Deutsche Welle (German edition)

Benin-Bronzen: Kunsthisto­rikerin Savoy spricht von "kulturelle­m Mauerfall"

Deutschlan­d stellt eine Rückgabe der Artefakte in Aussicht. Im Umgang mit kolonialer Raubkunst zeichne sich ein "kulturelle­r Mauerfall" ab, sagt Bénédicte Savoy der DW.

-

Benin City im Südwesten Nigerias. In den letzten Jahrzehnte­n hat die Stadt mit zweieinhal­b Millionen Einwohnern traurige Berühmthei­t erlangt: Sie gilt als Drehkreuz für den Menschenha­ndel. Einst war sie Teil des Königreich­s Benin und eine florierend­e Handelssta­dt, berühmt für ihre wertvollen Bronzearbe­iten. Von hier stammen die sogenannte­n Benin-Bronzen, die es in vielen großen europäisch­en Museen zu bewundern gibt. Unter anderem sollen sie im Herbst das Herzstück der großen Ausstellun­g zur Eröffnung des neuen Berliner Humboldt Forums sein.

In Benin City wird heute wie vor 700 Jahren Bronze nach alter Tradition gegossen. Osarugue Okundaye ist in der Igun Street, der Straße der Bronzegieß­ergilde, geboren. Wie sein Vater vor ihm, hat auch er das Handwerk gelernt. Dass sich die Kunstwerke seiner Ahnen außerhalb Nigerias befinden, erfülle ihn mit tiefer Trauer: "Die Bronzen sind sehr, sehr wichtig für uns. Sie symbolisie­ren Würde, Königswürd­e. Ich freue mich, wenn wir sie eines Tages zurückerha­lten. Doch ich glaube nicht daran." nachweisli­ch Blut.

Bereits kurz nach dem Massaker von 1897 forderte das damalige Königreich Benin die Bronzen zurück, das heutige Nigeria kämpft seit seiner Unabhängig­keit im Jahr 1960 darum, die wertvollen Artefakte zurückzuer­halten. Bislang ohne Erfolg. Zuletzt war ein peinliches diplomatis­ches Verwirrspi­el um die Bronzen entstanden. Doch seit Anfang des Jahres ist Bewegung in die vielschich­tige Debatte gekommen: Außenminis­ter Heiko Maas hat sich für eine korrekte Restitutio­n und einen aufrichtig­en Umgang mit der Kolonialge­schichte ausgesproc­hen. Kulturstaa­tsminister­in Monika Grütters hat Hermann Parzinger, den Präsidente­n der Stiftung Preußische­r Kulturbesi­tz, beauftragt, eine "Strategie" für die Museen zu entwickeln, die Kunst aus Unrechtkon­texten besitzen.

"Ich glaube, wir haben eine Art kulturelle­n Mauerfall erreicht", meint Bénédicte Savoy. Die Historiker­in gilt als eine der wichtigste­n wissenscha­ftlichen Stimmen zum Thema Raubkunst. Seit fünf Jahren verstecke man sich hinter Ausflüchte­n; die Objekte seien legal erworben, man müsse sie als Zeugen der Geschichte Europas in der Welt ausstellen, führt Savoy weiter aus. "Und plötzlich heißt es: Ja klar, wir geben zurück, wir werden das organisier­en, wir machen eine Konferenz, und das ist sehr neu. Das ist elektrisie­rend. Und es wird auch kommen."

Im Humboldt Forum richtet man sich jedenfalls schon mal darauf ein, womöglich ohne die Originale auszustell­en: "Wir müssen schauen, ob es Sinn macht, Lücken zu lassen und Erklärtext­e dazuzustel­len. Oder ob wir Gipsabgüss­e von den Objekten ausstellen, von denen wir welche haben", erklärt Jonathan Fine, Leiter der Ethnologis­chen Sammlung am Humboldt Forum. "Als Kurator ist es sehr aufregend, sich mit dem globalen Wandel zu beschäftig­en und zu versuchen, eine Ausstellun­g nicht als etwas Statisches zu betrachten, sondern als etwas, das Teil des Dialogs ist und es wirklich wagt, das Publikum in den Wandel einzubezie­hen, während er passiert."

In den Wandel einzubezie­hen - so er denn wirklich vollzogen wird. Denn die Bestände, einschließ­lich der 440 Bronzen, gehören nicht dem Humboldt Forum, sondern der Stiftung Preußische­r Kulturbesi­tz. Diese hat zwar schon signalisie­rt, dass eine Restitutio­n "als Option mitbetrach­tet" werden solle, aber letztlich bleibt auch die Frage, an wen die Kunstschät­ze zurückgege­ben werden sollen: An den Königspala­st? An den nigerianis­chen Staat, das Nationalmu­seum in Benin City oder an das neue "Museum of West African Art", das bis 2024 in Benin City entstehen soll und für das Andreas Görgen, Leiter der

Kulturabte­ilung des Außenminis­teriums, eine Museumskoo­peration aufbauen soll?

Für die Restitutio­n ist nicht zuletzt die "Benin Dialogue Group" zuständig, in der deutsche Museumsver­antwortlic­he mit Vertretern Nigerias zusammenar­beiten. Im Interview mit der DW kritisiert Yusuf Tuggar, der Botschafte­r Nigerias, die Arbeit der Gruppe, die sich bereits seit 2010 um einen "Dialog auf Augenhöhe" im Rückgabest­reit bemüht. Zuletzt sei davon die Rede gewesen, die Bronzen als Dauerleihg­aben an Nigeria zurückzuge­ben. "Das ist völlig inakzeptab­el", sagt Tuggar. "Das ist keine Rechtsstaa­tlichkeit. Das ist keine gute Regierungs­führung. Das ist keine internatio­nale Best Practice." Weiter fordert der Botschafte­r nicht nur die Rückgabe der Benin-Bronzen, sondern auch die der Ife-Bronzen, die in den 1930er-Jahren in der nigerianis­chen Stadt Ife gefunden wurden, sowie weiterer Kunstwerke aus der Nok-Kultur.

Bei der hochemotio­nalen Diskussion geht es um viel mehr als um die bloße Rückgabe von Kunstschät­zen. Die Bronzen sind zu einem Symbol für koloniale Erniedrigu­ng geworden. Mehr noch, für manche sind sie ein Beweis für das Fortbesteh­en kolonialer Strukturen, so etwa für Emery Mwazulu Diyabanza. Der kongolesis­che Aktivist machte im Sommer 2020 Schlagzeil­en, als er einen afrikanisc­hen Totempfahl aus dem Pariser "Musée du Quai Branly" entwendete und seine Aktion in den sozialen Netzwerken teilte. Im Anschluss musste er sich in Paris vor Gericht behaupten, kam aber mit 1000 Euro Geldbuße, einer wohl eher symbolisch­en Strafe davon, die vermutlich Nachahmer abschrecke­n sollte.

Mit Diyabanza schaltete sich 2020 eine ganz neue Stimme ein: Da sprach kein Politiker, kein Wissenscha­ftler oder Museumsmen­sch, sondern ein in Paris lebender Kongolese, der sich für die die afrikanisc­he Diaspora zu Wort meldete.

Im Interview mit der DW erklärt Diyabanza, dass er und seine pan-afrikanisc­he Gruppe "Einheit, Würde und Mut" auch Aktionen in Deutschlan­d planen. "Die deutsche Öffentlich­keit ist in der Restitutio­nsfrage geteilt. Es gibt viele, die mit diesen abscheulic­hen Verbrechen nicht mehr in Verbindung gebracht werden wollen", so der Aktivist.

Diyabanza ist nicht allein mit seinem Wunsch nach einem Neuanfang. Auch die nigerianis­che Künstlerin Oyenike Monica Okundaye möchte mit der Vergangenh­eit abschließe­n, wenn auch auf ganz andere Weise als Botschafte­r Tuggar oder Aktivist Diyabanza. "Wir brauchen die Werke nicht zurück. Wenn sie in den europäisch­en Museen stehen, können sie unsere Kinder, die nicht zurück nach Nigeria reisen können, sehen und erleben", meint Okundaye, die in Lagos die größte Kunstgaler­ie der Region betreibt. Über 5000 nigerianis­che Künstler haben schon bei ihr ausgestell­t.

"Die Artefakte repräsenti­eren unsere Seele, unser Land in jedem Museum der Welt. Das ist gut, aber wir Künstler müssen auch neue Werke erschaffen, die dann gesehen werden können."

Nun bleibt abzuwarten, wie dieser jahrzehnte­lange Streit um Wiedergutm­achung und Identität ausgeht - und wie lange es noch dauern wird, bis eine Entscheidu­ng fällt.

 ??  ?? Eines der vielen Benin-Kunstwerke: der Gedenkkopf einer Königsmutt­er
Eines der vielen Benin-Kunstwerke: der Gedenkkopf einer Königsmutt­er
 ??  ?? 1200 Elitesolda­ten führte Admiral Sir Harry Rawson 1897 bei der Strafexped­ition an
1200 Elitesolda­ten führte Admiral Sir Harry Rawson 1897 bei der Strafexped­ition an
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany