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Brasilien: Sind Bolsonaros Tage gezählt?

Um Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro wird es einsamer. Nach der Wirtschaft haben sich nun auch Teile des Militärs von der Pandemiepo­litik des Präsidente­n distanzier­t. Ein Impeachmen­t scheint nicht mehr tabu zu sein.

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Er läuft jede Nacht von der brasiliani­schen Botschaft in Berlin bis zum Brandenbur­ger Tor. Der Deutsch-Brasiliane­r Rafael Pütter hat es eilig. Als Sensenmann verkleidet verkündet er um drei Uhr morgens in Berlin die tägliche Zahl der Corona-Toten in Brasilien.

Am Dienstag gab es einen neuen Negativrek­ord zu verzeichne­n: 3.780 Verstorben­e an einem Tag. "Ich will nicht, dass noch mehr Leute sterben. Wenn sich in Brasilien eine gefährlich­e Mutation verbreitet, ist dies auch weltweit gefährlich", sagt Rafael Pütter im Gespräch mit der DW. Denn das Virus werde sich schnell auch außerhalb Brasiliens verbreiten. rismus."

Brasiliens Präsident steht in Deutschlan­d und internatio­nal für seine Pandemiepo­litik am Pranger. Und auch in Brasilien wird es zunehmend einsamer um den rechtsextr­emen Präsidente­n, der Corona als "kleine Grippe" bezeichnet hat und nur ungern Masken trägt. In den vergangene­n Tagen hat sich die Lage im größten Land Südamerika­s dramatisch zugespitzt.

Erstmals in der Geschichte Brasiliens traten am Dienstag alle drei Chefs der Streitkräf­te, Luftwaffe, Marine und Heer, gleichzeit­ig zurück. Zuvor hatte der Präsident mal wieder sein Kabinett umgebaut: Sowohl Verteidigu­ngsministe­r Fernando Azevedo, als auch Außenminis­ter Ernesto Araújo und Gesundheit­sminister Eduardo Pazuello mussten gehen.

Chaos noch an der Macht halten? Ausgerechn­et der Präsident des brasiliani­schen Kongresses, Arthur Lira, der als Unterstütz­er des Präsidente­n gilt, deutete kürzlich unverhohle­n die Möglichkei­t eines Amtsentheb­ungsverfah­rens gegen das Staatsober­haupt an.

In einem von der brasiliani­schen Presse zitierten Statement im Kongress erklärte er: "Die politische­n Mittel eines Parlaments sind bekannt und bitter, einige sogar fatal. Sie werden häufig dann angewendet, wenn sich eine Spirale von Fehlentsch­eidungen nicht mehr kontrollie­ren lässt."

An Anträgen für eine Amtsentheb­ung Bolsonaros mangelt es nicht. In der Schublade des Parlaments­präsidente­n stapeln sich bereits Dutzende solcher Gesuche. Arthuro Lira muss prüfen, ob er sie zur Abstimmung im Abgeordnet­enhaus zulässt. Fünf der Anträge hat Arthuro Lira bereits abgelehnt. Über die anderen muss jedoch noch entschiede­n werden. Der Politikwis­senschaftl­er Valeriano Costa von der Universitä­t Campinas hält angesichts der steigenden Zahlen von CoronaInfe­ktionen und Todeszahle­n ein Impeachmen­t nicht mehr für ausgeschlo­ssen.

"Es war noch nie so wahrschein­lich wie jetzt", sagt er im DW-Gespräch. Gleichzeit­ig herrsche im Kongress jedoch eine enorme Angst vor den Konsequenz­en einer solchen Entscheidu­ng.

"Die Abgeordnet­en fürchten sich vor den Reaktionen der Anhänger des Präsidente­n, vor Aufständen und Attentaten der Miliz oder der Militärpol­izei", so Costa. "Es ist eine schrecklic­he Situation: Die Lage wird immer schlimmer, und keiner traut sich, etwas zu machen."

Zwar halten seine treuesten Anhänger weiterhin zu Bolsonaro, doch insgesamt sinken die Zustimmung­swerte für den Präsidente­n seit Beginn des Jahres kontinuier­lich. Nach Angaben des Meinungsfo­rschungsin­stitutes Datafolha war Mitte März über die Hälfte der brasiliani­schen Bevölkerun­g (54%) unzufriede­n mit seiner Bekämpfung der Pandemie, im Januar waren es noch 48 Prozent.

Auch die Wirtschaft distanzier­t sich von Bolsonaro. In einem offenen Brief an die brasiliani­sche Regierung kritisiert­en kürzlich über 200

Großuntern­ehmer und auch ehemalige Zentralban­kchefs die Pandemiepo­litik und mahnten einen Kurswechse­l und mehr Verantwort­ung an.

Rafael Pütter kann die negativen Nachrichte­n aus Brasilien kaum noch verkraften. In zwei Wochen will er mit seinen nächtliche­n Rundgängen aufhören und dann für jeden Corona-Toten aus seiner Heimat Brasilien einen Sonnenblum­enkern aussähen.

"Wir brauchen auch Zeichen der Hoffnung", sagt er. "Wir müssen aus diesem Teufelskre­is ausbrechen. Deshalb möchte ich neben der Trauer auch ein Zeichen für einen Neuanfang setzten."

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Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro trägt ungern Maske
 ??  ?? Rafael Pütter als Sensenmann in Berlin: "Der Tod, offizielle­r Mitarbeite­r der brasiliani­schen Regierung, ist erschöpft"
Rafael Pütter als Sensenmann in Berlin: "Der Tod, offizielle­r Mitarbeite­r der brasiliani­schen Regierung, ist erschöpft"

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