacht als die Verbrennung von Kohle. Vor 15 Jahren war dies auch die bessere Wahl. Heute nicht mehr, da die Emissionen aufgrund von unzureichendem Klimaschutz nun sehr schnell massiv sinken müssen.
Sie sagen, dass der Ausstieg aus Erdgas und Kohle bis spätestens 2038 vollzogen sein muss. Was bedeutet dies für das Ausbautempo der Erneuerbaren in Deutschland und Europa?
Das Ausbautempo der erneuerbaren Energien muss sich in demselben Zeitraum mindestens verdreifachen, um auf den richtigen Pfad der Vollversorgung mit erneuerbaren Energien zu kommen.
Ist das zu stemmen?
Natürlich, es ist nicht nur ökonomisch zu stemmen, sondern in enormem Maße lohnend! Erneuerbare Energien werden immer preiswerter. Investitionen schaffen Wertschöpfung und Arbeitsplätze und sind somit volkswirtschaftlich lohnend.
Die kompletten Systemkosten einer Vollversorgung mit erneuerbaren Energien inklusive Flexibilität, Digitalisierung und Speicher sind deutlich geringer als die des fossil-atomaren Energiesystems.
Zudem werden Umwelt- und Klimaschäden vermieden, Abhängigkeiten von Importen und damit negative Schocks vermindert, die Resilienz des Energiesystems und damit die dezentrale Versorgungssicherheit gestärkt.
Wie kann man sich diesen Übergang vorstellen?
Wir befinden uns am Beginn der zweiten Phase der notwendigen Energiesystemwende hin zu einer Vollversorgung mit erneuerbaren Energien:
Erneuerbare Energien übernehmen mehr und mehr Energ iesystemverantwortungen.
Es beginnt die sogenannte Sektorenkopplung, in der Ökostrom vermehrt zur Elektromobilität auf der Schiene und Straße sowie im Gebäudesektor durch Wärmepumpen eingesetzt wird. Dezentralität, Digitalisierung, Flexibilisierung und Speicherungsoptionen schaffen Technologieinnovationen und jede Menge neue Jobs. Ein auf erneuerbaren Energien basierendes Energiesystem ist deutlich beschäftigungsintensiver als das konventionelle.
Beim Streit um Nord Stream 2 haben USA und Russland ganz andere Interessen. Worum geht es?
Die USA werden weiter massiven Druck machen, Nord Stream 2 nicht in Betrieb zu nehmen. Sie wollen allerdings ihr eigenes Flüssiggas, Frack