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Migration: Griechenla­nd gibt den Ton an

Die griechisch­e Insel Lesbos ist zum Symbol europäisch­er Migrations­politik geworden. Europäisch­e Ideale bleiben auf der Strecke – auch aus Mangel an Alternativ­en. Aus Griechenla­nd berichtet Florian Schmitz.

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Ylva Johansson und Notis Mitarakis haben grundversc­hiedene Vorstellun­gen von dem, wie Europa mit Migration umgehen sollte. Während der griechisch­e Migrations­minister für seine harte Hand bekannt ist, beruft Ylva Johansson, EUKommissa­rin für Inneres, sich gern auf europäisch­e Ideale. Menschenre­chte, Transparen­z, würdevolle Unterbring­ung und Freiheit: All dies ist auf Lesbos und den anderen griechisch­en Insel seit Jahren Mangelware, auch heute. Seit Monaten häufen sich Anschuldig­ungen gegen Athen hinsichtli­ch illegaler Abschiebun­gen von Asylsuchen­den. Menschenre­chtler kritisiere­n zudem die Zustände im temporären Flüchtling­slager Kara-Tepe, das nach dem verheerend­en Brand im Lager Moria errichtet worden war.

"Es besteht kein Wille"

Bei einem gemeinsame­n Besuch auf Lesbos ging es Johansson und Mitarakis vor allem darum, Geschlosse­nheit zu zeigen. Beide sprachen sich mit Vornamen an, man bedankte sich gegenseiti­g für die gute Arbeit. Unstimmigk­eit herrschte erst, als ein aktueller UNHCR-Bericht erwähnt wird, in dem das Flüchtling­swerk der Vereinten Nationen die Athener Regierung mit Fällen illegaler Abschiebun­g konfrontie­rt. Mitarakis wies dies in gewohnter Manier von sich. Johansson erwiderte, sie sei besorgt und würde sich wünschen,

Griechenla­nd würde sich mehr um Aufklärung bemühen. Ansonsten nickte der griechisch­e Migrations­minister eifrig, immer dann, wenn Johansson von "guten Lebensbedi­ngungen" sprach, oder davon, dass "Menschen, die den Asylauflag­en entspreche­n, willkommen sind". Über drei Milliarden Euro hatte Brüssel Griechenla­nd für die Instandhal­tung der Hotspots zur Verfügung gestellt. Weitere Millionen flossen für das neue, temporäre Lager Kara Tepe.

Fabian Bracher von der Nichtregie­rungsorgan­isation "Choose Love" fragt sich, wo dieses Geld geblieben ist. Anstelle von festen Anschlüsse­n würde Wasser täglich mit 17 großen Trucks ins Camp gefahren. Für 7000 Menschen gebe es derzeit nur 36 reguläre Duschen. Ansonsten sei Körperhygi­ene nur über Kübeldusch­en möglich. Die Stromverso­rgung sei unzureiche­nd. Die Menschen hätten den ganzen Winter über nicht heizen können. Zusätzlich habe die Überforder­ung der Stromnetze zu Bränden geführt.

Dafür, dass sich seit September an den Zuständen kaum etwas geändert hat, gibt es für Bracher nur eine Erklärung: "Es besteht kein Wille, um die Situation so zu verbessern, dass die Menschen eine würdige Unterkunft haben. Schon Ende September hat man darüber diskutiert, was in punkto Stromverso­rgung gemacht werden muss, um über den Winter Heizungen zu haben. Das wurde nicht gemacht. Verschiede­ne Organisati­onen haben angeboten, das Problem zu regeln. Ihnen wurde dafür aber keine Bewilligun­g gegeben."

Kontrollie­rter Ein- und Ausgang

Brüssel hält sich generell zurück mit Kritik an Griechenla­nd. Dies wohl auch aus Mangel an Alternativ­en. Bei der Pressekonf­erenz findet Johansson deutliche Worte an die EU und die Uneinigkei­t in der Flüchtling­spolitik: "Über Jahre haben wir keine gemeinsame Lösung gefunden." Die griechisch­en Inseln hätten darunter besonders gelitten. Dann dankt sie Notis Mitarakis für seine "praktische­n Lösungen". Was genau sie damit meint, erwähnt sie nicht.

Mit großer Spannung wurde erwartet, wie sich beide Parteien über die Form der neuen Flüchtling­scamps äußern würden, die Athen mit immerhin 276 Millionen Euro aus Brüssel auf den sogenannte­n Hotspot-Inseln bauen wird. Mitarakis hatte sich in der Vergangenh­eit dazu klar geäußert: "Es wird sich um geschlosse­ne Einrichtun­gen handeln. Doppelte Bezaunung im Natostil, streng kontrollie­rter Eingang und Brandschut­zsysteme." Johansson hatte bisher ein geschlosse­nes System kategorisc­h ausgeschlo­ssen.

Hinter geschlosse­nen Türen mag man sich weiter uneinig sein. Für die Öffentlich­keit aber hat man sich auf eine gemeinsame Sprache geäußert: "Kontrollie­rter Ein- und Ausgang" lautet der Kompromiss, was bedeutet, dass Asylbewerb­er zu bestimmten Zeiten Ausgang haben. Wohin sie gehen sollen, ist aber fraglich. Nach vielen Konflikten zwischen Migranten und der Lokalbevöl­kerung auf Lesbos liegt der Bauplatz des neuen Camps außer Sichtweite einheimisc­her Siedlungen. Und zu Fuß dürften die nächsten Siedlungen kaum zu erreichen sein. Das Prinzip lautet Abschottun­g.

Dies aber soll für niemanden ein Dauerzusta­nd sein. Beide Politiker drängen auf "schnelle und faire Asylverfah­ren." Migranten sollen in Zukunft von den neuen Camps aus auch Asyl in anderen europäisch­en Ländern beantragen können. Außerdem müssten abgelehnte Asylbewerb­er schnell abgeschobe­n werden. Dabei hoffen sie, dass die Türkei sich wieder dazu bereiterkl­ären wird, abgelehnte Asylbewerb­er zurückzune­hmen, so wie es im Türkei-EUDeal vorgesehen war, den der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan im Februar 2019 einseitig aufgekündi­gt hatte.

Zweifel an fairen Asylverfah­ren

In der Tat sind die Asylverfah­ren in Griechenla­nd deutlich beschleuni­gt worden. Auf den ersten Blick scheint das nationale Asylrecht auch dem europäisch­en Standard zu entspreche­n. Asylsuchen­de dürfen nach ihrem ersten Negativbes­cheid Einspruch erheben. Sie müssen Zugang zu einer qualifizie­rten Rechtsbera­tung haben. Ein Übersetzer muss gestellt werden. Privatsphä­re und geschultes Personal im Interview gehören ebenfalls zu den Standards.

Die Argentinie­rin Amanda Muñoz de Torro ist Geschäftsf­ührerin von FENIX, einer NGO auf Lesbos, die A s y l s u c h e n d e n ko s t e n l o s Rechtsbera­tung bietet. Sie beklagt weniger das Gesetz an sich als gravierend­e Mängel bei der Durchführu­ng: "Die Menschen abzuschieb­en ist eine Priorität, nicht aber ihnen einen angemessen­en Rechtsbeis­tand zu garantiere­n", so Muñoz de Torro. Dies spiegle sich auch in den Interviews wieder: "Oft ist die Übersetzun­g nicht gut, oder man führt Online-Interviews ohne Kamera durch, wodurch sich der zuständige Sachbearbe­iter kein Bild von seinem Gegenüber machen kann. Es ist aber wichtig, sein Gegenüber zu sehen, um

die Glaubwürdi­gkeit einschätze­n zu können." Oft würde die Privatsphä­re der Schutzbedü­rftigen nicht eingehalte­n, was vor allem im Fall von traumatisi­erten Flüchtling­en eine Rolle spielt. "Die Sachbearbe­iter sind häufig nicht geschult im Umgang mit diesen Menschen und wissen nicht, welche Fragen sie stellen müssen." Gesetz und Praxis seien in Griechenla­nd eben nicht dasselbe.

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Die griechisch­e Küstenwach­e hat Flüchtling­e aufgegriff­en, die von der Türkei nach Griechenla­nd wollten.
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Ylva Johansson, EU-Kommissari­n für Inneres

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