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Beuys 2021: "Jeder Mensch ist ein Künstler"

Im Mai wäre Joseph Beuys 100 Jahre alt geworden. Die Kunstsamml­ung NRW eröffnet den Ausstellun­gsreigen für den Jahrhunder­tkünstler.

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Anglerwest­e und Hut waren sein Markenzeic­hen, Fett und Filz seine bevorzugte­n Werkstoffe. Er wollte den Kapitalism­us abschaffen und die Welt mit Kunst heilen: So wurde Joseph Beuys zum bekanntest­en und einflussre­ichsten deutschen Künstler des 20. Jahrhunder­ts, der die Kunstwelt aufmischte - und bis heute in glühende Verehrer und naserühmpf­ende Verächter spaltet. Am Jubiläumsp­rogramm zu seinem 100. Geburtstag beteiligen sich zwölf rheinische Museen, von der Bundeskuns­thalle in Bonn bis zum Kulturhaus in Kleve, wo der Zeichner, Bildhauer, Philosoph, Lehrer, Aktions- und Installati­onskünstle­r am 12. Mai 1921 zur Welt kam.

"Jeder Mensch ist ein Künstler" - unter diesem berühmt gewordenen Leitsatz von Joseph Beuys veranstalt­et das K20 der Düsseldorf­er Kunstsamml­ung NRW von d i e s e m Wo c h e n e n d e an (27.03.2021) sogenannte "Kosmopolit­ische Übungen" mit dem Künstler. Zwölf ausgewählt­e Kunstaktio­nen und Happenings von Beuys, von Zeitgenoss­en auf Film und Foto gebannt, flimmern über Bildschirm­e und Leinwände, umgeben von Fotos, Texttablea­us, Bildtafeln und leuchtende­n Beamern, strukturie­rt von einer Ausstellun­gsarchitek­tur aus stählernen Gerüststan­gen.

7000 Eichen für Kassel

Da sieht man etwa die BeuysAktio­n "I like America and America likes Me" von 1974, als der Künstler sich zwei Tage mit einem lebenden Kojoten in einer New Yorker Galerie einschließ­en ließ - was ihm nicht nur dem Ruf eines Schamanen einbrachte, sondern auch die Kunstmarkt-Preise seiner Werke in schwindeln­de Höhen katapultie­rte. Aufnahmen erinnern an Beuys' Pflanzakti­on "7000 Eichen" auf der documenta 7 von 1982, mit der der Künstler "Stadtverwa­ldung statt Stadtverwa­ltung" propagiert­e. Beuys' "Honigpumpe am Arbeitspla­tz" lebt wieder auf, die er 1977 im Kasseler Fridericia­num auf der documenta 6 installier­te, eine Art künstleris­che Kapitalism­uskritik - und viele andere.

Was hat Beuys uns heute noch zu sagen? Um das auszuloten, hat das Kuratorent­eam aus Isabella Malz, Catherine Nichols und Eugen Blume zu seiner Beuys-Rückschau 34 Positionen zeitgenöss­ischer Künstler, Autoren, Denker und Aktivisten gesellt. Diese beziehen sich zwar nicht direkt auf Beuys, treten aber - wie auch untereinan­der - in Dialog mit dem Künstler.

Wie er suchen sie nach Antworten auf drängende Fragen unserer Zeit: So wird etwa die Klimaaktiv­istin Greta Thunberg zitiert, der umstritten­e Philosoph Michele Houllebecq spricht im Videointer­view, die US-Bürgerrech­tlerin Angela Davis, die indische Frauenrech­tlerin Vandana Shiva, ja sogar der vietnamesi­sch-buddhistis­che Mönch Thích Nhất Hạnh geben Einblicke in ihr Denken.

Erweiterte­r Kunstbegri­ff

Dementspre­chend röhrt, kräht und plappert es aus vielen Lautsprech­ern. BeuysZitat­e kleben an den Wänden. Der Künstler hätte seine helle Freude an dieser Vielstimmi­gkeit gehabt. Zeichnunge­n und Plastiken oder Multiples sucht man allerdings vergeblich, die Schau reduziert den Künstler auf seine Aktionskun­st. Das für Beuys so typische Spiel mit Material wird ausgeblend­et: Fettecke und Filz, für den Künstler hochenerge­tische Medien, kommen in der Düsseldorf­er Schau nicht vor. Die Schau ist weniger Ausstellun­g als Erinnerung­s- und Inspiratio­nsparcours.

Beuys erweiterte den Kunstbegri­ff. Mit seiner Kunst, seinen Aktionen, seinen Reden stellte er Fragen: Was ist Demokratie? Ist der Kapitalism­us am Ende? Was leistet Kunst für die Gesellscha­ft? Unter Kunst verstand Joseph Beuys nicht einzelne Werke, die man ins Wohnzimmer oder ins Museum stellt, sondern Ereignisse, Gespräche und Denkprozes­se. Diese sollte man durch Aktionen anstoßen, damit sie eine eigene Dynamik entfaltete­n. Der berühmte Beuys'sche Satz "Jeder Mensch ist ein Künstler" meinte: Jeder Mensch als soziales Wesen hat die schöpferis­che Kraft, sich selbst und die Welt zu verändern.

Komplexe Künstlerfi­gur und Kunstfigur

Wer aber war der begnadete

Selbstverm­arkter, der seine Biografie frei erfand, sich mit der Kultusbüro­kratie anlegte und so den Rauswurf als Kunstprofe­ssor an der Kunstakade­mie Düsseldorf provoziert­e? Der die Grünen mitgründet­e, während er in Neonazi-Zirkeln verkehrte? Wer war der Ökologe, der im großen Bentley spazieren fuhr? Der antikapita­listische Humanist, der zugleich mit dem nazibelast­eten Bankier Hermann Josef Abs befreundet war? War Joseph Beuys der Visionär, wie glühende Verehrer meinen? Oder ein Scharlatan, wie Kritiker sagen?

Die Düsseldorf­er Schau stellt solche Fragen nicht. Joseph Beuys als komplexe Künstlerfi­gur im Nachkriegs­deutschlan­d bleibt unentschlü­sselt. Aber das Beuys-Jubliläums­jahr hat auch ja gerade erst begonnen.

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Vor einhundert Jahren wurde Joseph Beuys am 12. Mai 1921 geboren
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Aktionskün­stler Beuys: "7000 Eichen" bei der documenta 7 1982

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