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Vom Postboten zum Shanty-Star: Nathan Evans

"Ich hätte nie gedacht, dass der Song die ganze Welt stürmt", gesteht Nathan Evans der DW. Seit Monaten begeistert "Wellerman" auf TikTok und YouTube.

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Den Song von Seeleuten, die auf ihren Walfischfä­ngern ausharren und sehnsüchti­g auf den Nachschub von Proviant wie Zucker, Rum und Tee warten, stimmten die Menschen schon vor zwei Jahrhunder­ten an. Dass er 2021 auf Plattforme­n wie TikTok durch die Decke geht und zum kulturelle­n Phänomen avanciert, hat wohl mit der Pandemie-Situation zu tun, die die Welt seit einiger Zeit zum Innehalten und Warten auf bessere Zeiten zwingt.

Urheber des weltweiten "Wellerman"-Booms ist der schottisch­e Briefträge­r Nathan Evans. "Ich dachte, ich lade 'Wellerman' hoch und dann geht's mit dem nächsten Song weiter", erzählt

Evans im DW-Interview.

Ende Dezember 2020 postete er seine Version des neuseeländ­ischen Shantys. Zuvor hatte der 26-Jährige schon andere Seemannsli­eder hochgelade­n, seine s c h wu n gvol l e Wel l erma nInterpret­ation aber wurde nun zum viralen Hit. Millionen Likes hat er bei TikTok schon eingeheims­t - und auch auf anderen Plattforme­n sozialer Medien ist sein Song ein Quotenrenn­er. "Es fühlt sich die ganze Zeit wie ein Traum an. Es ist einfach unfassbar", freut sich Nathan Evans.

Shantys für die Stimmung an Bord

Früher sangen die Seeleute die Shantys bei der Arbeit an Bord ihres Schiffes. Das weltweit bekanntest­e Seemannsli­ed ist wohl "Drunken Sailor", Schulkinde­r lernen es bis heute. Shantys waren vor allem im 19. Jahrhunder­t verbreitet, bevor die Dampfschif­ffahrt die Segelschif­fe von den Weltmeeren verdrängte.

In den sogenannte­n "calland-response songs" sang ein Seemann eine Strophe vor, dann stimmte der Rest der Mannschaft den Refrain an. Im digitalen Zeitalter sind es diese TikTok-User, die Evans' Original mehrstimmi­g begleiten:

Das Shanty verdankt seinen Titel "Wellerman" dem australisc­hen Walfang-Unternehme­n "The Weller Bros.", das zwischen 1830 und 1840 vor allem vor der Küste Neuseeland­s operierte. "Wellerman" heißt in dem Song das Versorgung­sschiff, das die Kompanie den Seeleuten mit Proviant und allem Lebensnotw­endigen vorbeischi­ckte. "Bald kommt der 'Wellerman', um uns Zucker, Tee und Rum zu bringen", heißt es im Refrain, "eines Tages, wenn das Tonguin' erledigt ist, werden wir unsere Sachen packen und gehen." "Tonguing" - so nannte man die Arbeit der Männer, die den Wal nach dem Fang in seine Einzelteil­e zerlegten.

Hoffen auf Freiheit

Dass man etwas über die harte Arbeit des Walschlach­tens erfährt, hat den Song wohl kaum zum viralen Hit gemacht. Er reflektier­t wohl eher die Hoffnung darauf, dass die Zeit des Eingesperr­tseins bald vorbei sein wird - ob man nun beim "Tonguing" auf einem Walfänger eingepferc­ht ist oder in einer Pandemie die eigenen vier Wände nicht verlassen soll.

"Gerade in einer Zeit, in der alle zu Hause festsitzen, alle ausgebrann­t sind und ihre Freunde nicht sehen können, kam dieser Song", versucht Evans den viralen Erfolg des "Wellerman"-Shanty zu erklären. "Nun kann jeder mitmachen, mitsingen, mit den Füßen stampfen, in die Hände klatschen oder ein Instrument dazu spielen. Jeder wird mit einbezogen, und das zaubert den Leuten ein Lächeln auf die Lippen."

Das TikTok-Format ermöglicht es den Usern, sich per Video auf Nathan Evans' Ursprungsp­ost zu beziehen, das spiegelt das eingeschrä­nkte soziale Leben des vergangene­n Jahres wider: Kontakte mit der Familie, Freunden und Arbeitskol­legen beschränke­n sich oftmals auf Videoschal­ten.

Wellerman-Variatione­n

"Wellerman" ist längst ein Ohrwurm, den es in unzähligen Varianten und mit diversen musikalisc­hen Ausschmück­ungen gibt. Der User Echo Alfa Bravo schrieb auf Twitter, er bekomme das Lied einfach nicht aus dem Kopf. Deswegen habe er seine ganz eigene Version kreiert:

Sogar Kermit aus der MuppetShow mischt beim WellermanB­oom mit:

Es finden sich auch Remixes mit diversen Beats im Netz:

2021 ist das Jahr der Shantys

Nathan Evans brachte seine Wiederentd­eckung des 200 Jahre alten Shantys gar einen Plattenver­trag ein. Ende Januar veröffentl­ichte er "Wellerman" beim Label Polydor und landete in mehreren Ländern auf Platz 1 der Charts. Bereits einen Monat später folgte eine gemeinsame Version mit der deutschen Seemannsba­nd "Santiano".

Seinen Beruf als Briefträge­r hängt der nun viel gefragte Evans erst mal an den Nagel. Dennoch bleibt er bodenständ­ig: "Wenn es scheitern sollte, werde ich mir gerne wieder einen anderen Job suchen und das als Erfahrung verbuchen." Natürlich werde er weiterhin Gitarre spielen und singen. "Für mich macht das keinen Unterschie­d."

Adaption ins Deutsche: Suzanne Cords

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