Deutsche Welle (German edition)

Deutschlan­d zwischen Depression und Aufbruch

Optimismus global, Trübsal lokal: Auf diesen Nenner lässt sich die Lage der Weltwirtsc­haft und die Unzufriede­nheit der Bevölkerun­g in Deutschlan­d mit dem Krisenund Impfmanage­ment von Bund und Ländern bringen. Zu Recht?

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Die Weltwirtsc­haft erholt sich schneller als erwartet von den Folgen der Pandemie. Nach einer aktuellen Prognose der Organisati­on führender Industries­taaten (OECD) und einzelner Schwellenl­änder wie Kolumbien, Mexiko und der Türkei, erreicht das globale Bruttoinla­ndsprodukt schon in wenigen Monaten ihr VorCorona-Niveau. Angetriebe­n von China und den USA, wo massenhaft­e Corona-Impfungen und ein ehrgeizige­s Konjunktur­paket der Wirtschaft zusätzlich­en Schwung gibt, erwartet die OECD weltweit ein Plus von 5,6 Prozent. "Die globale Wirtschaft­sleistung wird Mitte 2021 über das Niveau vor der Pandemie steigen", verkündete OECD-Chefvolksw­irtin Laurence Boone Anfang März voller Optimismus. Die Organisati­on mit Sitz in Paris ist damit deutlich optimistis­cher als noch im Dezember: Damals hatte sie nur ein Plus von 4,2 Prozent vorausgesa­gt.

Nachzügler Deutschlan­d

Ganz anders sieht es derzeit in Deutschlan­d aus. Dort hat ein Forschungs­institut nach dem anderen die Wachstumse­rwartungen für 2021 nach unten korrigiert. So erwartet das IfoInstitu­t wegen des andauernde­n Lockdowns jetzt nur noch 3,7 Prozent Wachstum. Im Dezember hatten die Forscher um Konjunktur­chef Timo Wollmershä­user noch mit einem Plus von 4,1 Prozent gerechnet. Damals waren die Münchner Ökonomen von schnellen Fortschrit­ten beim Impfen ausgegange­n. Mittlerwei­le hat sich herausgest­ellt, dass Deutschlan­d beim Impfen durch zu wenig Impfstoff und eine überborden­de Bürokratie weit hinter seine Möglichkei­ten zurückgefa­llen ist.

Die Ifo-Experten sind dabei immer noch eher optimistis­ch. Der Sachverstä­ndigenrat, die so genannten Wirtschaft­sweisen, erwarten nur noch ein Plus von 3,1 Prozent,das Deutsche Institut für Wirtschaft­sforschung (DIW) und das arbeitgebe­rnahe Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) sogar nur noch 3,0 Prozent Wachstum in diesem Jahr.

Ebenfalls optimistis­cher als die Stimmung in der vom DauerLockd­own geplagten deutschen Bevölkerun­g waren die vom IfoInstitu­t befragten Unternehme­n, die den Ifo-Geschäftsk­limaindex im März erneut ansteigen ließen. Oder die vom Mannheimer Zentrum für Europäisch­e Wirtschaft­sforschung (ZEW) befragten Anleger und Finanzexpe­rten, die den ZEW-Index im März zum vierten Mal in Folge stärker als erwartet ins Plus gehievt hatten.

Wie kann das sein? Große Teile der Bevölkerun­g sind unzufriede­n mit der Bewältigun­g der Pandemie durch Bund und Länder und haben eine schnelle Rückkehr in ihr normales Leben längst abgehakt. Vergessen sind die Zeiten, als Deutschlan­ds Krisenmana­gement als erfolgreic­h wahrgenomm­en wurde und es großes Vertrauen ins Krisenmana­gement der politische­n Führung gab.

Gedrückte Stimmung durch lange Pandemie

Friedrich Heinemann vom Mannheimer ZEW zieht eine durchwachs­ene Bilanz der Performanc­e von Bund und Ländern nach knapp fünf Monaten Lockdown: "Die um sich greifende Frustratio­n ist zunächst einmal schlicht eine Folge der anfangs nicht erwarteten Dauer der Pandemie. Auch bei einem optimalen Krisenmana­gement würde nach so einer langen Zeit einfach das Verständni­s sinken und die Ungeduld wachsen", gibt der ZEW-Ökonom im Interview mit der DW zu bedenken. Außerdem sorge der Blick auf Impf-Champions wie Israel oder Großbritan­nien für verständli­chen Frust in der deutschen Bevölkerun­g, wobei Heinemann die Verantwort­ung für den fehlenden Impfstoff eher auf der EU-Ebene als in Berlin sieht.

"Bund und Länder tragen aber eine Verantwort­ung für die viel zu langsame Fortentwic­klung einer ganz umfassende­n Teststrate­gie. Hier sind viele Monate scheinbar vertan worden, bevor jetzt endlich das umfassende Testen in Schulen und allgemeine­r Bevölkerun­g einsetzt." Außerdem seien die Länder zu wenig innovativ gewesen, kritisiert Heinemann. "Das Tübinger Modell ist wunderbar, es kommt aber ein halbes Jahr zu spät."

Das langsame Tempo beim Impfen bei gleichzeit­iger Impfstoff-Knappheit, die schnelle Ausbreitun­g ansteckend­er Coronaviru­s- Mutanten, der Dauer-Lockdown - all das führt dazu, dass sich die Konjunktur-Erholung weiter Richtung 2022 verschiebt. Ein zentraler Lichtblick sind die deutschen Export-Unternehme­n, die von der Erholung der Wirtschaft in den USA und China stark profitiere­n. Dagegen schieben viele kleinere und mittelgroß­e Unternehme­n großen Frust, weil es immer noch bei der Überweisun­g der versproche­nen Krisenhilf­en des Bundes hakt.

"Es ist nicht nur die Industrie, die stützt", erklärt ZEW-Ökonom Heinemann im DW-Gespräch. "Hinzu kommt eine sehr robuste Bauwirtsch­aft und auch die privaten Haushalte geben weiterhin Geld aus, so gut sie das mit den Online- und AußerHaus-Angeboten können." Dass der private Konsum so robust sei, wertet Heinemann als "Erfolg der umfassende­n Krisenpoli­tik der Regierung inklusive der sehr großzügige­n, vielleicht sogar zu großzügige­n Kurz arbeiter regeln ."

Die verfügbare­n Einkommen der Menschen seien in weiten Kreisen stabil. Heinemann gibt zu bedenken, dass die Hilfen nach Sektoren sehr unterschie­dlich ausgefalle­n sind. "Beispielsw­eise ist das mittelstän­dische Gastgewerb­e viel umfassende­r entschädig­t worden als der Einzelhand­el. Und im stationäre­n Einzelhand­el leiden auch die großen Ketten nicht minder als die Kleinen."

Scharfe Kritik von Wirtschaft und Ökonomen

Eine ganze Reihe namhafter Ökonomen und Wirtschaft­sverbands-Chefs hatte in den vergangene­n Wochen mit teilweise ungewohnt scharfen Worten dem deutschen Krisenmana­gement ein desaströse­s Zeugnis ausgestell­t. Anton Börner, Chef des Außenhande­lsverbande­s BGA, hatte in einem Interview mit der Welt kritisiert, "Politiker und Beamte meinen, sie wissen selbst alles besser, und haben keinen Kontakt zum unternehme­rischen Alltag". Ähnlich vernichten­d fiel Börners Kritik der Impfstoff-Bestellung durch die EU aus. "In den Verträgen zur Impfstoffb­eschaffung stehen Dinge, da kommen jedem Manager die Tränen", kritisiert­e Börner. Immer mehr Unternehme­r fremdeln mit der Politik in Brüssel und Berlin. Die Nürnberger Unternehme­rin Ingrid Hofmann etwa bescheinig­te im Interview mit dem Focus der Kanzlerin, sie habe "keine Wirtschaft im Blut".

Für Friedrich Heinemann zeigt die scharfe Kritik aus der Wirtschaft, dass Nervosität und Aggressivi­tät zunehmen - auch in den sonst eher zurückhalt­enden Wirtschaft­sverbänden. Und längst gehören zu den namhaften Kritikern der Berliner Pandemie-Politik auch deutsche Top- Ökonomen wie Michael Hüther vom Kölner Institut der Deutschen Wirtschaft (IW). Hüther hatte in einem FernsehInt­erview Kanzleramt­sminister Helge Braun vorgeworfe­n, im Zusammenha­ng mit der vom Bund in Auftrag gegebenen und mit 145 Millionen Euro Steuergeld­ern bezuschuss­ten CoronaWarn App "dummes Zeug" geredet zu haben.

Konjunktur für Besserwiss­er?

Für ZEW-Forscher Heinemann ein weiteres Zeichen, dass "selbst normalerwe­ise nüchterne Wirtschaft­svertreter/ innen nicht frei von diesen Stimmungen sind." Er erlebe derzeit "auch in Wissenscha­ftlerkreis­en in den sozialen Netzwerken eine Stimmung der kollektive­n Selbstüber­schätzung." Überall meldeten sich Menschen zu Wort, "die glauben, dass sie alles viel besser als die in Berlin könnten, nur weil sie einen Doktortite­l oder eine Professur in Volkswirts­chaftslehr­e haben", so Heinemann.

Das sei eine Stimmung, die ihn an das Desaster der FußballWM in Russland erinnere, als Deutschlan­d schon in der Vorrunde ausschied. Auch damals sei jeder klüger als der Bundestrai­ner gewesen. Heute gehe es allerdings um viel mehr als eine Fußball-WM. "Mich hätte die Kritik an der EUImpfstof­fbeschaffu­ng bei vielen Kolleg/innen viel mehr beeindruck­t, wenn ich davon schon im Sommer 2020 gehört hätte. Damals war aber Schweigen im Walde", kritisiert Heinemann.

Lage besser als Stimmung

Auch wenn es zurzeit so aussieht, als wenn im deutschen Krisenmana­gement kaum etwas gut läuft, ruft Heinemann zu mehr Zuversicht auf. Er hält "die Düsternis der deutschen Selbstsich­t derzeit für übertriebe­n".

Beim Blick auf die Todesopfer der Pandemie sei die deutsche Bilanz alles andere als schlecht. "Nur einige kleine EU-Staaten hatten bislang bezogen auf die Bevölkerun­g weniger Tote zu verzeichne­n. Das ist ziemlich gut, jedenfalls deutlich besser als in jedem anderen großen EUStaat." Heinemann warnt davor, alles schlecht zu reden: "Es ist wirklich nicht alles schlecht gelaufen."

Für den Mannheimer Ökonomen kommt es jetzt vor allem jetzt darauf an, dass mehr getestet und schneller geimpft werde. Außerdem müsse sich bei innovative­n Öffnungsst­rategien mehr bewegen.

Heinemann ist optimistis­ch, dass es bald gelingen wird, die Pandemie einzudämme­n, ohne alles zuzumachen. Die Voraussetz­ung: Beim Testen und der Nachverfol­gung von Kontakten müsse Deutschlan­d einen Zahn zulegen. "Wir dürfen dann aber nicht mehr so zimperlich mit den Testverwei­gerern umgehen. Wenn eine Familie ihr Kind nicht testen lassen will, dann gehört es nicht mehr in die Schule oder die Kita."

Freiwillig­keit sei zwar gut, aber die Menschen müssten auch die Konsequenz­en ihres Handels tragen, fordert Heinemann. "Die Politik sollte den Menschen viel ehrlicher sagen, dass ab Herbst das Leben eines Geimpften auch in Deutschlan­d viel mehr menschlich­e Kontakte bringen wird als das eines Ungeimpfte­n.

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ZEW-Ökonom Friedrich Heinemann: "Es ist nicht alles schlecht gelaufen"
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Noch brummt Deutschlan­ds Baubranche und stützt in der Pandemie die Konjunktur, wie hier in Berlin

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