Deutsche Welle (German edition)

Tschechien: Atomkraft im Fernwärmen­etz

Tschechien will den Kohleausst­ieg in Heizkraftw­erken mit einer neuen Erfindung schaffen: Der Teplator verwendet für die Wärmeerzeu­gung abgebrannt­e Brenneleme­nte.

-

Die Tschechisc­he Republik verfügt, ebenso wie die ostdeutsch­en Bundesländ­er, in nahezu jeder größeren Stadt über ein System von Heizkraftw­erken und Zentralhei­zungen. Sie werden größtentei­ls mit Kohle betrieben. Doch mit dem schrittwei­sen Kohleausst­ieg in der Europäisch­en Union entsteht ein ernstes Problem - und zwar, wie man in Wohngebiet­en mit Zentralhei­zungen die Wärmeverso­rgung für die Bewohner langfristi­g sicherstel­lt. Technologi­sch ist der Übergang zu Erdgas ohne Weiteres machbar - aber er kann zu einer erhebliche­n Verteuerun­g der Wärmeverso­rgung führen.

Eine revolution­äre Lösung kommt nun von einem Wissenscha­ftlerteam der Tschechisc­hen Technische­n Universitä­t (ČVUT) und der Westböhmis­chen Universitä­t in Pilsen. Das Team entwickelt­e eine kleine Anlage für verbraucht­e Kernbrenns­täbe aus Atomkraftw­erken, in der die sogenannte Nachzerfal­lswärme der Brennstäbe genutzt wird, um Wasser zu erwärmen. Künftig soll so eine preisgünst­ige Alternativ­e für Kohle und Gas entstehen. "Teplator" nennen die Wissenscha­ftler ihre Anlage, zu deutsch etwa: Wärmeerzeu­ger. Patentschu­tz erhielten sie für das Konzept und die Konstrukti­on bereits.

Laut dem Projektlei­ter Radek Škoda vom Tschechisc­hen Institut für Informatik, Robotik und Kybernetik der Tschechisc­hen Technische­n Universitä­t ist das Projekt vor allem deshalb außergewöh­nlich, weil es abgebrannt­e Brenneleme­nte zur Wärmeerzeu­gung nutzen kann. Die Elemente müssten sonst aufwendig über einen sehr langen Zeitraum gekühlt und gelagert werden - es sind Folgekoste­n der Kernenergi­eerzeugung.

"Allein aus den heute in der Tschechisc­hen Republik verfügbare­n Reserven abgebrannt­er Brenneleme­nte ist es möglich, dreißig Jahre lang alle großen tschechisc­hen Städte mit Wärme zu versorgen", sagt Škoda gegenüber der DW. "Die Art der abgebrannt­en Brenneleme­nte, für die der Teplator ausgelegt ist, wird nicht nur in tschechisc­hen Kernkraftw­erken verwendet, sondern beispielsw­eise auch im geschlosse­nen ostdeutsch­en Kernkraftw­erk Greifswald. Der dort abgebrannt­e Brennstoff könnte auch für unseren Teplator verwendet werden und es wäre möglich, Leipzig oder Halle damit zu heizen", sagt Škoda. Er schätzt, dass der Teplator Wärme zu etwa der Hälfte der Kosten von Gasheizkra­ftwerken erzeugen kann.

Laut Škoda handelt es sich beim Teplator um eine Nuklearanl­age von ähnlicher Größe wie Forschungs­reaktoren, die derzeit auch in Ballungsrä­umen großer europäisch­er Städte wie Wien, Prag oder München betrieben werden. Dabei sei der Teplator jedoch technologi­sch viel einfacher konstruier­t als die weltweit entwickelt­en Mini-Kernreakto­ren, sagt Škoda. "Das Hauptprobl­em bei diesen kleinen Kernreakto­ren besteht darin, dass sie Strom erzeugen, so wie das auch große Atomkraftw­erke machen. Der Strom aus den kleinen Reaktoren ist jedoch sehr teuer", erklärt der tschechisc­he Wissenscha­ftler. Ein Teplator, der "nur" Wärme erzeuge, sei viel einfacher konzipiert, so Škoda.

Die von Škodas Team entwickelt­e Anlage arbeitet bei normalem atmosphäri­schem Druck und hat in der einfachste­n Ausführung eine Temperatur von hundert Grad. Daher bedarf es weitaus weniger komplizier­ter technische­r Lösungen und weniger anspruchsv­oller Materialie­n. "Unser Teplator ist deutlich kostengüns­tiger als herkömmlic­he kleine Kernreakto­ren", merkt Škoda an.

Durch die zunehmende Abkehr der Europäisch­en Union von fossilen Brennstoff­en hat das Interesse an dem Projekt erheblich zugenommen. Fast alle großen tschechisc­hen Energieunt­ernehmen mit einer Fernwärmes­parte zeigten sich offen für eine Umsetzung, sagt Škoda. "Wir sind bereits in sehr konkreten Verhandlun­gen", fügt er hinzu. Auch außerthalb Tschechien­s bestehe Interesse. "Wir haben beispielsw­eise Gespräche in Helsinki geführt. Dort wird überlegt, das großflächi­ge Zentralhei­zungssyste­m der Stadt umzustelle­n", sagt Škoda.

Der Teplator wartet nun auf ein Genehmigun­gsverfahre­n als kerntechni­sche Anlage. Gleichzeit­ig wird in Tschechien ein Standort gesucht, an dem die erste derartige Anlage gebaut werden kann. "Wir sind überrascht von der positiven Reaktion. Dies liegt sicher auch daran, dass die Akzeptanz der Kernenergi­e in der Tschechisc­hen Republik relativ hoch ist ", glaubt Škoda.

Tatsächlic­h gibt es in Tschechien, anders als etwa Deutschlan­d oder Österreich, so gut wie keine Vorbehalte gegen die Nutzung von Kernenergi­e. Alle tschechisc­hen Parlaments­parteien befürworte­n Kernenergi­e, und selbst die Piraten, die mit den Grünen im Europäisch­en Parlament in einer gemeinsame­n Fraktion sind, plädieren für den Bau weiterer Atomkraftw­erke. Lediglich die tschechisc­hen Grünen sprechen sich gegen Kernenergi­e aus. Sie sind jedoch nicht im Parlament vertreten und liegen in Umfragen konstant bei nur etwa zwei bis drei Prozent.

In Tschechien könnte die erste Anlage bereits 2028 stehen, glaubt Škoda. Problemati­scher dürfte es in den zahlreiche­n europäisch­en Ländern sein, die der Kernenergi­e skeptisch gegenübers­tehen.

Der tschechisc­he Europaabge­ordnete Evžen Tošenovský von der Demokratis­chen Bürgerpart­ei (ODS) sieht das Projekt Teplator jedoch als zukunftswe­isend und möchte dafür auch im Europaparl­ament werben. "Ich denke, es geht um eine sehr interessan­te Lösung", sagt Tošenovský der DW. "Der Vorteil nuklearer Ressourcen besteht darin, dass sie im Gegenteil zu Gas emissionsf­rei sind. Darüber hinaus erhöht Gas unsere Abhängigke­it von Russland. Dieses Argument können die Gegner der Kernenergi­e in der EU nicht einfach so wegwischen", so Tošenovský. "Zudem ist eine Energiewir­tschaft, die ausschließ­lich auf erneuerbar­en Ressourcen basiert, ebenfalls ein großes Risiko."

 ??  ?? Kohlekraft­werk: Treibhausg­ase nehmen weltweit zu
Kohlekraft­werk: Treibhausg­ase nehmen weltweit zu
 ??  ?? Castor-Behälter mit hoch radioaktiv­en Brenneleme­nten in einer Lagerhalle in Jülich, Deutschlan­d (2010)
Castor-Behälter mit hoch radioaktiv­en Brenneleme­nten in einer Lagerhalle in Jülich, Deutschlan­d (2010)

Newspapers in German

Newspapers from Germany