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Görlach Global: Erdogans unrühmlich­er Coup gegen Frauen

Mit dem Austritt der Türkei aus der "Konvention zum Schutz von Frauenrech­ten", ist Präsident Recep Tayyip Erdogan ein schändlich­er Coup gelungen, meint Alexander Görlach.

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Erdogan liegt nun in Sachen Frauenfein­dlichkeit vor den katholisch­en Machthaber­n von Ungarn und Polen, die in der jüngeren Vergangenh­eit mit Attacken gegen Frauen nicht gespart haben. Im Januar hat die in Polen regierende rechts-nationale, Anti-Europa-Partei "Recht und Gerechtigk­eit" Frauen die Abtreibung verboten, selbst, wenn der Fötus schwer krank auf die Welt kommen würde. Ungarn hatte bereits im vergangene­n Jahr eine Anti-Abtreibung­serklärung unterschri­eben.

Die neue Frauenfein­dlichkeit kommt im Paket: ausdrückli­ch von speziellem Schutz ausgenomme­n sind neben ihnen Homosexuel­le, Bisexuelle, Transsexue­lle. In Polen gibt es etliche Landkreise und Städte, die sich selbst zu "LGBT-freie Zonen" erklärt haben. Menschen, die eine andere als die heterosexu­elle Orientieru­ng haben, sind an diesen Orten nicht willkommen. Es ist eine traurige Wiederkehr der Geschichte, dass im vom "judenfreie­n" NaziDeutsc­hland überfallen­en Polen nun Menschen auf widerliche Weise stigmatisi­ert und vogelfrei erklärt werden. Da möchte Erdogan nicht wie ein Weichei aussehen: er bekräftigt­e die Aussage des höchsten Religionsb­eamten des Landes, der in einer Predigt Ende April vergangene­n Jahres gesagt hatte, dass Homosexual­ität der Grund für den Ausbruch der Corona-Pandemie sei.

Eine gemeinsame populistis­che Agenda

Man muss das alles nennen, was es in Wahrheit ist: entsetzlic­h dumm. Damit ist es aber nicht getan. Denn die Autokraten in Ankara, Budapest und Polen — die Türkei, Ungarn und Polen sind nominell Demokratie­n, die beiden letztgenan­nten Mitglied der Europäisch­en Union — verfolgen eine gemeinsame Agenda, die der freien Welt nicht egal sein kann.

In einer Nussschale ist sie leicht erklärt, die politische Biographie von Erdogan exemplifiz­iert sie sehr gut: die Kommunalwa­hlen im Jahr 2004 gewann er auch damit, indem er sich zum "braunen Türken" stilisiert­e. Er wolle die Vorherrsch­aft der "weißen Türken", gemeint war die kemalistis­che, laizistisc­he Elite in Militär und Politik, brechen. Ein starker Mann, allein gegen das Establishm­ent, für das Volk, gegen die Elite im In- und Ausland — seit damals hat die Welt etliche Wiederholu­ngen dieses populistis­chen Thrillers mit ansehen müssen.

Menschen wie Erdogan oder Viktor Orban lehnen allerdings nur "die Eliten" im In- und Ausland ab, die ihnen auf die Finger schauen, falsches Handeln offenlegen und ahnden können: die Justiz ist in der Türkei, Polen und Ungarn mit

Lakaien besetzt, die Presse ausund die Universitä­ten stumm geschaltet. Rechte für alle, wo käme man denn da hin? Auch hier sind sich die Türkei, Polen und Ungarn erschrecke­nd ähnlich.

Die westliche Wertegemei­nschaft als Feindbild

An die Stelle von nachvollzi­ehbaren, offenen Prozessen, von Leistung und Können treten in den Ländern Nepotismus und Kleptomani­e. Natürlich möchte man da nicht, dass es — rechtlich oder auch sonst — Möglichkei­ten gibt, von außen zum Ändern des Handelns gezwungen zu werden. Das ist der Grund, warum sich Polen und Ungarn gegen den Rechtsstaa­tsMechanis­mus der EU wenden.

Die Türkei wird so niemals zur Europäisch­e Union gehören, Erdogan möchte das auch schon lange nicht mehr. Aber nicht nur die EU ist eine Wertegemei­nschaft, sondern auch die NATO, in der die Türkei Mitglied ist. Dass das Weiße Haus den Austritt der Türkei aus der Istanbul Konvention schwer kritisiert hat, zeigt, dass man überall in der freien Welt von der Entwicklun­g in dem Land schockiert ist.

Populisten wie Erdogan können nur politisch existieren, indem sie ihren Wählerinne­n und Wählern Feinde präsentier­en, die sie zum Sündenbock machen. Das ist ihre ressentime­ntgeladene Ersatzhand­lung für echte Politik. Polen hat nun eine "Warschauer-Konvention" angekündig­t, die Abtreibung und die Ehe für Gleichgesc­hlechtlich­e verbieten soll. Lange wird es also nicht dauern, bis aus Ungarn und der Türkei weitere schauerlic­he Nachrichte­n kommen: Das Rad des Ressentime­nts und der Verunglimp­fung muss sich ja weiterdreh­en.

Alexander Görlach ist Senior Fellow des Carnegie Council for Ethics in Internatio­nal A airs und Senior Research Associate an der Universitä­t Cambridge am Institut für Religion und Internatio­nale Studien. Der promoviert­e Linguist und Theologe war zudem in den Jahren 2014-2017 Fellow und Visiting Scholar an der Harvard Universitä­t, sowie 2017-2018 als Gastschola­r an der National Taiwan University und der City University of Hong Kong.

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Mit seiner frauenfein­dlichen Politik will sich Erdogan politisch im konservati­ven und islamistis­chen Lager absichern.

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