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Corona, Katastrophenschutz und der Neustart eines vergessenen Amts
Corona kam überraschend? Nicht für das BBK. Aber die Fähigkeiten der Katastrophen-Experten wurden kaum abgefragt. Das soll sich ändern. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe stellt sich neu auf.
Totgesagte leben länger. Speziell, wenn ihr Geschäft das Überleben ist. Das gilt zumindest für die Bundesbehörde mit dem sperrigen Namen "Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe", kurz BBK. Über 50 Jahre ist das
Amt alt, geschaffen in der Zeit des Kalten Krieges. Anfang 2001 wurde es schon mal aufgelöst. Nur um 2004 als BBK wieder aufzuerstehen - und anschließend lange in Vergessenheit zu geraten. Untergangsszenarien hatten keine
Konjunktur. Aber das BBK ist ein Amt, das routinemäßig mit dem Schlimmsten rechnet, das Katastrophen an die Wand malt, das apokalyptische Szenarien durchspielt.Um vorbereitet zu sein.
Sogar eine Pandemie hatte man schon durchgespielt, 2007 in einer großen Übung. Und bereits 2012 hatten die Experten des BBK in Zusammenarbeit mit dem Robert-Koch-Institut eine umfassende Risikoanalyse erstellt, die sich wie die Blaupause zur Corona-Pandemie liest: Das Szenario beschreibt eine von Asien ausgehende, weltweite Verbreitung eines neuen Virus.
Deutschland wird von drei Infektionswellen mit dem fiktiven "Modi-SARS-Virus" geschüttelt. Unter anderem werden Engpässe für die Versorgung mit Arzneimitteln, Schutzausrüstung und Desinfek
tionsmitteln vorausgesagt – zutreffend, wie sich im Frühjahr 2020 zeigte. Aber da waren die Warnungen verhallt, die aufwendig erstellte Studie in Schubladen verschwunden. wie die Kanzlerin die CoronaKrise nannte. Aber das Amt hat kaum Kompetenzen. Weshalb die Frage auftauchte: Was machen denn eigentlich die rund 400 Mitarbeiter des BBK? Wozu genau werden die 18 Helikopter gebraucht? Die Rede vom "vergessenen Amt" machte die Runde.
Bevölkerung zu verankern, als die Krisenmanagement-Behörde zum Anfassen".
Immerhin neun Millionen Deutsche tragen das BBK schon in ihrer Hosentasche: Sie haben die Warn-App "NINA" heruntergeladen. Die warnt nicht nur vor Hochwasser oder Unwettern, sondern bringt auch Informationen zum Infektionsgeschehen und die lokal aktuell geltenden Corona-Regeln aufs Handy. Die Grünen-Abgeordete Irene Mihalic sieht im Ausbau der Warn-App den größten Beitrag des BBK zur PandemieBekämpfung. In einem schriftlichen Statement auf Anfrage der DW bedauert sie zugleich, dass die Fähigkeiten des BBK in der Pandemie "kaum genutzt wurden". "Ich hätte mir gewünscht, dass das BBK mehr Verantwortung hätte übernehmen dürfen", schreibt die Grünen-Innenpolitikerin. tet auf den unterschiedlichen Ebenen und in verschiedensten Behörden nebeneinander her. Das BBK will sie an einen Tisch bringen. Am BBK-Sitz in Bonn gibt es bereits ein gut ausgestattetes Lagezentrum. Das könnte die Keimzelle bilden für das geplante Kompetenzzentrum. Von dem sich Schuster auch verspricht, "dass wir bei der Umsetzung von Maßnahmen vom Bund über die Länder bis zu den Kommunen ein konzertierteres Vorgehen erzeugen können".
Grünen- Innenexpertin Mihalic unterstützt zwar grundsätzlich die Initiative Schusters, beklagt aber den weiterhin "engen Zuständigkeitsrahmen". Sie fordert, der Bund müsse auch formal Verantwortung für den Katastrop h e n s c h u tz ü b e r n e h m e n . "Genau eine solche Konstruktion kennen wir übrigens vom Bundeskriminalamt im polizeilichen Bereich", erklärt Mihalic.
Chef nicht gehen - jedenfalls nicht ohne eine Grundgesetzänderung, die dem Bund mehr Kompetenzen in der Katastrophenhilfe gibt. Einstweilen setzt Schuster auf guten Willen. Das BBK wolle Netzwerkmotor, Impulsgeber, Koordinator sein, sagt er bei der Vorstellung seiner Pläne. Ein Grundsatz sei: "In der Krise Köpfe kennen".
Im Übrigen sei für ihn der Kern des Problems gar nicht so sehr die Rechtslage. Der liege "eher in der Frage: Ist das BBK mit seiner Kompetenz hinreichend bekannt und hat es ausreichend Akzeptanz?" Denn schon jetzt darf das BBK auch im Katastrophenfall tätig werden. Allerdings nur, wenn es von den Ländern oder anderen Ministerien angefordert wird im Rahmen der Amtshilfe. "All das, was wir für den Spannungs- und Verteidigungsfall durchdenken und vorbereiten, ist natürlich zu einem ganz hohen Maß auch für einen Waldbrand, für eine Naturkatastrophe oder für eine Pandemie anwendbar. Es wäre also Unsinn, dieses Know-How nicht zu nutzen", erklärt Schuster.
Immerhin das Gesundheitsministerium hat inzwischen Amtshilfe durch das BBK angefordert: Gemeinsam arbeitet man am Aufbau einer nationalen Reserve Gesundheitsschutz. Die hätte man zwar auch schon nach den Warnungen aus der Risikoanalyse 2012 anlegen können. Aber besser spät als nie.
Diese Einschätzung passt zu den Ergebnissen einer im Dezember veröffentlichten Studie des Soziologen Oliver Nachtwey von der Uni Basel. Er und sein Team haben mehr als 1100 "Querdenker" zu ihren Motiven und Einstellungen befragt. Demnach hat fast die Hälfte vor dem Corona-Protest noch nie an einer Demonstration teilgenommen. "Sozialstrukturell handelt es sich um eine relativ alte und relativ akademische Bewegung", lautet ein Befund. Weniger als zehn Prozent sind jünger als 30, der Altersdurchschnitt liegt fast bei 50.
Fast zwei Drittel der Befragten haben mindestens das Abitur, mehr als die Hälfte von ihnen hat ein Studium beendet und 67 Prozent zählen sich selbst zur Mittelschicht. Bei der Bundestagswahl 2017 haben 23 Prozent die Grünen gewählt, 18 Prozent die Linken und 15 Prozent die rechte Alternative für Deutschland (AfD). Das war allerdings lange vor Corona. Bei der nächsten Bundestagswahl darf die AfD im "Querdenken"Milieu fast mit einer Verdopplung der Stimmen rechnen: 27 Prozent. Während die Grünen auf dem Niveau der Konservativen (CDU/CSU) landen: ein Prozent.
Die weitaus meisten, nämlich 61 Prozent, wollen im September unbekannte Splitterparteien wählen, darunter die erst im Juli 2020 gegründete Basisdemokratische Partei Deutschlands. Auf ihrer Homepage stehen Sätze wie: "Wer behauptet, in unserem Land herrsche Freiheit, der lügt. Denn Freiheit herrscht nicht." Diese Wahrnehmung spiegelt sich in der "Querdenker"-Studie wider: Dort stimmen fast 80 Prozent der Aussage zu, man könne nicht mehr seine Meinung sagen, ohne Ärger zu bekommen. Rund 75 Prozent sind der Auffassung, Medien und Politik steckten unter einer Decke und die Regierung verschweige die Wahrheit.
Charakteristisch für die "Querdenken"- Bewegung sei eine starke Entfremdung von den Institutionen des politischen Systems, den etablierten Medien und den alten Volksparteien, lautet eine zentrale Erkenntnis der wissenschaftlichen Untersuchung. Ein weiterer Befund: Ihre Anhänger seien nicht "ausgesprochen fremden- oder islamfeindlich" und teilweise "eher anti-autoritär und der Anthroposophie zugeneigt". Di ese S el bstei n s ch ätzu n g scheint zu den Bildern von "Querdenker"-Demos zu passen. Tanzende, trommelnde, singende Menschen - auf der einen Seite. Auf der anderen: Rechtextremisten mit Reichskriegsflagge und antisemitischen Parolen.
Die einen sehen fast aus wie Hippies aus der FlowerPower- Zeit in den 1960erund 1970er-Jahren. Die anderen provozieren mit dem gelben Judenstern aus der Nazi-Zeit, den sie auf Demonstrationen mit dem Zusatz "ungeimpft" zur Schau tragen. Als Ausdruck ihrer angeblichen Stigmatisierung durch das von ihnen abgelehnte System. Die Grenzen von weit links nach weit rechts sind fließend. Für den Verfassungsschutz in BadenWürttemberg zu fließend. Deshalb wird die "Querdenken"Bewegung seit Dezember in ihrem Stammland offiziell beobachtet.
"Gezielt werden extremistische, verschwörungsideologische und antisemitische Inhalte mit einer legitimen Kritik an den staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona- Pandemie vermischt", hieß es damals in der Begründung. Knapp vier Monate später sieht sich die Behörde in ihrer Entscheidung bestätigt. Man habe zusätzliche Erkenntnisse über regionale "Querdenken"-Ableger erlangt, "was ein umfassenderes Bild über das Netzwerk der Initiative im Land ergibt", teilte ein Sprecher des Verfassungsschutzes auf DW-Anfrage mit.
Außerdem habe man weitere Informationen über "Verflechtungen von führenden 'Querdenken'-Akteuren in das Milieu der 'Reichsbürger' und 'Selbstverwalter' erhalten, heißt es in der Antwort. Auch das Bundeskriminalamt (BKA) schaut genau auf die Szene: "Wir achten sehr aufmerksam auf die Entwicklung in allen Phänomenbereichen des Extremismus und passen unsere Gefährdungseinschätzungen regelmäßig der Lageentwicklung an", heißt es in einer Mitteilung an die DW. Konkreten Anschauungsunterricht gibt es womöglich schon bald auf der nächsten geplanten Großdemonstration am 3. April in Stuttgart. Es sei denn, die Versammlung wird noch verboten. Bislang sind solche Anträge aber meistens vor Gericht gescheitert.