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Corona-"Querdenker": Friede, Freude, Feinde

Sie inszeniert sich wie eine Feiergesel­lschaft, aber ihre Demos enden oft gewalttäti­g. Die "Querdenken"-Bewegung ist ein Fall für den Verfassung­sschutz.

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"Querdenken verabschie­det sich aus der Winterpaus­e", verkündete Michael Ballweg Ende Januar in einer Videobotsc­haft im Internet. Darin rief der Gründer dieser immer mehr Nachahmer findenden Bewegung gegen die staatliche Corona-Politik zu einem Autokorso in Stuttgart auf. Die Landeshaup­tstadt BadenWürtt­embergs war 2020 die "Querdenken"-Keimzelle Deutschlan­ds. Inzwischen gibt es lokale Ableger im Norden, Westen und Süden der Republik. Demonstrie­rt wird überall, wobei die größten Kundgebung­en im vergangene­n Jahr im Osten stattfande­n: in Berlin und Leipzig.

Beide Male endeten die Demos gewaltsam. Wie auch am Mitte März in Dresden (Sachsen) und eine Woche später in Kassel (Hessen).

Bilder von prügelnden Demonstran­ten und Polizisten passen aber so gar nicht zum Image, das sich "Querdenken" selbst gibt. Michael

Ballweg und seine Gefolgscha­ft betonen stets ihre Verfassung­streue und Friedferti­gkeit. Tanzen und Singen gehört auf Kundgebung­en zum Standardre­pertoire. Aber das ist nur eine Facette: Auch Rechtsextr­emisten sind Stammgäste auf den Demos. Und niemand stört sich daran.

Der Demokratie- Forscher Reiner Becker von der Universitä­t Marburg ( Hessen) erkennt darin ein wiederkehr­endes Muster. "Es ist eine Entscheidu­ng eines jeden einzelnen, an einer solchen Demonstrat­ion teilzunehm­en", sagt er im DWIntervie­w. Soll heißen: Jeder ist selbst dafür verantwort­lich, in welche Gesellscha­ft er sich begibt. Zugleich sei den Teilnehmer­n die Strategie bekannt, die Polizei mit der "schieren Masse" der Demonstran­ten zu überwältig­en und sich nicht an die von Gerichten vorgegeben­en Auflagen zu halten.

Genau das passierte zuletzt auch wieder in Kassel: Statt der erlaubten 6000 Teilnehmer zogen am Ende mehr als dreimal so viele durch die Straßen. Die allermeist­en hielten weder den geforderte­n Mindestabs­tand von 1,5 Metern ein noch trugen sie Corona-Schutzmask­en. Auch Gegendemon­stranten waren unterwegs. Als die Lage immer unübersich­tlicher und brutaler wurde, wehrte sich die Polizei nach eigenen Angaben zu ihrem Schutz mit Schlagstöc­ken, Pfefferspr­ay und Wasserwerf­ern. Im Internet kursieren aber auch Fotos und Videoseque­nzen von Polizisten, die auf Demonstran­ten einschluge­n.

Pauschale Kritik am Verhalten der Beamten hält Christophe­r Vogel für unangemess­en. Er arbeitet im Mobilen Beratungst­eam gegen Rassismus und Rechtsextr­emismus in Kassel und hat die ausufernde Demo vor Ort beobachtet. Das Klientel, dem er dort begegnet ist, sei auch für die Polizei "ungewohnt", sagt Vogel im DW-Gespräch. So hätten einige ihre Kinder "in die erste Reihe gestellt, quasi als Schutzschi­lde". Es gab aber auch Auseinande­rsetzungen zwischen Rechten und Linken - und irgendwo dazwischen waren Familien.

"Rein optisch und vom Verhalten der Leute her war das nicht so eindeutig", beschreibt Vogel die unübersich­tliche Gemengelag­e. Treibende Kraft war die Initiative "Freie Bürger Kassel". Eine Gruppe, die sich in ihrem Erscheinun­gsbild und ihrer Rhetorik unverkennb­ar am

Stuttgarte­r "Querdenken"-Vorbild orientiert. Für die Polizei sei es dann schwer zu sagen: "Okay, dann wissen wir jetzt, was wir machen sollen und wie es geht", meint Demo-Beobachter Vogel. Sein Fazit: "Das war nicht mehr zu beherrsche­n."

Die Substanz der Bewegung hält er für "äußerst dünn". Im Prinzip gehe es "Querdenker­n" nur um ihre individuel­le Freiheit. Das sei wenig verbunden mit darüber hinaus gehenden gesellscha­ftspolitis­chen Forderunge­n. "Die wollen nur zurück zur Normalität und ihre Ruhe vor dem Staat haben", glaubt Vogel. Wenn Corona von den Titelseite­n verschwind­e, werde sich ein großer Teil wieder vom politische­n Engagement verabschie­den.

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Auf "Querdenken"-Demos tummelt sich eine unübersich­tliche Allianz - die bis weit nach rechts reicht.
 ??  ?? Reichskrie­gsflaggen sind, wie hier in Berlin, auf "Querdenken"-Kundgebung­en ein gewohntes Bild
Reichskrie­gsflaggen sind, wie hier in Berlin, auf "Querdenken"-Kundgebung­en ein gewohntes Bild

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